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Touristenattraktion: Ewiges Eis

Michael Marek / Sven Weniger19. Februar 2016

Die Antarktis ist die letzte Landmasse der Welt, die noch fast komplett sich selbst überlassen ist. Eigentlich ist sie Heimat der Pinguine, mittlerweile aber auch Touristenattraktion. Umweltschützer sind zwiegespalten.

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Paradiesisch liegt die Kreuzfahrtyacht in der weitläufigen Bucht. Treibeis dümpelt wie Styroporstücke im spiegelglatten Wasser. (Foto: S. Weniger/ M. Marek).
Bild: S. Weniger/M. Marek

Marcel Lichtenstein ist Naturforscher und Wissenschaftsguide. Der 42-jährige Costa Ricaner steht auf einem steinigen Küstenhang in Hannah Bay auf Livingston Island. Das 1819 entdeckte Eiland liegt etwa 100 Kilometer vor der Westantarktis.

Lichtenstein zeigt auf eine Gruppe grunzender See-Elefanten. Um ihn drängt sich eine kleine Gruppe Menschen - eingepackt in dicken, knallroten Polarparkas - und staunt über die tonnenschweren Meeressäuger.

Der antarktische Kontinent wird bei Touristen immer beliebter. Etwa 40.000 Urlauber pro Jahr leisten sich das ebenso exklusive wie teure Vergnügen, mit Kreuzfahrtschiffen diesen abgeschiedene Flecken Erde zu besuchen. Tendenz steigend.

Touristen schießen vom Schiff Fotos (Foto: S. Weniger/ M. Marek).
Tiere beobachten - besonders Wale - ist einer der wichtigsten Gründe, warum Touristen auf Antarktis-Kreuzfahrt gehen.Bild: S. Weniger/M. Marek

"Der Tourismus ist aus unserer Sicht von zwei Seiten zu betrachten: Zum einen freuen wir uns über das Interesse, diese Region zu erkunden, um sich die Szenerie und Naturspektakel anzuschauen", sagt Tim Packeiser, Meeresschutzexperte beim World Wide Fund For Nature (WWF) in Hamburg. "Allerdings hat der Tourismus in den letzten Jahren stark zugenommen. Und da treten Fragen auf: Wie werden Reisen organisiert, welche Vorschriften gibt es für Besucher?"

Das Geschäft mit der Natur?

Seit der Jahrtausendwende hat die Internationale Vereinigung der Antarktis Reiseveranstalter, kurz IAATO, die Anforderungen für das Betreten der Antarktis erheblich verschärft. Die IAATO agiert dabei vor Ort mehr oder weniger autark, da die Antarktis nach dem Völkerrecht niemandem gehört. Das heißt auch, dass keinerlei einzelstaatliche Kontrolle existiert.

Seit 2006 dürfen - wenn sie jeden der etwa 160 festgelegten Landeplätze der Antarktis besuchen wollen - nur noch kleinere Motorschiffe mit geringem Tiefgang und maximal 200 Passagieren an Bord bis zu 100 Touristen gleichzeitig an Land bringen. Schiffe mit über 500 Passagieren dürfen gar keine Landgänge mehr durchführen. So präzise und scharf sind die Regularien. Zurzeit sind nur 25 Kreuzfahrtschiffe bei der IAATO für Landgänge registriert.

Eisberg in der Bucht von Port Charcot (Foto: S. Weniger/ M. Marek).
Im "Eisbergfriedhof" sammeln sich etwa 5000 Eisberge mit phantastischen Formen. Die Meeresströmung treibt sie in die Bucht von Port Charcot, wo sie langsam schmelzen.Bild: S. Weniger/M. Marek

"Der Tourismus ist nicht die Hauptbedrohung für die Antarktis", erklärt Rafael Sané, Expeditionsleiter an Bord eines Kreuzfahrtschiffs. Penibel müssen Sané, Lichtenstein und seine Kollegen Protokoll über alles führen, was ihnen während jeder Antarktis-Expedition auffällt: Kommt ein Tier durch einen Menschen zu Schaden? Hat sich eine Pinguin-Population verringert? Wie viele und welche Wale wurden gesichtet? Verändern sich Gletscher? Jeder noch so kleine Vorfall wird in ihren IAATO-Logbüchern vermerkt.

Gefährlicher als Touristen

Sané sieht die Risiken woanders. "Die Versuchung, die Bodenschätze dort auszubeuten, ist die weit größere Bedrohung. Kohle und andere wertvolle Rohstoffe unter dem 4000 Meter dicken Eispanzer, Öl und Gas im Meer - die sind eine große Versuchung. Der Tourismus mit all seinen Regularien ist da durchaus nachhaltig."

Eselspinguine und Touristen (Foto: S. Weniger/ M. Marek).
Eselspinguine sind die häufigsten Bewohner der Antarktis. Sie haben vor Menschen überhaupt keine Scheu.Bild: S. Weniger/M. Marek

Touristen und Guides spazieren zwischen den Pinguinen und ihren Jungen herum. Die Tiere der Antarktis kennen keine Scheu vor Menschen. Zu selten sehen sie welche. Während der zehn Tage, die der Kreuzfahrer durch die Inselwelt kurvt, bekommen ihre Gäste nur ein weiteres Kreuzfahrtschiff aus der Ferne zu sehen.

Nach mehreren Havarien erklärte die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO, eine UNO-Agentur, 2011 die Gewässer südlich des 60. Breitengrades zum Sperrgebiet - und zwar für Schiffe, die mit billigem Schweröl betrieben werden und einen enorm umweltschädlichen CO2-Ausstoß haben. Stattdessen dürfen seitdem nur noch Schiffe, die das teurere Leichtöl verbrauchen, die Region befahren.

Lücken im Antarktisvertrag

Vor dem Union Jack der britischen Forschungsstation tummeln sich Eselspinguine (Foto: S. Weniger/ M. Marek).
Eselspinguine tummeln sich bei der südlichsten Postamt der Erde.Bild: S. Weniger/M. Marek

Zwar wurde im Antarktisvertrag von 1959 festgeschrieben, dass auf dem antarktischen Festland nur zu Forschungszwecken gebohrt werden darf. Das verhindert bis heute die kommerzielle Ausbeutung der Ressourcen. Für das den sechsten Kontinent umgebende Meer gibt es aber keinen vergleichbaren Schutz.

"Die aktuell größte Bedrohung ist aus unserer Sicht die kommerzielle Fischerei", erklärt Meeresschutzexperte Tim Packeiser. "Zum einen geht es um verschiedene Fischarten, die bedroht sind, zum anderen gefährdet der massive Fang von Krill das gesamte Ökosystem". Die Krebstiere sind fundamentaler Teil der Nahrungskette. Ohne Krill keine Wale, keine Robben, Pinguine und Seevögel.

Als die Chance bestand, mit 2,4 Millionen Quadratkilometern im Rossmeer und 1,6 Millionen Quadratkilometern im ostantarktischen Südpolarmeer die größte Meeresschutzzone der Welt zu schaffen, scheiterte das Projekt kläglich.

Für die "Kommission für die Erhaltung der lebendigen Meeresschätze in der Antarktis", kurz CCAMLR, war dies das erklärte Ziel der Konferenz in der norddeutschen Hafenstadt Bremerhaven im Juli 2013. Doch Russland und die Ukraine - beides Nationen, die erhebliche Mengen Krill in antarktischen Gewässern fischen und damals noch nicht verfeindet waren - ließen die Verhandlungen scheitern.

Weddellrobbe schläft am Eis (Foto: S. Weniger/ M. Marek).
Diese Weddellrobbe macht in der antarktischen Mittagssonne ein Nickerchen. Ob Touristen sie dabei beobachten, ist ihr egal.Bild: S. Weniger/M. Marek

Marcel Lichtenstein ist dennoch zuversichtlich. "Das hier ist uns Menschen so fremdartig. Hier sind wir nicht länger Bürger eines Landes. Wir sind Bürger eines Planeten. Man verliert hier seine Nationalität. Und solange kein Land dem anderen etwas gönnt, wird sich zumindest am Status quo der Antarktis auch nichts ändern. Und alles bleibt wie es ist".

So werden auch in Zukunft vor allem Touristen vorsichtig ihren Fuß auf den eisigen Kontinent setzen. Und Pinguine und See-Elefanten werden wie bisher mit ihnen umgehen - sie einfach ignorieren.