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Argentiniens doppelte Krise: Düstere Zukunftsaussichten?

Isabella Escobedo
16. August 2023

Drei Kandidaten gehen im Oktober für die Präsidentschaft in Argentinien ins Rennen. Wer kann das Land aus der politischen und wirtschaftlichen Krise führen?

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Die drei Präsidentschaftskandidaten Javier Milei, Sergio Massa, Patricia Bullrich
Javier Milei, Sergio Massa und Patricia Bullrich treten bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober anBild: Juan Mabromata/Luis Robayo/AFP/Getty Images

Bei den Vorwahlen (PASO) in Argentinien ist der umstrittene libertäre Populist Javier Milei überraschend auf dem ersten Platz gelandet. Er holte mehr als 30 Prozent der Stimmen und triumphierte in 16 von 24 Provinzen im Land. Milei bezeichnet sich selbst als "Anarcho-Kapitalist", ist gegen die etablierten politischen Kräfte im Land und will radikale Wirtschaftsreformen durchsetzen. Sollte Milei Präsident werden, könnte dies die politische Landschaft Argentiniens dramatisch verändern. Die Vorwahlen gelten traditionell als wichtiger Stimmungstest für die anstehenden Präsidentschafts- und Kongresswahlen im Oktober. 

"Die PASO-Wahlen haben ein neues wirtschaftliches und politisches Szenario geschaffen", sagt Jerónimo Pinedo, Doktor der Sozialwissenschaften und Dozent an der Nationalen Universität von La Plata, im Gespräch mit DW. Argentinien befindet sich seit Jahren in einer schweren Krise, geprägt von tiefen ideologischen Spaltungen zwischen politischen Akteuren und einer Wirtschaft die unter hoher Inflation, Auslandsschulden und einer anhaltenden Rezession leidet. Nach den Vorwahlen reagierten auch die Märkte prompt auf den überraschenden Sieg des Ökonomen Milei: Der offizielle Dollarkurs stieg um 20 Prozent und die Argentinische Zentralbank erhöhte die Zinssätze.

Die Herausforderung für die kommende Regierung wird darin bestehen, sowohl politisches Vertrauen wiederherzustellen als auch wirtschaftliche Stabilität zu schaffen, um das Land aus der Krise zu führen. Im Oktober werden die Argentinier und Argentinierinnen entscheiden, wem sie diese Aufgabe anvertrauen: dem libertären Populisten Javier Milei, Sergio Massa vom linken Regierungslager oder der konservativen Oppositionellen Patricia Bullrich. Doch wofür stehen die drei Kandidaten?

Javier Milei an einem Rednerpult am Wahlabend
Der libertäre Populist Javier Milei gewinnt überraschend die Vorwahlen in ArgentinienBild: REUTERS

Milei: Provokant und gegen das System

Trotz der mit 69 Prozent niedrigen Wahlbeteiligung, markiert Mileis fulminanter Sieg bei den Vorwahlen einen Wendepunkt in der politischen Landschaft. Er sorgt nicht nur durch sein provokantes Auftreten für Kontroversen, sondern auch durch seine Anti-Establishment-Haltung. Der 52-jährige Ökonom macht die "politische Kaste" für die nationale Krise verantwortlich. "Wir werden der parasitären und nutzlosten politischen Kaste in diesem Land ein Ende setzen", sagte er in einer Rede nach dem Wahlsieg.

Milei befürwortet tiefgreifende neoliberale Wirtschaftsreformen. So will er unter anderem den US-Dollar als offizielle Währung einführen, die Zentralbank abschaffen und Unternehmen des öffentlichen Bildungs- und Gesundheitswesens privatisieren. Doch seine Ideen sind umstritten. Sollte Milei die Präsidentschaftswahlen gewinnen, "würde dies wahrscheinlich zu noch mehr Armut und Ausgrenzung und zu noch mehr Ungleichheit führen", meint Pinedo.

Ob er sich mit seinen Plänen letztlich durchsetzen kann, sei aber laut Susanne Käss, Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Argentinien, noch nicht klar. Selbst wenn Javier Milei Präsident werden sollte, würde ihm im Senat und in der Abgeordnetenkammer die nötige Unterstützung fehlen, um die von ihm vorgeschlagenen radikalen Reformen umzusetzen: "Er könnte dann nicht einfach hier durchmarschieren und das Land völlig ohne jegliche Kontrolle umkrempeln."

Javier Milei spricht in ein Mikrofon
Der Präsidenschaftskandidat Javier Milei kommt vor allem bei den jungen Argentiniern gut an Bild: Manuel Cortina/ZUMA Wire/IMAGO

Liberalismus triumphiert

Für die rechtsliberale Oppositionsallianz "Juntos por el Cambio" (Gemeinsam für den Wechsel) wird Patricia Bullrich im Oktober ins Rennen um die Präsidentschaft gehen. Die Vorsitzende der Partei des ehemaligen Präsidenten Mauricio Macri erhielt fast 17 Prozent der Stimmen. Der andere Kandidat von "Juntos por el Cambio", Horacio Larreta, erhielt elf Prozent der Stimmen, womit die Partei einen Gesamtanteil von rund 28 Prozent erreichte.

Obwohl ihre Vorschläge eine gewisse ideologische Nähe zu Milei erkennen lassen und sie liberale Positionen vertritt, ist Bullrich eine traditionelle Politikerin, die im Gegensatz zu Milei, die Institutionen des Landes erhalten und respektieren will.

Dies ist jedoch nicht der einzige Unterschied zwischen den beiden Kandidaten. Patricia Bullrich positioniert sich eindeutig gegen die Dollarisierung, die Milei so vehement befürwortet. Allerdings "will sie die differenzierten künstlich festgesetzten Wechselkurse mit sofortiger Wirkung abschaffen, falls sie Präsidentin wird", erklärt Susanne Käss. Das würde bedeuten, dass es keine Beschränkungen mehr beim Ankauf von Devisen gäbe. Bullrich will so den Peso stärken und die Wirtschaft stabilisieren

Argentinien: Hohe Inflation verschärft Armut

Doch auch Patricia Bullrich hätte es als Präsidentin wohl nicht leicht. Obwohl die ehemalige Innenministerin einige politische Ideen Javier Mileis teilt, könnte sie im Falle eines Wahlsiegs wahrscheinlich nicht auf seine Unterstützung hoffen, um ihre Projekte durchzusetzen. "Er tritt an als Antipolitiker”, erklärt Carl Moses, ein auf Argentinien spezialisierter unabhängiger Wirtschafts- und Politikberater gegenüber der DW, "sobald er dann als Juniorpartner in eine Regierung gehen oder sie unterstützen würde, würde sein ganzes Narrativ ja in sich zusammenbrechen."

Sergio Massa: der Gegenspieler

Sergio Massa präsentiert sich als Gegenspieler des liberalen Flügels der politischen Landschaft. Der derzeitige Wirtschaftsminister vertritt die Regierungsallianz "Unión por la Patria" (Union für das Vaterland), die viele als den großen Verlierer der Vorwahlen sehen. Die beiden Kandidaten der Partei erhielten zusammen rund 27 Prozent der Stimmen, etwa 21 Prozent entfielen auf Massa. Mit seinem Amt als Minister hat Massa im vergangenen Jahr die schwierige Aufgabe übernommen, das Land aus der tiefen Wirtschaftskrise zu führen. Zwar hat er es geschafft, die Krise zu verwalten, meint der Soziologe Jerónimo Pinedo, "aber er war nicht in der Lage, sie zu lösen".

Argentinische Banknote von 2.000 Pesos
Argentinien befindet sich seit Jahren in einer schweren WirtschaftskriseBild: Luis Robayo/AFP

Auch als Präsident würde ihm dies womöglich nicht gelingen, so Käss: "Am Status quo würde sich nicht viel ändern, denn das, was er vorschlägt, sind ja die Rezepte, die auch unter der derzeitigen Regierung ohnehin schon angewandt werden. "Die Politik, wie sie aktuell in Argentinien betrieben wird, hat ein geringes Haltbarkeitsdatum, meint auch der Berater Carl Moses: "Wenn Argentinien Glück hat, kommt man mit der aktuellen Politik bis zu den Wahlen." Danach müssten die Weichen neu gestellt werden, um Argentinien wieder mittelfristig kreditfähig zu machen. 

Auch wenn Massa keine radikalen Reformen vornimmt, bringt er einen großen Vorteil mit sich: Er könnte eine größere, stabilere Koalition bilden, da er ideologisch nicht so festgelegt ist, wie seine Gegner, so Moses. Das Problem in Argentinien sei seiner Ansicht nach nicht wirtschaftlicher, sondern eher politischer Natur: "Was Argentinien braucht, ist eine Regierung, die eine stabile Basis hat." Etwas, das bislang keiner der drei Kandidaten zu bieten scheint.