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Argentinien trauert um Diego Maradona

25. November 2021

Vor einem Jahr, am 25.November 2020, starb der vielleicht beste Fußballer der Welt. Sein Leben war ein einziges Drama, nach seinem Tod geht es weiter.

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Wandgemälde von Diego Maradona in Buenos Aires
Oft in der Hölle, doch am Ende im Himmel: der Menschlichste unter den Göttern, wie viele Argentinier sagenBild: Gustavo Garello/AP Photo/picture alliance

24 Jahre dauerte die Odyssee von Evita Peróns Leiche, dem "Engel der Armen" an der Seite ihres Gatten und argentinischen Präsidenten Juan Domingo Perón. Ihr Leichnam lag zunächst 1952 im Büro einer Gewerkschaft in Buenos Aires, wurde als Maria Maggi nach Italien überstellt und in Mailand begraben, dann nach Spanien überführt, wo sie eine Zeit lag auf einem Dachboden verstaut wurde, ehe sie 1976 endlich ihre Ruhe auf dem Friedhof Recoleta in Buenos Aires fand. Auf dem langen Weg wurde Evita ein Finger abgeschnitten, Kopien ihres toten Körpers aus Wachs angefertigt, Militärs sollen sich an ihrer Leiche vergangen haben.

Wer glaubt, so eine Story könnte unmöglich noch einmal passieren, der kennt Argentinien schlecht. Eine Ultra-Fangruppierung seiner letzten Trainerstation Gimnasia y Esgrima La Plata wollte während der Totenwache das Herz der Fußballlegende Diego Maradona stehlen. Weil Sicherheitsbehörden davon Wind bekamen, und um die genaue Todesursache festzustellen, kam man den Anhängern zuvor und entfernte das Organ. Das behauptet der Neurologe und Journalist Nelson Castro: "Diego Maradona wurde ohne Herz beigesetzt."

Journalist Nelson Castro
"Für die meisten Argentinier ist und bleibt Maradona mit all seinen Fehlern ein Idol" - Nelson CastroBild: privat

Maradonas Herz, schildert Castro nach der Durchsicht von Dutzenden Papieren, wog ein halbes Kilo und symbolisiert ziemlich gut seine ganze Lebensgeschichte: zum einen ein Sportlerherz, dass 200 Gramm mehr wiegt als das eines normalen Menschen. Das aber auch so schwer ist, weil es durch Insuffizienz und Erkrankung schwer geschädigt war.

Maradona ist schon drogenabhängig, als er mit Argentinien den Weltmeistertitel holt

"Die Gesundheit von Diego - Die wahre Geschichte" heißt das jüngst erschienene Buch, in dem Castro akribisch und zum ersten Mal alle Krankheiten Maradonas seit Beginn seiner fußballerischen Karriere auflistet. Und dann aus Ärztesicht die letzten Tage vor seinem Tod durch Herzinfarkt von Minute zu Minute rekapituliert, mit der kompletten medizinischen und bestätigten Dokumentation. "Viele Menschen sind geschockt, wie viele und vor allem wie viele schwere Krankheiten Maradona im Laufe seines Lebens tatsächlich hatte", sagt Castro.

Schon 1986, als Maradona Argentinien zum Weltmeistertitel führte und ihm die ganze Welt zu Füßen lag, sei Maradona drogenabhängig gewesen. Dann kamen noch Alkoholexzesse, der Kontrollverlust bei der Ernährung und die Sexbesessenheit dazu. Gerade erst hat eine Frau aus Kuba Maradona vorgeworfen, als Minderjährige von ihm missbraucht, vergewaltigt und gegen ihren Willen festgehalten worden zu sein.

Die Kubanerin Mavys Álvarez zeigt ein Bild mit Fidel Castro aus Havanna
Opfer von Maradona? Die Kubanerin Mavys Álvarez zeigt ein Bild mit Fidel Castro aus HavannaBild: Gustavo Garello/AP Photo/picture alliance

Könnte Maradona noch leben?

