Anti-IS-Kämpfer im Gefängnis misshandelt
30. Dezember 2017Auf einem Blatt Papier zeichnet Marcos den Grundriss des kurdischen Gefängnisses, in dem er 95 Tage gefangen gehalten wurde. "Stellen Sie sich eine 65 Quadratmeter große Zelle vor, in der mehr als hundert Menschen untergebracht sind! Wir mussten uns auf die Seite legen, um zu schlafen, oder sogar im Sitzen schlafen", berichtet der 47 Jahre alte Spanier der Deutschen Welle. Er stammt aus Rabanales, einem Dorf im Nordwesten Spaniens.
Marcos, dessen Codename "Dr. Delil" war, ist einer von drei Spaniern, die im vergangenen August in der Generaldirektion für Sicherheit in Erbil eingesperrt wurden, einem riesigen Gelände in der Hauptstadt von Irakisch-Kurdistan. Er hatte als Sanitäter in der Bürgerwehr "Sinjar-Widerstandseinheiten" (YBS) gedient, die die jesidische Minderheit gegen radikale Islamisten schützen soll, gegen den sogenannten "Islamischen Staat" (IS).
Als der IS 2014 sein Massaker an der jesidischen Bevölkerung begann, griff die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ein, um die Einheimischen vor den Angriffen der IS-Terroristen zu schützen. Aber mitten im Kampf gegen den IS kam es im März 2017 zu Zusammenstößen zwischen den Streitkräften der YBS und den kurdischen Peschmerga. YBS kooperiert oft mit den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF), einer multi-ethnischen Koalition, die von Washington unterstützt wird. Doch Ankara wirft ihnen Verbindungen zur PKK vor. Die PKK ist in der Türkei verboten und gilt dort, in den USA und der EU als terroristische Organisation. Enge Beziehungen zwischen Ankara und der regierenden Partei im irakischen Kurdistan, der PDK, haben offenbar zu einer genaueren Überprüfung von YBS und SDF geführt.
Verfeindete Kämpfer in einer Zelle
"Ob ihr Daesh- oder PKK-Kämpfer seid, spielt für uns keine Rolle", sagten Marcos kurdische Entführer ihm oft. Daesh ist der arabische Name für den sogenannten "Islamischen Staat". Die YBS-Freiwilligen behaupten sogar, dass sie ihre einzige WC-Zelle während des größten Teils ihres Aufenthalts mit IS-Kämpfern geteilt hätten. "Der Fernseher war die ganze Zeit eingeschaltet und unangenehm laut: Morgens gab es Koranverse und am Nachmittag lief türkische Musik. Ich denke, ihr Ziel war es, uns vom Schlafen abzuhalten", erinnert er sich.
Den drei Spaniern wurde nicht gesagt, wie lange sie festgehalten werden oder warum. Sie verbrachten die meiste Zeit in ihrer zu kleinen Zelle - mit Ausnahme von 20 Minuten täglich, in denen sie in einem Hof im Kreis laufen mussten. Die Mauern waren schätzungsweise 15 Meter hoch, zwischen ihnen war Drahtgitter gespannt. Die Routine änderte sich manchmal, aber nur zum Schlechteren.
"Nach dem Besuch einer Delegation der spanischen Botschaft haben sie mich in eine Isolationszelle gesperrt. Nach zwei Tagen in kompletter Dunkelheit kam eine Gruppe von fünf Männern herein und hat mich verprügelt", erinnert sich Marcos. Er und sein Zellnachbar hätten die Schreie derer gehört, die in den Isolationszellen gefoltert wurden, "obwohl der Fernseher in voller Lautstärke lief", erzählt er weiter.
Marcos berichtet, dass das Internationale Rote Kreuz mehr als einmal das Gefängnis besucht habe, um sich nach dem Zustand der Häftlinge zu erkundigen. "Es war wie ein Katz-und-Maus-Spiel. Sie hatten eine Handvoll Gefangener in den Zellen zurückgelassen, und die restlichen wurden von einem Ort zum nächsten gebracht, so dass sie (die Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes, d. Red.) uns nicht zu Gesicht bekamen", sagt er.
Am 26. November wurde Marcos freigelassen, 60 Tage, nachdem Robin, ein anderer der drei Spanier, befreit wurde. Der Dritte von ihnen, ein 21 Jahre alter Mann aus Andalusien mit dem Decknamen "Agir", wurde noch länger festgehalten.
"Eine wollte sich umbringen"
"Die Bedingungen waren so unerträglich, dass einige versuchten, Selbstmord zu begehen - entweder mit Stricken, die sie aus ihren Decken drehten, oder sogar mit den Deckeln von Joghurtbechern", erzählt Agir in einem Telefongespräch der DW. Agir sagt, er sei 111 Tage festgehalten worden. Ein französischer Staatsangehöriger, bekannt als "Jambo", hatte bereits über 11 Monate in Gefangenschaft verbracht, als Agir gehen durfte. Jambos Bruder bestätigt der DW per Telefon, dass der Mann immer noch im Gefängnis sei. Aus Angst vor Repressalien durch irakisch-kurdische Behörden will er keine weiteren Details nennen.
Ihre Berichte ähneln denen anderer Männer aus dem Westen, die im irakischen Kurdistan festgehalten werden, wie Robert Daw und Rae Lewis-Ayling, die 40 Tage lang zusammen mit den Spaniern eingesperrt waren. Bevor sie in eine Zelle der Generaldirektion für Sicherheit gebracht wurden, wurde den beiden erklärt, sie würden exekutiert.
Auch Frauen und Kinder gefangen
Die DW sprach auch mit den beiden Amerikanern Patrick Kasprik und John Locke, die für die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) kämpften, eine bewaffnete Miliz in Syrien, und vom 29. November bis zum 22 Dezember im Gefängnis in Erbil eingesperrt waren. Auch sie berichteten von Überfüllung und Misshandlungen. "Alle Gefangenen wurden misshandelt", sagt Kasprik. "Die Wärter schlagen auch Wanderarbeiter und sogar Kinder."
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz im Irak bestätigt der DW, dass ausländische Gefangene in irakischen Gefängnissen festgehalten würden, darunter auch Frauen und Kinder. Eine genaue Anzahl zu nennen, sei jedoch nicht möglich. Ein Sprecher sagt, dass die Organisation wegen einer Gruppe ausländischer Frauen und Kinder von etwa 20 Nationalitäten in Kontakt mit irakischen Behörden und anderen Botschaften stünden. Auch SDF- und PKK-Sprecher bestätigen der DW, dass Kämpfer in irakisch-kurdischen Gefängnissen festgehalten werden.
Daban Shadala, der Vertreter der Regionalregierung von Kurdistan in Spanien, äußert sich zu den Misshandlungsvorwürfen ehemaliger Gefangener nicht. Er erklärt lediglich, dass kurdische und ausländische Kämpfer verhaftet worden seien, weil sie die Visabestimmungen des Irakischen Kurdistan verletzt hätten. Sie hätten die Grenze zwischen dem Irak und Syrien illegal überquert und seien zudem an "militärische Aktivitäten" beteiligt gewesen.