Inflation als Gefahr?
18. Juni 2008Alles wird teurer! So kann man es jeden Tag in deutschen Supermärkten hören, beim Bäcker, beim Friseur genauso. Auch wenn das so nicht stimmt - die so genannte gefühlte Inflation ist überall. Erst recht seit der Euro scheinbar alles teurer gemacht hat – und er deswegen längst den Beinamen "Teuro" mit sich trägt. Doch aus der gefühlten Inflation ist mittlerweile eine schleichende Inflation geworden.
Energie und Lebensmittel treiben die Preise hoch
Im Mai kletterte die Teuerung im Durchschnitt der Europäischen Union wegen gestiegener Öl- und Lebensmittelpreise auf 3,9 Prozent. Die Europäische Zentralbank (EZB) geht davon aus, dass die Inflationsrate in diesem Jahr im Schnitt über der Drei-Prozent-Marke liegen wird. Damit läge sie deutlich über der Zielmarke von knapp zwei Prozent, welche die Europäische Zentralbank für die Euro-Zone anstrebt. Die wichtigsten Preistreiber blieben in Europa auch im Mai Energie und Lebensmittel.
"Wir zahlen die Integration Chinas in die Weltwirtschaft"
Schon werden erste Befürchtungen laut, dass sich der enorme Preisauftrieb – ausgehend vom rasanten Anstieg des Ölpreises – zu einer ernsthaften Bedrohung für die Weltwirtschaft entwickeln könnte. Nach Ansicht von Jörg Krämer, dem Chefvolkswirt der Commerzbank, muss es nicht so schlimm kommen: "Wir zahlen mit dem hohen Ölpreis auch die Integration Chinas in die Weltwirtschaft, von der wir ja letztendlich auch profitieren."
Der rasante Anstieg des Ölpreises innerhalb der letzten zwölf Monate werde die deutsche Volkswirtschaft ein halbes Prozent Wachstum kosten. "Das ist kein Faktor, der uns in die Rezession treiben kann", sagt Krämer.
Beim Thema Inflation werden viele schnell nervös
Dennoch sind die Mienen der Währungshüter in der EZB derzeit genauso angespannt wie die ihrer Kollegen von der Federal Reserve, der US-Notenbank. Kein Wunder: Beim Thema Inflation werden viele schnell nervös. Denn wenn das Geld seinen Wert verliert, kann das dramatische Folgen haben.
Wer investiert schon noch, wenn er heute weiß, dass sein investiertes Geld schon morgen nichts mehr wert ist, geschweige denn Gewinne abwirft. Und der Verbraucher reagiert ähnlich: Dem vergeht die Lust zum Einkaufen größerer Dinge – weil das ganze Geld fürs tägliche Leben draufgeht. Ökonomen sprechen von Kaufkraftverlust.
Die Lohn-Preis-Spirale
Das größte Problem dabei sind dann aufkommende Verteilungskonflikte. Sie waren in den jüngsten Lohn- und Tarifverhandlungen in Deutschland ansatzweise zu besichtigen. Die Gewerkschaften wollen den unvermeidlichen Verlust an Kaufkraft nicht hinnehmen und deutlich höhere Lohnabschlüsse für die Arbeitnehmer durchsetzen. Aber wenn die Löhne im Gleichschritt mit der Inflationsrate über die Maße steigen, sprechen Ökonomen von einer Lohn-Preis-Spirale oder auch von so genannten Zweitrundeneffekten.
"Höhere Löhne ändern nichts daran, dass der gesamten deutschen Volkswirtschaft Kaufkraft verloren gegangen ist", sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer. Wenn man das durch höhere Löhne zu kompensieren versuche, führe das am Ende zu noch höherer Inflation - und damit in eine Lohn-Preis-Spirale. Das Ende der Lohnzurückhaltung habe man überall in Europa gesehen. Und es gebe erste Anzeichen, das es zu einer solchen Spirale kommen könne, sagt Krämer. "Und da hat natürlich die EZB jetzt erstmal gegen gesteuert, um zu verhindern, dass sich so etwas aus den 70er Jahren wiederholt."
Zu hohe Lohnabschlüsse vernichten Arbeitsplätze
In den 70er Jahren hatte der so genannte Ölpreis-Schock eine solche Lohn-Preis-Spirale ausgelöst. In Folge des gestiegenen Ölpreises - von drei auf fünf Dollar pro Fass - verschärfte sich die Wirtschaftskrise in Deutschland. Das führte zu hoher Verschuldung, steigenden Sozialausgaben und Streiks.
Im öffentlichen Dienst beispielsweise setzte die Gewerkschaft eine elfprozentige Tariferhöhung durch. Doch zu hohe Lohnabschlüsse vernichten Arbeitsplätze und würgen am Ende die Konjunktur ab. Dies vor Augen, hört beim Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, der Spaß auf. Beim Thema Inflation findet er deutliche Worte: "Wir sagen allen: Wir werden es nicht tolerieren, wenn Ihr die Inflationsspirale in Gang setzt. Wir rufen sie auf, sich den gegebenen Umständen entsprechend zu verhalten." Man werde nicht hinnehmen, dass diese Risiken Realität werden.
EZB bremst die Konjunktur mit Kalkül aus
Und so kündigte Europas oberster Währungshüter für die kommende Sitzung der EZB ungewöhnlich deutlich eine Zinserhöhung an. Damit werden Kredite teurer, der Konsum wird noch weiter nachlassen. Unternehmen werden kaum noch höhere Preise für ihre Produkte durchsetzen können. Weniger Nachfrage gleich sinkende Preise – so das Kalkül. Dass dadurch die Konjunktur-Lokomotive abgebremst wird, ist ein gewollter Effekt. Denn weniger Wachstum heißt weniger Ölverbrauch. Weniger Ölverbrauch bedeutet weniger Nachfrage – und weniger Nachfrage ist gleich sinkender Ölpreis. So will man die Spirale von steigenden Preisen und Löhnen anhalten.
Immer vorausgesetzt, die Gewerkschaften spielen mit. Der Abschluss im Öffentlichen Dienst vom Frühjahr, der unter dem Strich ein Plus von acht Prozent brachte, blieb bislang die Ausnahme.
Klaus Zimmermann, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, mahnt dennoch: "Wir empfehlen den Gewerkschaften insgesamt, auf dem Teppich zu bleiben." Sicherlich werde es in diesem Jahr da und dort kräftigere Lohnabschlüsse geben. "Insgesamt aber wird die Tariflohnentwicklung nach unserer Einschätzung im Rahmen bleiben", so Zimmermann.
Staatliche Eingriffe werden kaum helfen
Die große Unbekannte in all diesen Rechnungen aber bleibt der Ölpreis. Weil über die Ursachen für den exorbitanten Anstieg Uneinigkeit besteht, werden sich kaum geeignete Maßnahmen finden lassen, den Anstieg durch staatliche Eingriffe zu bremsen. Und am Horizont braut sich bereits neues Ungemach zusammen: Die Überschwemmungen im Mittleren Westen der USA, wo auch riesige Getreidefelder betroffen sind, werden zu einem weiteren Ansteig der Lebensmittelpreise führen.