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"Ankara kehrt zurück zur Realpolitik"

Daniel Heinrich23. August 2016

Der Türkeiexperte Kristian Brakel sieht die bisherige Außenpolitik der türkischen Regierungspartei AKP gescheitert und prophezeit, vor allem angesichts des Konflikts in Syrien, einen Umschwung.

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Türkei Türkischer Polizist bewacht die Bilgi Univerität
Bild: Getty Images/AFP/C. Turkel

DW: Die türkische Außenpolitik präsentiert sich derzeit nicht sehr kohärent. Verstimmungen mit Österreich, mit Schweden, und auch mit Deutschland hat es in den vergangenen Wochen immer mal wieder Hakeleien gegeben. Gleichzeitig kommt die Zielmaßgabe aus Ankara: EU-Beitritt bis 2023. Wie passt das alles zusammen?

Brakel: Es passt natürlich nicht zusammen. Einerseits reagiert man zu sensibel auf populistische Äußerungen aus Ländern wie eben Österreich. Das könnte man in Ankara einfach an sich vorbeiziehen lassen und könnte darauf verweisen, dass die Rechtslage beim Thema "Sexualstrafrecht" in der Türkei nicht dem entspricht, was in den österreichischen Medien berichtet wurde. Zum anderen hat die Türkei aktuell gar kein Interesse und wäre auch nicht in der Lage, der EU beizutreten. Die EU hat außerdem selbst keine Aufnahmekapazität und hat aus diesem Grund auch den Aufnahmeprozess für andere Länder, zumindest mittelfristig, erst einmal aufgehoben.

Warum trifft sich Tayyip Erdogan wieder mit Wladimir Putin?

Den Besuch Tayyip Erdogans bei Wladimir Putin muss man vor allem im Kontext wirtschaftlicher Fragen betrachten. Die Türkei hat sehr stark unter den russischen Sanktionen des letzten halben Jahres gelitten. Die türkische Wirtschaft ist das Rückgrat der AKP-Regierung von Präsident Erdogan. Dieser Wachstumsmotor, der sie lange beflügelt hat, stottert in letzter Zeit, und die Sanktionen haben sie jetzt zusätzlich belastet. Deswegen ging es bei diesem Besuch einmal darum, diese Sanktionen zurückzudrehen und wieder zu einer guten wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland zu kommen. Im zweiten Schritt geht es sicherlich um die Frage, was die beiden Länder hinsichtlich Syriens tun können, und an dritter Stelle steht der Versuch, der EU und den Amerikanern zu signalisieren, dass man gegebenenfalls noch andere Partner hat. Allerdings wissen alle Beteiligten, dass das eher eine Chimäre ist. Russland kann das was die EU und die Amerikaner leisten, sowohl sicherheitspolitisch als auch wirtschaftspolitisch nicht ersetzen.

Sie sprechen Syrien an. Tayyip Erdogan und Baschar al-Assad waren befreundet, waren sogar mal zusammen im Urlaub, dann haben sie sich voneinander abgewandt. Jetzt bekriegt man von türkischer Seite in Syrien den IS und hilft damit Assad. Wie ist das zu bewerten?

Die Türkei kehrt gerade zu einer Phase der Realpolitik zurück, was die Außen- und Sicherheitspolitik angeht. Gerade in den vergangenen Jahren hatte die AKP versucht, eigene Akzente in der Außen- und Sicherheitspolitik zu setzen. Man hatte versucht, sich von dem zu lösen, was jahrzehntelang als Prämisse türkischer Außenpolitik galt und die vor allem durch militärische Aspekte geprägt war. Der Schutz der eigenen Grenzen galt als das höchste Gut, in jedem Fall wollte man außenpolitische Abenteuer vermeiden. Das militärische Eindringen in den Irak war so ein Fall. Dieser diente allein der Abwehr der PKK.

Copyright: Heinrich-Böll-Stiftung/S. Röhl
Brakel: "Das Ziel ist eine Lösung im Syrienkonflikt"Bild: Heinrich-Böll-Stiftung/S. Röhl

Von diesen Vorgaben war die AKP abgerückt und hatte eine sehr ambitionierte Außenpolitik in der Region gefahren. Letztlich ist sie damit gescheitert. Das liegt nicht nur an der AKP, das liegt auch an den Umständen in der Region. Gerade aufgrund der chaotischen Zusstände in der Region besinnt man sich eigentlich wieder auf die guten alten Tugenden. Der Tenor lautet: Wir haben in der Türkei so viele Probleme, gerade mit Terrorismus, wir müssen jetzt in erster Linie unsere eigene Grenzen und Bevölkerung schützen, alles andere ist zweitranging. Vor diesem Hintergrund muss man auch das verstärkte Vorgehen gegen den sogenannten "Islamischen Staat" sehen, auch wenn man weiß, dass das in zweiter Konsequenz auch dem Assad-Regime nutzt.

Langsam reift auch der Gedanke in Ankara, dass Bashar al-Assad nicht die schlechteste Option in Syrien ist. Allerdings sitzt die syrische Opposition immer noch in Istanbul. Wie kommt man denn raus aus diesem Dilemma?

Ich glaube nicht, dass die Türkei vorhat, die Opposition auszuweisen. Es gibt jetzt starke Vermutungen, dass man bereit ist, sich dem Assad-Regime wieder anzunähern. Zumindest gibt es starke Signale aus Ankara, dass man akzeptiert, dass es eine Übergangsfrist für Assad geben könnte. Man ist also grundsätzlich bereit zu Kompromissen, aber man ist noch nicht zu dem Punkt gekommen, wo man alle eigenen Interessen hintanstellen wird. Ich glaube auch nicht, dass es dazu führen wird, dass man von türkischer Seite gegen die syrische Opposition vorgehen müsste, um irgendeine Form von Agreement mit dem Regime zu finden. Ganz klar ist aber: Wenn es der Türkei irgendwann einmal den eigenen Interessen dienlicher erscheint, gegen die syrische Opposition vorzugehen und sie vielleicht aus dem Land zu weisen, dann hätte man in Ankara auch sicherlich wenig Skrupel, das zu tun.

Es gab mal die außenpolitische Prämisse "Null Probleme mit Nachbarn". Der Iran steht in einem ganz besonderen Verhältnis zur Türkei. Beide Länder verfolgen unterschiedliche Interessen in der Region, beide Länder nähern sich jetzt wieder an. Was steckt dahinter?

Das Ziel ist vor allem, eine Lösung im Syrienkonflikt zu erreichen. Der Iran ist zusammen mit Russland der größte Sponsor des Assad-Regimes und der einzige Grund, warum sich das Regime noch an der Macht halten kann. Teheran organisiert nicht nur Kämpfer für die libanesische Hisbollah, sondern rekrutiert auch Söldner. Diese kommen teilweise aus Gefängnissen im Iran selbst oder aus Afghanistan. Zusätzlich steuert Teheran Damaskus noch Waffen und Treibstoff bei. Ankara hat großes Interesse daran, für Syrien einen Modus zu finden. Die Türkei ächzt unter der Last der Syrien-Flüchtlinge. Ich glaube aber, dass es noch sehr unklar ist, zu was für einem Agreement man da wirklich kommen kann, denn die Interessen der beiden Staaten gehen schon sehr, sehr weit auseinander.

Kristian Brakel leitet das Istanbuler Büro der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung.

Das Gespräch führte Daniel Heinrich.