Maradonas Lebensstil, der laut Castro absolut selbstzerstörerisch war, ist das eine. Das andere sind die Umstände seines Todes. Zwölf Stunden soll Maradona hilflos und allein mit dem Tod gerungen haben, die Staatsanwaltschaft hat Mordanklage gegen Leibarzt Leopoldo Luque, die Psychiaterin und fünf Pflegekräfte wegen unterlassener Hilfeleistung erhoben. Ihnen drohen zwischen acht und 25 Jahren Haft. "Ich weiß nicht, ob jemand wegen Maradonas Tod ins Gefängnis wandert. Was ich weiß ist, dass es große Fehler der Ärzte gab, die Maradona die letzte Chance verwehrten, mit seiner Herzinsuffizienz zu überleben", sagt Castro.

Maradona war gerade einmal 14 Jahre alt, sein Stern noch nicht aufgegangen, als Nelson Castro ihn als einer der ersten Journalisten interviewen konnte. Beim letzten Gespräch der beiden war der Fußballer wütend, erinnert sich Castro, weil er die Majestätsbeleidigung begangen hatte, Maradona mit seinen Fehlern zu konfrontieren. "Diego sah dich dann sofort als Feind, wenn du es wagtest, sein Verhalten zu kritisieren. Er war ein Mensch, der wegen seiner Omnipotenz meinte, sich nicht an Regeln halten zu müssen. Ich bezweifle aber, dass Argentinien aus seinem tiefen Fall lernt."

Der Fall Maradona: Ärztefehler und Bereicherung

Das Leben und der Tod von Diego Armando Maradona bieten genug Stoff für eine Telenovela, tatsächlich wurde seine Lebensgeschichte gerade erst verfilmt. Doch Maradona hatte wohl schon so eine Vorahnung, dass da noch eine weitere Staffel hinzukommen könnte: "Nicht einmal tot werde ich meinen Frieden finden. Sie benutzen mich, wenn ich am Leben bin und sie werden den Moment finden, dies zu tun, wenn ich tot bin."

Ein Hauptdarsteller wird dann sicherlich Mario Baudry sein. Der Rechtsanwalt hat 20 Jahre als Journalist gearbeitet, war Stabschef des Sicherheitsministers der Provinz Buenos Aires und, besondere Pointe, vertritt im Prozess Maradonas jüngsten Sohn, den achtjährigen Diego Fernando, der gleichzeitig Baudrys Stiefsohn ist. Baudry sagt: "Diejenigen, die Diego Maradona ermordet haben, müssen für ihre Straftaten bezahlen!"

Rechtsanwalt Mario Baudry
“Ich hoffe auf Gerechtigkeit, befürchte aber, dass uns die argentinische Justiz einmal mehr enttäuschen wird“ - Mario BaudryBild: privat

Spricht man mit Baudry am Telefon, redet sich der Rechtsanwalt immer mehr in Rage. Er kann die ganze Latte von Fehlern der Ärzte in den letzten Jahren herunterbeten, weiß, wie sich Menschen aus Maradonas engstem Umfeld schon vor seinem Tod hemmungslos an ihm bereicherten und erzählt von seinem täglichen Kampf gegen die Windmühlen der argentinischen Justiz. "Wenn Diego das hier sehen könnte, würde er schreien, dass sie seinen Kindern endlich das gestohlene Geld zurückgeben."

Gedenken an den "Goldjungen"

Am Donnerstag, ein Jahr nach Maradonas Tod, wird wieder ein ganzes Land in Trauer versinken und sich an den Mann erinnern, der wegen seiner Höhen und Tiefen besser als jeder andere Argentinien repräsentiert. Schon Ende Oktober waren alle Spiele der ersten Fußball-Liga für eine Minute unterbrochen worden, um Maradona zu gedenken und ihn zu feiern. Natürlich in Minute 10, seiner Rückennummer.

Häuserwand in Neapel mit Bild von Maradona
Diego Maradona ist auch nach seinem Tod allgegenwärtig - wie hier auf einer Häuserwand in NeapelBild: Alessio Paduano/dpa/picture alliance

Auch Neapel wird schwarz tragen und sich vor Maradona verneigen, der den vorher erfolglosen Club zweimal zum italienischen Meister machte und der Stadt seinen Stolz gegenüber dem verhassten Norden wiedergab. Geplant sind ein Trauergottesdienst, die Enthüllung einer Statue und eine Spezialsendung im italienischen Fernsehen. Die Zeitung "Il Mattino" titelt genau das, was viele in Argentinien und Italien an diesem besonderen Tag denken: "Maradona lebt!". 

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur