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Momentaufnahmen am Rande des Kriegs

15. Januar 2017

Das Alltagsgeschehen in den Kriegsgebieten war ihr wichtig. Die Fotografin Anja Niedringhaus, die 2014 in Afghanistan ums Leben kam, nahm das Menschliche genau in den Blick, dokumentierte Leid ebenso wie Alltagskomik.

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Afghanistan Junge streckt seine Zunge raus Anja Niedringhaus
Bild: picture alliance/AP Photo/A. Niedringhaus

Bis zum 31. März 2017 ist die Ausstellung "At War" mit Fotografien der Pulitzer-Preisträgerin Anja Niedringhaus in der Stiftung Demokratie Saarland zu sehen. Der Eintritt ist frei. Die Fotos stammen aus der Sammlung der "Situation Kunst" , einem professionellen Ausstellungsraum, der dem dem kunsthistorischen Institut der Universität Bochum angegliedert ist. Silke von Bersworth hat die Fotografin anlässlich einer einer Ausstellung 2012 dort persönlich kennengelernt. Was sie an den Arbeiten von Anja Niedringhaus so faszinierend findet, erzählt die Kunsthistorikerin im DW-Interview:

DW: In den Kriegsfotografien von Anja Niedringhaus sind nicht nur das Leid und die Schrecken des Krieges zu sehen, sondern oft auch eine tragisch-komische Seite: Situationskomik, die sie mit dem Blick des professionellen Fotografen erfasst und im Foto für die Ewigkeit festgehalten hat. War das ihr spezieller Blick auf die Realität?

Bilder der Fotojournalistin Anja Niedringhaus aus der  Sammlung von Bersfordt
Zwischen den Fronten: Alltagsleben in AfghanistanBild: AP Photo/Anja Niedringhaus

Silke von Bersworth: In ihren Bilder erzählte sie eher die Geschichten, die sich drumherum abspielen. Was Anja Niedringhaus gemacht hat, ist ja keine Kriegsberichterstattung im traditionellen Sinne, mit Gefechten und Bildern von Schlachten. Sie zeigt, was der Krieg mit den Menschen macht und wie sie versuchen, sich trotzdem damit zu arrangieren und ihr Leben würdevoll weiter zu leben.

Was macht für Sie als Kunsthistorikerin und Sammlerin die Fotoarbeiten von Anja Niedringhaus so besonders?

Dieser Blick für das Individuelle, das Menschliche auch in Kriegszeiten - das ist eine ganz große Qualität ihrer Fotografien. Sie war ja selbst auch sehr offen und zugänglich und ging immer auf ihr Gegenüber ein. Und ich finde, man sieht den Fotos an, dass diese wirklich Anteil nehmen. Das ist keine nüchterne objektive Berichterstattung über den Krieg, sondern der Mensch - egal ob Soldat oder Kind - wird in seiner jeweiligen Situation ernst genommen.

Inwieweit hat das auch mit ihrem Blickwinkel als Fotografin zu tun, also ganz handwerklich gefragt. Manche ihrer Fotos wirken so, als hätte sie fast schon Demut vor der Situation, die sich vor ihrer Kamera abspielt?

Ich habe es noch nie so systematisch betrachtet, aber das ist wohl so. Es kommen sehr viele Kinder in ihren Fotos vor, auch da nimmt sie teilweise deren Perspektive ein. Sie scheint sich in die Kinder hineinzuversetzen und schießt ihre Fotos aus diesem Blickwinkel - was manchmal auf den ersten Blick gar nicht begreifbar ist.

Bilder der Fotojournalistin Anja Niedringhaus aus der  Sammlung von Bersfordt
Kinder erobern sich die zerstörten Städte als Abenteuerspielplatz zurückBild: AP Photo/Anja Niedringhaus

Diese Fotos von Kindern, die einfach mitten im Kriegsgeschehen spielen, haben viel Humor. Ist das ein wichtiger Teil ihrer harten Arbeit als Kriegsreporterin gewesen, auch um den Horror des Krieges auszuhalten?

Ich glaube, ja. Gerade das Foto von den beiden Kindern, die in den Trümmern ihrer Stadt mit einem Telefon spielen, war ihr extrem wichtig. Bei unserer Ausstellung 2012, bei der sie selbst noch dabei war, wollte sie das unbedingt als Vorlage für die Einladungskarte. Das war eine Fotografie-Ausstellung in den Räumen von"Situation Kunst" in Bochum, das ist ein Teil der Kunstsammlung der Ruhr-Universität.

Viele Fotografen reden nur ungern über ihre Arbeiten und lassen lieber die Fotos für sich sprechen. Wie war das bei Anja Niedringhaus?

Sie hat immer gesagt, dass sie diese Fotos in den Kriegs- und Krisengebieten auch gemacht hat, damit die Situation dort wahrgenommen wird. Natürlich sprechen die Fotos auch für sich, die allermeisten sind so eindrücklich, dass man die Geschichte dahinter schon ahnt. Aber es war ihr auch ein Anliegen, sich darüber auszutauschen.

Bilder der Fotojournalistin Anja Niedringhaus aus der  Sammlung von Bersfordt
Afghanistan-Krieg: Geburtstag an der FrontBild: AP Photo/Anja Niedringhaus

Sie ist als Fotografin mehrfach ausgezeichnet worden, bekam 2005 den renommierten Pulitzer-Preis. Wie wichtig war ihr das?

Ich habe Anja Niedringhaus als sehr selbstbewusst erlebt. Aber sie war keine Person, die sich in den Vordergrund drängte. Sie war ganz bestimmt eine gute Beobachterin, mit einem Gespür für die Situation des jeweiligen Menschen, den sie fotografiert hat. Und das vermittelt sich auch in den Fotos. Alle diese Menschen, selbst wenn es sich um Verletzte handelt oder Menschen in ganz großer Bedrängnis, behalten bei Niedringhaus ihre Würde. Das sind keine Opfer, die wir da sehen, sondern Menschen, die einer Katastrophe standhalten oder trotzen.

Bilder der Fotojournalistin Anja Niedringhaus aus der  Sammlung von Bersfordt
Irak: Was vom Alltagsleben übrig blieb...Bild: AP Photo/Anja Niedringhaus

Wie sehr war ihr die Gefahr, in die sie sich als Kriegsreporterin und Fotografin begab, bewusst? Dachte sie darüber nach, dass es lebensgefährlich war - jedes Mal aufs Neue?

Bilder der Fotojournalistin Anja Niedringhaus aus der  Sammlung von Bersfordt
Opfer gibt es auf beiden Seiten: Momentaufnahme im Irak-Krieg 2005Bild: AP Photo/Anja Niedringhaus

Ich glaube, es war ihr sehr bewusst. Ich kann das nicht so genau beurteilen, weil das extrem persönlich ist, aber sie fand es wichtig und sah das als ihre Aufgabe an. Sie wollte Zeugnis davon anzulegen, was in diesen Kriegen passiert. Und wie verheerend die Auswirkungen auf die Menschen sind. Sie hatte eine Art Pflichtbewusstsein, das alles zu dokumentieren.

Das Gespräch führte Heike Mund

Seit 2014 wird der Mut und der journalistische Einsatz von Kriegsfotografinnen mit dem Anja Niedringhaus-Preis gewürdigt. Der von der "International Women's Media Foundation" (IWMF) verliehene Preis ist nach der bekannten deutschen Kriegsfotografin und Pulitzer-Preisträgerin benannt und mit 20.000 Euro dotiert. Die Deutsche Welle ist Medienpartner. Das Buch zur Ausstellung "At War" ist Im Verlag Hatje & Cantz  erschienen.