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Russisches Anti-Terror-Gesetz

Roman Goncharenko23. Juni 2016

Im Schatten des Brexit-Referendums stimmt das russische Parlament über Anti-Terror-Gesetze ab, die bürgerliche Freiheiten stark einschränken. Vor allem Aktivitäten in sozialen Netzwerken werden künftig hart bestraft.

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Gebäude von Russlands Parlament, der Staatsduma (Foto: Imago/Russian Look/Konstantin Kokoshkin)
Bild: Imago/Russian Look

Das russische Parlament beendet seine Legislaturperiode mit einem Paukenschlag. Während die Welt über die Folgen des EU-Referendums in Großbritannien spricht, könnten die Abgeordneten der Staatsduma an ihrem letzten Arbeitstag an diesem Freitag ein umstrittenes Gesetzespaket verabschieden. Offiziell geht es um Terror-Bekämpfung, doch es mehren sich Warnungen vor einer massiven Einschränkung bürgerlicher Rechte und Freiheiten. Manche sehen den Kampf gegen die Opposition als das Hauptziel der Maßnahmen. "Faktisch geht es um die Vernichtung derer, die mit der Regierung nicht einverstanden sind", schrieb auf Facebook der unabhängige Parlamentsabgeordnete und Kreml-Kritiker Dmitri Gudkow.

Initiative einer Hardlinerin

Als die jetzige Staatsduma 2011 gewählt wurde, lösten Fälschungsvorwürfe Massenproteste in Moskau aus. Die Legitimität der Abgeordneten wurde infrage gestellt. Doch der Protest verlor an Stärke, einige Aktivisten wurden zu haftstrafen verurteilt. Seitdem hat die Staatsduma mehrere Gesetze verabschiedet, die eine Wiederholung der damaligen Ereignisse erschweren könnten. Ein neues Parlament wird in Russland im September gewählt.

Initiiert wurde das sogenannte Anti-Terror-Paket unter anderem von Irina Jarowaja, und inoffiziell trägt es sogar ihren Namen. Die 49-jährige ehemals liberale Politikerin gilt seit ihrem Wechsel in die Kreml-Partei "Geeintes Russland" als Hardlinerin. 2012 war Jarowaja Mitinitiatorin des international viel kritisierten Gesetzes über Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich seither als "ausländische Agenten" registrieren lassen müssen und sich dadurch diffamiert sehen.

Jugendliche im Visier

Die neuen Gesetze seien notwendig, um Russland "vor Terror und besonders gefährlichen Verbrechen" zu schützen, sagte Jarowaja. Sie sehen die Verschärfung bestehender Strafen und die Einführung neuer Tatbestände vor.So kann man in Russland wegen Terrorismus künftig lebenslänglich hinter Gitter kommen. Die Finanzierung von Terror kann mit 15 statt bisher zehn Jahren bestraft. Künftig mach sich auch strafbar, wer etwas über terroristische Aktivitäten weiß und die Behörden nicht informiert. Das ist ebenso neu wie der Straftatbestand "Beihilfe zu extremistischen Aktivitäten".

Russland Parlament, die Staatsduma (Foto: Imago/Itar Tass/Sergei Savostyanov TASS)
Russlands Parlament will bestehende Strafen verschärfen und neue Tatbestände einführenBild: Imago/Itar Tass/S.Savostyanov

Auch das Strafmündigkeitsalter soll auf 14 Jahre herabgesetzt werden. Dabei geht es nicht nur um Terror. So können Jugendliche auch wegen der "Teilnahme an Massenunruhen" hart bestraft werden. Diese Passage liest sich wie gemacht, um Aufständen vorzubeugen wie dem, der im Winter 2013/2014 in der benachbarten Ukraine stattfand und von jungen Menschen getragen wurde.

Mehr Kontrolle im Internet

Außerhalb der staatlich kontrollierten Medien war das Internet in Russland bisher eine relativ freie Zone. Nach Inkrafttreten der neuen Gesetze dürfte die Meinungsfreiheit auch dort leiden. Wer "extremistische Aktivitäten" im Web betreibt, landet sofort im Gefängnis, eine Geldstrafe ist nicht mehr vorgesehen. Wer in sozialen Netzwerken auch nur ein "extremistisches" Foto teilt, riskiert Freiheitsentzug. In den vergangenen Monaten gab es in Russland immer wieder Fälle, in denen Menschen wegen Äußerungen in sozialen Netzwerken verurteilt wurden.

Auch Internetprovider stehen nun in der Pflicht, die gesamte Kommunikation sechs Monate lang zu speichern und den Sicherheitsbehörden Zugang zu gewähren. Einige Branchenverbände haben dagegen protestiert. Die Maßnahmen würden die Sicherheit und das Privatleben der Bürger bedrohen. Auch Kommunikationsunternehmen baten, diese Änderungen nicht zu verabschieden.

Kritik von Menschenrechtlern

Bereits vor der ersten Lesung im Mai ernteten die "Jarowaja-Gesetze" viel Kritik. Das Paket werde sein erklärtes Hauptziel, die Terrorbekämpfung, nicht erreichen. Zu diesem Schluss kam der präsidiale Menschenrechtsrat. Man erkenne die Absicht, Bürgerrechte "wesentlich zu schwächen", hieß es in einer Erklärung. Der Rat empfahl die Gesetze zu überarbeiten.

Der renommierte Moskauer Menschenrechtler Lew Ponomarjow veröffentlichte in seinem Blog einen dramatischen Appell. Die "Jarowaja-Gesetze" würden alle Kritiker der jetzigen Regierung in Russland vor die Wahl stellen: Flucht oder Gefängnis. Da auch die Flucht ins Ausland erschwert werden könnte, sei das "faktisch ein Eiserner Vorhang", schrieb Ponomarjow.

Änderung im letzten Moment

Für besonders viel Kritik sorgte der Vorschlag, die russische Staatsbürgerschaft entziehen zu können. Die neuen Gesetze sahen zunächst eine Ausbürgerung von verurteilten Terroristen vor, aber auch von Personen, die für ausländische Streitkräfte, Geheimdienste oder Gerichte arbeiten. Doch bei diesem Punkt wurde am Donnerstag überraschend ein Rückzieher gemacht. Alle Passagen über die Ausbürgerung seien entfernt worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur TASS. Die Abgeordneten haben offenbar verstanden, dass sie möglicherweise zu weit gegangen sind.