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Ankunft: Rosenheim Bahnhof

Kate Brady, Rosenheim / dh12. August 2015

Für viele Flüchtlinge beginnt der Weg zurück in die Legalität am Rosenheimer Bahnhof. Jeden Tag greift die Polizei dort Menschen auf, die vor Krieg und Gewalt geflohen sind. Von Kate Brady, Rosenheim.

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Flüchtlinge am Bahnhof Rosenheim (Foto: DW)
Bild: DW/K. Brady

Während der Eurocity auf dem Gleis einfährt, ziehen sich die etwa 20 Polizisten noch schnell Latex-Handschuhe über. Es ist besonders heiß an diesem Sommertag in Bayern. Man kann ihnen ansehen, dass sie unter ihrer Uniform und den Westen schwitzen. Der anstehende Einsatz im Zug scheint für die Beamten dennoch tägliche Routine geworden zu sein.

Im vergangenen Monat sind bereits 6400 Flüchtlinge in Rosenheim angekommen. Die meisten von ihnen stammen aus Syrien, Eritea und dem Sudan. Alleine in den ersten zehn Tagen des Monats waren es fast 2900 Flüchtlinge - das sind mehr als doppelt so viele im gesamten Jahr 2010.

"Sind wir schon in Deutschland?"

Die Polizisten steigen in den Zug. Auf der Suche nach Menschen, die illegal die österreichisch-deutsche Grenze passiert haben, fragen sie die Passagiere nach ihren Ausweisen. Sie suchen überall - in jedem Abteil und auch auf den Toiletten.

Jeder Pass wird genau kontrolliert im Zug am Bahnhof Rosenheim (Foto: DW)
Jeder Pass wird genau kontrolliertBild: DW/K. Brady

"Ihre Ausweise, bitte”, sagt ein junger deutscher Beamter höflich in englischer Sprache. Die Passagiere greifen hastig nach ihren Taschen, aber nicht alle werden kontrolliert. Es wird schnell klar, dass Menschen aus Afrika, dem Nahen Osten und mit südländischem Aussehen ganz oben auf der Liste stehen. Unter ihnen ist auch eine Gruppe junger Männer, die keine Papiere vorzeigen kann. Nicht alle verstehen, was der Polizist von ihnen will. Schließlich fragt einer der jungen Männer: "Sind wir schon in Deutschland?"

"Ja", antwortet dieser. Man kann den jungen Männern die Erleichterung förmlich ansehen. Auch wenn sie den Zug jetzt verlassen müssen und ihre Zukunft ungewiss ist, scheinen sie froh darüber zu sein, ihr Ziel erreicht zu haben - ihrem Ziel, einen Asylantrag zu stellen. Bevor die jungen Männer den Zug verlassen, wünscht ihnen ein Fahrgast noch viel Glück. Dann steigen sie aus.

Es ist nie zu spät

Die Beamten ziehen weiter - von Wagon zu Wagon. Sie inspizieren die Pässe der Befragten ganz genau. Meistens handelt es sich um die Pässe junger Männer und Frauen. Doch auch eine Gruppe älterer Menschen ist dabei, entschlossen, ein neues Leben in Europa zu beginnen.

"Das ist alles so ungerecht", sagt ein Mädchen im Zug zu ihrer Freundin. "Aber es wäre viel schlimmer, sie weiter nach München fahren zu lassen, ohne, dass sie wissen wohin sie gehen können", antwortet ihr ein Polizist, der zugehört hat. "Aber die Art und Weise ist nicht ok", erwidert sie. Die Polizisten durchsuchen den Zug weiter, sind dabei sehr ruhig und freundlich.

Einige Meter weiter finden die Beamten drei junge Männer, die sich auf der Toilette versteckt hatten. Auf dem Gang steht eine deutsche Frau Mitte 30, die ihren Sohn fest umarmt und seinen Kopf streichelt. Sie kann ihre Tränen kaum noch zurückhalten.

"Kann ich ihnen helfen", fragt ein Polizist die Frau. "Nein, nein", sagt sie, dabei bricht ihr die Stimme weg. "Wir helfen diesen Menschen", versichert er ihr. "Wir verpflegen sie und nachdem sie sich registriert haben, können sie weiter fahren nach München, um dort einen Asylantrag zu stellen."

Zwei junge Männer auf dem Gleis in Rosenheim (Foto: DW)
Warten auf dem Bahnsteig: zwei Neuankömmlinge in Rosenheim.Bild: DW/K. Brady

Nur eine Zahl

Als der Zug aus dem Bahnhof rollt, stehen gut 60 Flüchtlinge auf dem Gleis in der prallen Sonne. Einige Meter weiter sitzt eine ältere Dame, die das Treiben auf dem Gleis kritisch beäugt und währenddessen in ihre Bretzel beißt.

Die Männer und Frauen auf dem Gleis warten geduldig, dass sie an die Reihe kommen. Denn sie erhalten nach und nach jeder ein Armband mit einer Nummer darauf. Mobiltelefone, Geld, Gürtel und Zigaretten packen die Beamten schon mal in durchsichtige Plastiktüten, die die gleiche Nummer wie die jeweiligen Armbänder tragen.

"Ich musste schnell weg"

In der Schlange steht auch Charles, der alleine aus dem Niger geflohen ist. "Ich habe mein Land verlassen, weil es dort sehr viele Probleme gibt", sagt er. Der 27-jährige ist zuerst nach Libyen geflüchtet. "Doch dort herrscht Krieg, also musste ich schnell weg. Und dann habe ich mich auf den Weg nach Lampedusa gemacht", erzählt er. Charles würde gerne in Deutschland arbeiten, auf dem Bau oder als Maler. Schließlich ist auch er an der Reihe und erhält sein Armband.

Ein weiterer Zug rollt ein. Doch ein Polizist teilt seinen Kollegen mit, dass sie heute keine Züge mehr kontrollieren.

Hitzewelle hält an

Mit ihrer Nummer am Handgelenk steigen die Menschen in einen großen Polizeibus, der sie zur so genannten "Bearbeitungsstraße" fährt, eine ehemalige Sporthalle.

Dort erhalten sie Essen und Getränke. Doch die Szenen in der Halle zeigen, dass es für die Geflüchteten nicht leicht ist, ihrem Leben, dass sie hinter sich lassen wollten, zu entkommen. Dutzende Familien liegen auf Feldbetten, versuchen, sich von den Strapazen der langen Flucht zu erholen. Viele von ihnen tragen seit Tagen die gleiche Kleidung und das bei Temperaturen von über 30 Grad. Die Luft ist stickig. Bevor sie nach München weiterfahren dürfen, müssen sie den deutschen Behörden noch ein Passbild und einen Fingerabdruck geben. Sie werden auch auf übertragbare Krankheiten wie Tuberkulose oder Keuchhusten untersucht.

Die Flüchtlingen warten darauf, dass sie weiter nach München reisen können (Foto: DW)
Die Flüchtlinge warten darauf, dass sie weiter nach München reisen können.Bild: DW/K. Brady

"Bei uns herrscht keine Freiheit"

Die 27-jährige Rosina sitzt auf einem der Feldbetten. Sie hatte ihre Heimat Eritrea verlassen - in der Hoffnung es nach Schweden zu schaffen. "Ich habe dort Familie", erzählt sie. Danach holt sie kurz Luft und erzählt: "Nach deinem Studium bekommst du einfach keine Jobs. Bei uns herrscht auch keine Freiheit, wir dürfen nicht sagen was wir denken."

Ihre siebenjährige Tochter ist noch in Eritrea. Als sie von ihr spricht, lächelt ihr ganzes Gesicht. "Wenn die Deutschen es erlauben, dann hole ich sie hierher", sagt Rosina. Die Flucht sei zu gefährlich für die Kleine gewesen. Rosina und ihr Mann haben die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer auf sich genommen. 550 Menschen waren an Bord. Alle hätten es geschafft, sagt sie.

Schließlich schaut sie sich um, als wolle sie sicher sein, dass sie keiner hört und sagt leise: "Wie lange muss ich hier noch bleiben? Wie lange noch?" Doch wie lange sie noch bleiben muss, kann keiner wirklich genau sagen.

Eine Barriere: die Sprache

Denn wie schnell der Bearbeitungsprozess von statten geht, hängt auch davon ab, wie schnell man einen Übersetzer finden kann. Oft ist jemand nötig, der einen bestimmten Dialekt beherrscht. "Das kann manchmal Stunden dauern", sagt Rainer Scharf, Sprecher der Rosenheimer Polizei. "Es kommen so viele Menschen hier an."

Sobald die Registrierung der Flüchtlinge abgeschlossen ist, bekommen sie eine Bescheinigung, mit der sie nach München weiter reisen können. Während einige Flüchtlinge den Ort heute also verlassen, kommen bereits neue Züge am Rosenheimer Bahnhof an, mit Männern, Frauen und Kindern an Bord voller Hoffnung auf Asyl. Die Beamten der Rosenheimer Polizei werden wohl auch morgen wieder Busse mit Menschen in die Turnhalle bringen.