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"Arabische Machteliten verpassen Chance"

20. Januar 2011

Durch ihre offensichtliche Unfähigkeit, Lehren aus der tunesischen Revolution zu ziehen, sind arabische Machteliten dabei, eine einmalige Chance zu verpassen, echte Reformen einzuleiten, meint Ibrahim Mohamad.

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Bild: DW

Unmittelbar nach dem Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali beeilten sich fast alle arabischen Machthaber, Maßnahmen gegen die Preissteigerungen von wichtigen Grundnahrungsmitteln und Kraftstoffen zu treffen. In Jordanien, Ägypten, Mauretanien und Syrien betreffen diese Maßnahmen vor allem Zucker, Reis und Heizöl. In Algerien und Libyen hatten die Regierungen bereits vor dem Sturz Ben Alis ähnliche Schritte unternommen.

Doch diese Reaktionen arabischer Herrscher auf die tunesische Revolution lassen ihre offensichtliche Unfähigkeit erkennen, die wahre und historische Lektion dieses politischen Erdbebens zu erfassen. Dringend benötigte Reformen in politischen und gesellschaftlichen Bereichen werden umgangen. Stattdessen kümmern sie sich nur um ein einziges Problem – die steigenden Preise.

Doch die Umwälzungen in Tunesien zeigen unmissverständlich, dass die Hauptprobleme der arabischen Staaten in erster Linie politischer Natur sind. Dazu zählen unter anderem die weitverbreitete Korruption, die ungleiche Verteilung des Wohlstands und die fehlenden Arbeitsplätze, vor allem für junge Leute.

Ibrahim Mohamad (Foto: DW)
Ibrahim Mohamad - Nahost-Experte der Deutsche Welle

Auf Kosten der Bevölkerung

Die westliche Welt bezeichnete die wirtschaftlichen Erfolge von Ländern wie Tunesien einst als Wirtschaftswunder. Doch auch das konnte in Tunesien keine politische Stabilität garantieren. In der Tat haben die meisten arabischen Staaten durch eine wirtschaftliche Öffnung ein hohes Wirtschaftswachstum erreicht. Doch die Früchte dieses Wachstums erntet meistens eine verschwindend kleine Minderheit um den jeweiligen Machthaber. Dies geschieht auf Kosten der breiten Mehrheit der Bevölkerung, deren Lebensstandard unter den ständigen Preiserhöhungen leidet.

Auch politisch hat sich in den meisten Ländern der arabischen Welt bisher wenig verändert. Nach der Machtübernahme versprechen die Herrscher die Bekämpfung der Korruption, die Zulassung oppositioneller Parteien und den Schutz der Meinungsfreiheit. Das Gegenteil davon ist leider Realität geworden. Nach einer kurzen politischen und wirtschaftlichen Öffnung haben sie ihre Länder in Polizeistaaten umgewandelt. Unter dem bekannten Vorwand der Terrorismusbekämpfung drückt der Westen die Augen zu.

Entzug der Grundrechte

Auf gesellschaftlicher Ebene beschränken die Machthaber die Aktivitäten der Zivilgesellschaft auf soziale Dienstleistungen wie Gesundheit, Berufsausbildung oder Umweltschutz. Auch die zugelassenen Medien dürfen keine umstrittenen politischen oder gesellschaftlichen Themen ansprechen. Die Folge: Den Bürgern werden Grundrechte wie Freiheit und Gerechtigkeit weiter vorenthalten. Stattdessen weiten sich die Korruptionsfälle ebenso aus wie die brutalen Unterdrückungsmethoden gegen die eigenen Bürger, deren Würde kaum beachtet wird.

So sind arabische Machteliten dabei eine historische Chance zu verpassen, echte politische Reformen in ihren Ländern einzuleiten. Vor dem 14. Januar 2011 erschien es fast undenkbar, dass die „arabische Straße“ einen Machtwechsel herbeiführt. Aber mit dem Sturz Ben Alis an diesem Tag könnten künftig Volksaufstände inklusive politischer Reformen in arabischen Ländern viel schneller Realität werden – entgegen allen Erwartungen der Experten.

Autor: Ibrahim Mohamad
Redaktion: Mechthild Brockamp/Diana Hodali