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Annäherung im Schneckentempo

Thomas Bärthlein 27. Juni 2003

Die China-Reise von Indiens Ministerpräsident Vajpayee hat die Beziehungen der Nachbarstaaten nicht grundlegend verbessert. Dennoch könnte sich der pragmatische Ansatz der kleinen Schritte auszahlen.

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Chinesisch-indischer Händedruck nach der gemeinsamen ErklärungBild: AP

Es war schon eine einigermaßen kuriose Situation Anfang dieser Woche: Die indische und die chinesische Regierung unterschrieben eine gemeinsame Erklärung. Deren Text war noch nicht veröffentlicht, da ging die öffentliche Diskussion schon darüber los, wie diese Erklärung zu verstehen sei.

Von indischer Seite war zu hören, die Chinesen hätten anerkannt, dass Sikkim zu Indien gehöre. Indien hatte das Himalaya-Königreich 1975 annektiert. Die Chinesen hatten diesen Schritt aber nie anerkannt. Jetzt soll ein Grenzübergang zwischen Sikkim und Tibet für den Handel geöffnet werden, und im Text der Erklärung heißt es, das sei an der indisch-chinesischen Grenze. Also muss Sikkim Indien sein, so die indische Interpretation - aber das chinesische Außenministerium wollte sich nach Rückfragen nicht festlegen. Für China habe das Sikkim-Problem eine lange Geschichte und sei nicht so einfach zu lösen.

Fortschritt ohne Zugeständnisse?

Dafür sei man aber froh - so Peking - dass Indien endlich in aller Form und schriftlich anerkannt habe, dass Tibet zu China gehöre. Dem wiederum widersprachen die Inder: Man habe doch nie etwas anderes behauptet, das sei keine Änderung der indischen Position. Außenstehende sind verwirrt. Wenn nun keiner wirklich Zugeständnisse gemacht hat, wie kann dann so etwas einen Fortschritt in den indisch-chinesischen Beziehungen bedeuten?

Des Rätsels Lösung liegt darin, dass wir es hier mit kleinen Gesten zu tun haben, die zunächst die Atmosphäre verbessern sollen. Natürlich ist es ein gewisses Zugeständnis, wenn China in Sikkim die Grenze öffnet. Und umgekehrt auch, wenn Delhi nun offiziell den chinesischen Namen 'Autonome Region Tibet' verwendet. Aber das Misstrauen ist noch zu groß, als dass sich irgend jemand endgültig festlegen wollte.

Diplomatische Erklärungen

Der eigentliche Grenzkonflikt zwischen Indien und China liegt woanders. Vor allem geht es um Aksai Chin im Westen, aber auch um Arunachal Pradesh im Osten. Seit Jahren versuchen Delegationen beider Länder, diesen Konflikt, der 1962 sogar zum Krieg führte, beizulegen. Jetzt wurden zwei hochrangige Vertreter benannt, um die Verhandlungen endlich entscheidend voranzubringen - und diesem Ziel dienen auch die diplomatisch verklausulierten Erklärungen.

Ein weiteres positives Signal ist es natürlich, wenn sich Indien und China nun plötzlich versichern, keine Seite bedrohe die andere oder fühle sich bedroht. Schließlich hatte Indien seine Atomtests 1998 noch mit eben dieser Bedrohung durch China begründet.

Pragmatismus statt Quantensprung

Interessant ist schließlich auch, dass die tibetische Exil-Regierung im indischen Dharamsala, die auf den ersten Blick allen Grund zur Sorge über die Annäherung hätte, diese ausdrücklich begrüßt. Offensichtlich setzt der Dalai Lama darauf, dass Indien bei der Lösung der Tibet-Frage vermittelt. Ob sich diese Hoffnungen bewahrheiten, muss sich noch zeigen. Pakistan, traditionell mit China befreundet und mit Indien verfeindet, dürfte die Annäherung der beiden argwöhnisch beobachten. Dennoch überwiegt in der Region Erleichterung, wenn die beiden asiatischen Riesen Spannungen abbauen.

Allerdings werden Erklärungen allein werden über Jahrzehnte gewachsenes Misstrauen nicht abbauen. Aber anscheinend haben sich Indien und China auf Pragmatismus verständigt: Ausbau des Handels, der noch große Chancen bietet und eine Lösung der verbleibenden Probleme in kleinen Schritten. Auch im Schneckentempo kann man ans Ziel kommen.