Antisemitismus im deutschen Sport
23. April 2021"Du Drecksjude" oder "Man hätte dich vergasen sollen" - Beleidigungen wie diese sind für Noam Petry fast schon normal. "Ich würde sagen, das passiert in sieben bis acht von zwanzig Spielen pro Saison", sagt der 17-Jährige, der beim TuS Makkabi Frankfurt Fußball spielt. Seit seinem zehnten Lebensjahr erlebe er als Makkabi-Spieler Antisemitismus. Die Schiedsrichter griffen häufig nicht ein. Einmal habe ein Referee sogar einem Teamkollegen gedroht, ihn vom Platz zu stellen, nachdem dieser Makkabi-Spieler einen Gegner, der ihn antisemitisch beleidigt hatte, als Nazi bezeichnet hatte. "Man fühlt sich hilflos und gedemütigt", sagt Petry der DW. "Manchmal ist es sehr beängstigend."
Eine neue Studie, die von Makkabi Deutschland, dem jüdischen Sportverband mit rund 5500 Mitgliedern, in Auftrag gegeben wurde, zeigt, dass die Erlebnisse des jungen Fußballers aus Frankfurt bei weitem keine Einzelfälle sind. In einer Umfrage, an der sich rund 300 Makkabi-Sportlerinnen und -Sportler beteiligten, gaben 39 Prozent der Befragten an, schon mindestens einmal selbst Opfer eines antisemitischen Vorfalls gewesen zu sein. Im Fußball waren es sogar 68 Prozent. 19 Prozent der Befragten erwähnten antisemitische Vorfälle in den vergangenen sechs Monaten.
"Wir wollten mit der Studie nachweisen, dass es nicht nur die gefühlte Realität ist, sondern die tatsächliche", sagt Alon Meyer der DW. Der Präsident von Makkabi Deutschland verweist darauf, dass die Mehrheit der Makkabi-Mitglieder gar nicht jüdisch sei. Doch auch die nicht-jüdischen Makkabi-Sportlerinnen und -Sportler würden antisemitisch beleidigt, weil der Davidstern im Vereinswappen stehe und sie damit als Juden wahrgenommen würden.
Meyer berichtet von einem Fall, in dem ein Makkabi-Spieler mit einem Messer angegriffen wurde. Er wehrte sich. Beide Kontrahenten landeten schließlich im Krankenhaus und kamen ins Gespräch. Dabei stellte sich heraus, dass beide Spieler iranischer Abstammung waren. Der Angreifer sei perplex gewesen, so Meyer: "Wieso sprichst du persisch? Du bist einer von uns. Du bist ein Idiot. Wenn du mir das gesagt hättest, hätte ich dich nie attackiert." Der Makkabi-Spieler habe darauf geantwortet: "Nein, du bist ein Idiot, weil für dich der Davidstern das Böse symbolisiert. Du hättest mich einfach fragen können, was für ein Mensch ich bin, was hinter dem Trikot steckt."
Meldestelle für antisemitische Vorfälle im Sport
Das Problem gehe weit über den Sport hinaus, sagt Sabena Donath. Sie leitet die Bildungsabteilung beim Zentralrat der Juden in Deutschland. "Wir wissen, dass sich zum Beispiel in den Schulen die Zahl antisemitischer Zwischenfälle in ähnlichen Größenordnungen bewegen." In der Gesellschaft gebe es durchaus ein Interesse an jüdischem Leben, so Donath gegenüber der DW, einige Aspekte seien jedoch offenbar nicht sichtbar genug: "So wissen viele Leute zum Beispiel nicht, dass man als jüdisches Kind, das auf eine jüdische Schule geht, daran gewöhnt ist, hinter Panzerglas zu lernen. Das ist eine jüdische Realität, die viele Bürgerinnen und Bürger nicht kennen."
Makkabi Deutschland und der Zentralrat der Juden haben gemeinsam das Projekt "Zusammen1" ins Leben gerufen, um antisemitischen Tendenzen im Sport zu begegnen. Bei Seminaren und Workshops sollen jüdische Erfahrungen und Perspektiven für Sportvereine, Verbände und andere Interessierte sichtbarer gemacht sowie Vorurteile und Mythen über Juden beseitigt werden. Zudem hat "Zusammen1" gemeinsam mit der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) eine Meldestelle für antisemitische Vorfälle im Sport eingerichtet.
Makkabi-Präsident Alon Meyer weist mit Blick auf das Projekt darauf hin, dass der Sport gerade unter jungen Menschen ein gemeinsamer Nenner sei, den man nutzen könne, um antisemitischen Vorfällen vorzubeugen. Es sei sinnvoll, aus erster Hand über das jüdische Leben zu informieren, findet auch der junge Frankfurter Fußballer Noam Petry. Diese Erfahrung habe er etwa in seiner Schule gemacht, sagt der 17-Jährige: "Nach wenigen Gesprächen haben meine Mitschüler verstanden, dass ihre Vorurteile über Juden Blödsinn sind. In einem Land mit 83 Millionen Einwohnern muss man halt davon ausgehen, dass viele von ihnen noch nie einem Juden über den Weg gelaufen sind."
Adaption: Stefan Nestler