Bundestag debattiert über Terror in Deutschland
18. Januar 2017Unter den Abgeordneten des Bundestages gibt es einen gemeinsame Haltung, wenn sie über den Fall des mutmaßlichen Attentäters Anis Amri sprechen: Fassungslosigkeit darüber, was alles nicht geschehen ist, um einen offenbar gefährlichen und kriminellen Menschen zu stoppen. Bei dem Anschlag, für den er verantwortlich sein soll, sind Mitte Dezember zwölf Menschen auf einem Berliner Weihnachtsmarkt getötet worden. "Wie kann das sein?", ist eine oft gehörte Frage in den Gängen des Parlamentsgebäudes in Berlin. Die Suche nach den Antworten sorgt dann für Streit.
Konstantin von Notz, innenpolitischer Sprecher der Grünen, ist ziemlich unzufrieden mit dem Stand der Aufklärung des Attentats und seiner Hintergründe. Seine Fraktion hat ihre Fassungslosigkeit in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung zu Papier gebracht. Das sind zehn Themenkomplexe mit 66 Einzelfragen. "Seit vier Wochen ist Zeit, die Fragen zu beantworten. Vieles ist nicht beantwortet", sagt Notz am Rande einer Sitzung des Innenausschusses des Bundestages. Es gibt viele Hinweise darauf, dass Behörden nicht gut miteinander kommuniziert haben, auf Länder-, Bundes- und europäischer Ebene.Wer genau verantwortlich für dieses Versagen war und dafür, dass Amri dadurch mit zig verschiedenen Identitäten und einer einschlägigen Verbrechenshistorie unterwegs sein konnte, ist nicht geklärt. Notz wirft der Bundesregierung vor, nur "scheibchenweise" zu informieren.
Sein Kollege von der Unionsfraktion im Innenausschuss, Stephan Mayer (CSU), verteidigt die Regierung gegen die Vorwürfe. "Ich möchte dem Eindruck entgegentreten, dass hier irgendetwas bewusst unter den Teppich gekehrt werde." Unionspolitiker Mayer sieht vielmehr die Länder in der Pflicht für Aufklärung zu sorgen. "Die offenen Fragen richten sich vor allem an Nordrhein-Westfalen und Berlin." Diese Bundesländer, in denen sich Amri aufgehalten hatte, werden von der SPD regiert - der politischen Konkurrenz.
Kritik am Terrorabwehrzentrum
Viel mehr Antworten hatten die Mitglieder des Innenausschusses auch nach ihrer heutigen Sitzung nicht – dabei war Bundesinnenminister Thomas de Maizière persönlich zu dem Treffen des Gremiums gekommen. Besonders bei der Suche nach den Verantwortlichen für das Behördenversagen gibt sich der Minister zurückhaltend. "Ich beteilige mich nicht an Schuldzuweisungen, ich konzentriere mich auf die erforderlichen Konsequenzen", erklärt er auch bei einer Aktuellen Stunde am Nachmittag im Bundestag. Eine dieser Konsequenzen sei, dass alle bekannten potenziellen Terroristen (Gefährder) noch einmal von der zuständigen Arbeitseinheit im Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum (GTAZ) "genau unter die Lupe" genommen werden. Es wird geschätzt, dass es über 500 solcher möglicherweise zu terroristischer Gewalt neigenden Islamisten in Deutschland gibt.
Die Kritik am Terrorabwehrzentrum ist ein weiterer Punkt, bei dem sich viele Abgeordnete über alle Fraktionen einigen können. Das GTAZ ist vor gut zehn Jahren als Kommunikationsplattform für 40 Behörden aus Bund und Ländern eingerichtet worden, damit sie ihre Informationen zu möglichen terroristischen Gefahren miteinander abgleichen können. Bei Anis Amri hat das nicht so gut geklappt. Der Tunesier war zunächst als islamistischer "Gefährder" geführt worden, später aber lediglich als überwiegend kriminell motivierte Person. Entsprechend lockerer wurde die Überwachung. Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic, eine ehemalige Polizistin aus dem Ruhrgebiet, attestiert dem Zentrum "organisierte Verantwortungslosigkeit". Selbst der CDU-Innenpolitiker Mayer gibt zu, dass "es nichts gibt, das nicht auch noch besser sein könnte." Der Innenminister möchte zunächst die Kriterien vereinheitlichen lassen, die den unterschiedlichen Gefährdungseinstufungen zugrunde liegen.
Schlagabtausch im Bundestag
Das Geheimdienst-Kontrollgremium des Bundestages (PkGr) hat vor wenigen Tagen die Einsetzung einer Task Force beschlossen, um die Vorgänge rund um den Anschlag untersuchen zu lassen. Möglicherweise kommt auch ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss. Für den Innenminister ist es jetzt vor allem wichtig, schnell und wirksam zu handeln – und nicht erst lange nach Antworten zu suchen. Überhaupt möchte Innenminister de Maizière lieber schnell und tatkräftig handeln, als erst Untersuchungsergebnisse abzuwarten. Gesetze sollen verschärft und der Sicherheitsapparat gestärkt werden. "Wenn wir von Maßnahmen überzeugt sind, dann sollten wir sie jetzt ergreifen!", betont er im Plenum des Bundestages.
Der Opposition geht das alles viel zu schnell. Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, warnt vor einer weiteren Verschärfung der Sicherheitsgesetze. "Wir haben ausreichend Mittel und Gesetze, mit denen dieser Anschlag vielleicht hätte verhindert werden können", hielt Bartsch dem Minister entgegen. Grünen-Fachpolitiker von Notz warf der Koaltion bei der Debatte vor, zu operieren, ohne eine ordentliche Diagnose zu haben. "Dieses Vorgehen kann selbst zu einem Sicherheitsproblem werden", warnte er.