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Mehr Transparenz bei kolonialer Raubkunst

17. Oktober 2019

Eine zentrale Kontaktstelle soll die Rückgabe von Objekten aus der Kolonialzeit erleichtern. Doch der Beschluss von Kulturpolitikern aus Bund, Ländern und Gemeinden stößt auf Kritik. Bringt er die nötige Transparenz?

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Raubkunst? Die Bronzen aus Benin Ausstellung Hamburg
Bild: Michaela Hille

Emmanuel Macron hatte den Stein ins Rollen gebracht. Vor zwei Jahren kündigte der französische Präsident an, Frankreich werde Afrikas Kulturgüter zurückgeben. Seither nahm die Rückgabe-Debatte auch in Deutschland Fahrt auf: Museen durchforsten ihre Sammlungen nach einschlägigen Objekten, Forschungskontakte zu Herkunftsländern wurden intensiviert. Alle versichern ihren guten Willen. Am Mittwoch (16.10.2019) nun legten deutsche Kulturpolitiker nach: Von 2020 an soll es eine "Kontaktstelle für Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten" geben, organisatorisch bei der Kulturstiftung der Länder angesiedelt.

Darauf verständigten sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die Staatsministerin im Auswärtigen Amt für Internationale Kulturpolitik, Michelle Müntefering, die Kulturministerkonferenz (KMK), die Kulturminister und -senatoren der Länder und die kommunalen Spitzenverbände in Berlin. An die Kontaktstelle soll sich wenden können, wer auf der Suche nach vermissten Gegenständen ist, die in deutschen Museumslagern schlummern könnten - vor allem Personen und Institutionen aus den Herkunftsstaaten und –gesellschaften.

Rund 150 Unterzeichner

Deutschland Professor Jürgen Zimmerer
Jürgen ZimmererBild: UHH/Dingler

Die Gründung sei ein "wichtiger Schritt hin zu größtmöglicher Transparenz", erklärten die Kulturpolitiker. Wissenschaftlern geht das jedoch nicht schnell genug. Die Rückgabe von Kolonialobjekten aus deutschen Sammlungen müsse durch eine rasche Öffnung der Museumsinventare beschleunigt werden, verlangen Ethnologen, Historiker, Postkolonialismus-Forscher und Künstler aus Afrika und Europa in einem Appell an die Kulturminister von Bund und Ländern (den Wortlaut finden sie im PDF-Dokument im Anhang).

"Es ist ein Skandal", heißt es darin, "dass es trotz dieser nunmehr zwei Jahre anhaltenden Debatte noch immer keinen freien Zugang zu den Bestandslisten der Museen gibt." Die Kenntnis der Bestände sei aber die Grundlage für jeden Dialog. "Viele in Afrika sagen, wir wissen gar nicht, wo was ist. Wie sollen wir da etwas zurückfordern?", sagt etwa der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer, einer der Unterzeichner, gegenüber der DW. Um Transparenz zu schaffen, seien keine langwierige Datenaufbereitung und abgeschlossene Digitalisierungsprojekte erforderlich, wie oft behauptet werde: "Die Arbeit an den Inventaren wird nie beendet sein!"

Neben Zimmerer haben rund 150 Wissenschaftler, Künstler und Aktivisten den Aufruf unterzeichnet, darunter die in Berlin lehrende Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr. Beide hatten Ende 2018 in einem Aufsehen erregenden Gutachten für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron empfohlen, aus der Kolonialzeit stammende Kunstwerke an die Herkunftsländer in Afrika zurückzugeben. Zimmerer begründet den Appell mit eindringlichen Worten: "Man muss jetzt endlich diese postkoloniale Debatte führen und dafür Transparenz schaffen!" Es gelte, verlorengegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. "Und das geht nur, wenn man offen sagt, was da ist. Und ohne dass die Museen oder politische Instanzen kontrollieren, was man sehen kann und was nicht."

Die Säule von Cape Cross
Nach langem Streit gab das Deutsche Historische Museum in Berlin diese Säule von Cape Cross an Namibia zurück.Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Aufwendige Recherchen?

"Wir brauchen Transparenz", betont auch die Direktorin des Bremer Übersee-Museums, Wiebke Ahrndt. Doch gehe die Kritik des Appells an den Realtitäten in den Museen vorbei: "Wir tun im Moment mit den Bordmitteln, die wir haben, das Beste, was wir können", beteuerte sie gegenüber der DW. "Wir wollen alle mehr tun. Es braucht aber die finanzielle Ausstattung, damit wir das nötige Personal für diese Arbeit haben." Die Aufarbeitung der Sammlungsbestände sein ein "mühseliges Geschäft" und ihre Digitalisierung sei erst recht aufwendig. Für den Deutschen Museumsbund, dessen Co-Vorsitzende sie bis vor kurzem war, hat Ahrndt die Arbeit an einem Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten geleitet. Daran waren Wissenschaftler aus vielen Ländern beteiligt, unter ihnen der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer.

Einladung an die Initiatoren des Appells

Wiebke Ahrndt Direktorin Überseemuseum Bremen
Wiebke AhrndtBild: picture-alliance/dpa/M. Scholz

Die Initiatoren des Appells sollen in die Arbeitsgemeinschaft von Bund und Ländern eingeladen werden, die sich mit dem Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten befasse, kündigte der Vorsitzende der Kulturministerkonferenz, Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda, jetzt an. "Dann kann im direkten Gespräch geklärt werden, wie wir möglichst gut und schnell vorankommen."

Die neue Kontaktstelle soll je zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert werden. Sie soll im ersten Quartal 2020 ihre Arbeit aufnehmen. Eisenachs Oberbürgermeisterin Katja Wolf als Stellvertreterin des Präsidenten des Deutschen Städtetages erklärte, auch Städte, Kreise und Gemeinden stellten sich "als Träger der meisten öffentlichen Museen, Archive und Bibliotheken der Verantwortung, die deutsche Kolonialgeschichte aufzuarbeiten".