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Argentinien: Gerechtigkeit für Omar Marocchi

24. Juli 2020

Während der argentinischen Militärdiktatur ließ das Regime um Machthaber Videla 30.000 Oppositionelle ermorden und verschwinden. Einer von ihnen war Omar Marocchi. Der mutmaßliche Täter lebt heute unbehelligt in Berlin.

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Omar Marocchi Opfer der argentinischen Militärdiktatur
Bild: Privat

Den 18. September 1976 kann Anahí Marocchi nicht vergessen. Zusammen mit ihrer Mutter ist sie in Tandil, einer Stadt 350 Kilometer südwestlich von Buenos Aires, als sie erfährt, dass ihr geliebter, zwei Jahre jüngerer Bruder Omar verschwunden ist. Noch heute erinnert sich Marocchi, wie sie und ihre Mutter im Bad zusammenbrechen. Seit dem 18. September 1976 fehlt von dem damals 19-jährigen Omar Marocchi und seiner Freundin Susana Valor, die zu dem Zeitpunkt im dritten Monat schwanger ist, jede Spur.

44 Jahre später hofft Anahí Marocchi auf ein weiteres Stück Gerechtigkeit. Sie sagt: "Hier geht es nicht nur um Omar, um eine Person. Ich stehe für alle Opfer der argentinischen Militärdiktatur und für alle, die für Gerechtigkeit kämpfen."

Anahi Marocchi Schwester von Omar Marocchi | Opfer der argentinischen Militärdiktatur
Hofft auf Gerechtigkeit: Anahí MarocchiBild: Privat

Mutmaßlicher Täter lebt in Deutschland

Denn der Mann, der mutmaßlich etwas mit dem Mord an Omar Marocchi zu tun hat, ist jetzt in Berlin entdeckt worden, wo er seit sieben Jahren unbehelligt lebt. Luis Esteban Kyburg, stellvertretender Befehlshaber einer Elite-Marineeinheit, die nachweislich an Völkerstraftaten beteiligt war: Oppositionelle wie Marocchi wurden in die geheime Haftanstalt in Mar del Plata verschleppt und sexuell missbraucht, gefoltert und getötet.

Der heute 72-jährige Kyburg wird seit Jahren per Haftbefehl international gesucht und ist angeklagt, an der Entführung und Ermordung von 152 Menschen beteiligt gewesen zu sein. Während andere Militärangehörige bereits für diese Verbrechen in Argentinien verurteilt wurden, lebt Kyburg auf freiem Fuß, mitten in der deutschen Hauptstadt.

2013 floh er nach Berlin, als er in einem Verfahren in Argentinien aussagen sollte. Zwar hat das südamerikanische Land schon 2015 seine Auslieferung gefordert, aber Kyburg schützt sein deutscher Pass. Nun hat sich die Berliner Staatsanwaltschaft dem Fall angenommen und kooperiert mit den Staatsanwälten in Mar del Plata und Buenos Aires.

Wolfgang Kaleck
Vertritt Angehörige der Militärdiktatur-Opfer: Anwalt Wolfgang KaleckBild: picture alliance/P. Kuchler

"Kyburgs Staatsangehörigkeit darf ihn nicht vor Strafverfolgung schützen. Der Fall von Omar Marocchi ist nur einer von vielen Tausenden, die in Argentinien gefoltert, getötet, missbraucht und verschleppt worden sind", sagt Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Gründer und Generaldirektor des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in Berlin, "Deutschland muss seiner Verantwortung gerecht werden und ihn hier vor Gericht stellen."

1976 beginnt das Regime mit den Morden an Oppositionellen

Während der argentinischen Militärdiktatur ließ das Regime um General Jorge Videla schätzungsweise 30.000 Oppositionelle "verschwinden". Sicherheitskräfte kidnappten die "Desaparecidos", brachten sie in geheime Folterzentren und ermordeten sie.

Oft wurden sie in den Todesflügen, den "vuelos de la muerte", über dem Atlantik abgeworfen, sediert oder bereits tot. Auch etwa 100 Deutsche und Deutschstämmige waren unter den Opfern, die bekannteste war Elisabeth Käsemann, die Tochter des berühmten Tübinger Theologen.

Elisabeth Käsemann Bürgerrechtlerin
Die Deutsche Elisabeth Käsemann wurde am 24. März 1977 in Argentinien ermordetBild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Anahí Marocchi hat sich schon kurz nach dem Verschwinden ihres Bruders Menschenrechtsorganisationen angeschlossen, steht seitdem auch mit den Müttern und Großmüttern der Plaza de Mayo seit Jahrzehnten in Kontakt. "Das alles ist kein kurzer Kampf. Die Suche nach den Verantwortlichen beschäftigt mich seit Jahrzehnten", sagt sie.

Kyburg sei dabei eine wichtige Figur in einem perfekt organisierten Netzwerk: "Wir waren immer davon überzeugt, dass es für diesen systematischen Plan der Junta eine riesige Organisation von Menschen geben muss. Und es fehlten immer Verantwortliche."

Anahí Marocchi appelliert an die deutsche Justiz

In den vergangenen Wochen hat Marocchi viel Zuspruch erhalten. WhatsApp-Nachrichten, SMS und Mails: viele alte Schulfreunde ihres Bruders forderten sie auf, durchzuhalten und weiterzumachen. "Das hat mir unheimlich gut getan", sagt sie. Längst ist der Fall Kyburg auch in den argentinischen Medien Thema.

"Es ist wahrscheinlich, dass er sehr viel über meinen Bruder weiß", erklärt Anahí Marocchi. Natürlich würden sich die Angeklagten immer weigern, Informationen herauszugeben und darauf beharren, unschuldig zu sein, doch sie hofft immer noch, mehr zu erfahren: "Ich suche Antworten. Ich will wissen, wie mein Bruder gestorben ist."

Susana Valor Freundin von Omar Marocchi | Opfer der argentinischen Militärdiktatur
Susana Valor, Omar Marocchis Freundin: Noch heute ist ungewiss, was aus ihrem Kind wurdeBild: Privat

Doch Kyburg kann weiter hoffen, ungeschoren davon zu kommen. Denn die Berliner Staatsanwaltschaft muss ihm den Mord an Omar Marucchi nachweisen. Dazu braucht es Aussagen von Zeugen, Experten und Gutachtern aus Argentinien. Der Fall Kyburg kann sich also noch Jahre hinziehen.

Anahí Marocchi wird trotzdem nicht aufgeben. In Argentinien hat es Jahrzehnte gebraucht, um die verantwortlichen Militärs zur Rechenschaft zu ziehen. "Deutschland darf kein Zufluchtsort für einen Mann sein, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat", sagt sie, "Kyburg muss sich seiner gerechten Strafe stellen. Auch als Signal für die Zukunft, weil sich sonst solche Verbrechen wiederholen werden."