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Argentinien: "Res Publica Schlitzohris"

14. August 2002

Das an Bodenschätzen reiche südamerikanische Land, in dem Milch und Honig fließen könnten, ist ein krasses Beispiel für die zerstörerische Wirkung von Korruption, Vetternwirtschaft und "kreativer Buchführung".

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Pleiten im SchlaraffenlandBild: AP

Argentinier seien "Faulpelze, Schwindler, Diebe und korrupt", sagte kürzlich niemand geringeres als der katholische Bischof Artemio Staffolani aus der Provinz Cordoba. Das schlechte Beispiel führender Politiker, Richter und Unternehmer verleitet zudem auch ganz normale Bürger zum Schummeln und Tricksen, wo es nur geht.

"Probier's mal mit Gemütlichkeit"

Krise in Argentinien
Wirtschaftskrise in ArgentinienBild: AP

Jeder Argentinier quillt über an Geschichten und Anekdoten über die Schlitzohrigkeit der Landsleute. Da hält sich der Senat eine teure Autowerkstatt, obwohl es gar keine Dienstwagen gibt, Abgeordnete sollen eine Art Mautgebühr für fast jedes Gesetz kassieren, der Bürgermeister einer Provinzstadt verschleudert den Haushalt für eine Statue seiner Lieblingstochter auf dem Marktplatz.

Beamte streichen einen Teil der Sozialhilfe in die eigene Tasche, der Einkaufschef einer Supermarktkette kassiert von jedem Lieferanten einen Obolus und Richter werden nach Gusto ernannt und geschasst. Die Liste mal komischer, mal tragischer Fälle ließe sich beliebig fortsetzen.

Überlebenstraining im "argentinischen Sumpf"

Demonstrationen in Argentinien
Proteste gegen die MisswirtschaftBild: AP

Nur der immense natürliche Reichtum des dünn besiedelten Landes hat eine solche Misswirtschaft jahrzehntelang möglich gemacht, ohne dass es ans Eingemachte ging. "Die Welt gehört den Gerissenen", kommentierten nicht ohne Stolz viele der wendigen und äußerst schnell lebenden Argentinier.

Je eleganter und gründlicher einer das System aufs Kreuz legte, desto größer die Anerkennung. Es soll internationale Konzerne geben, die ihre Nachwuchskräfte zur Feuerprobe in die argentinische Niederlassung schicken. Wer dort Erfolg hat, dem kann niemand nirgendwo mehr etwas vormachen.

Den Gürtel merklich enger schnallen

Bankenkrise in Argentinien
Die Bankguthaben verfallenBild: AP

Nun aber sind die Kassen leer, und es setzt Heulen und
Zähneklappern ein. Noch 1983 lebten nur vier Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Nach 19 Jahren der Privatisierung aller wichtigen Staatsbetriebe und einem Anwachsen der Auslandsschulden auf mehr als 140 Milliaren Dollar (159 Milliarden Euro) sind es nun fast 50 Prozent. Die besten Köpfe des Landes suchen ihr Heil in Europa und in den USA.

Es ist was faul im Staate Argentinien

Als eine "kriminelle Vereinigung der Korruption" bezeichnet der argentinische Vorsitzende der internationalen Stiftung "Transparencia", Carlos March, sein Heimatland. Großunternehmen kauften Kandidaten, noch bevor sie überhaupt gewählt seien. Die Parlamente würden dann widersprüchliche Gesetze erlassen, deren Einhaltung eine korrupte Justiz nicht durchsetze und die Exekutive sei von den verschieden Lobbygruppen "gekapert".

Inzwischen jedoch läuft die Mittelschicht Sturm gegen die sich fast alle zehn Jahre wiederholdende Vernichtung ihrer Ersparnisse. Die Caserolazos, das Trommeln auf Kochtöpfen und alles, was Krach macht, ist Ausdruck einer sich schnell ändernden Haltung der Bevölkerung. Politiker können sich kaum noch in der Öffentlichkeit blicken lassen. "Hier stinkt es so nach Scheiße", musste sich ein Senator während eines Inlandsfluges anhören, nachdem ihn Mitreisende erkannt hatten. "Wenn wir etwas ändern können, dann jetzt", sagt
March. (dpa/arn)