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ASEAN hat Defizite in der Wirtschaftsintegration

Thomas Kohlmann20. November 2015

Beim ASEAN-Gipfel in Malaysia spielt der Kampf gegen den Terror eine zentrale Rolle. Doch es geht auch um die weitere wirtschaftliche Integration - und da hat der Staatenbund Nachholbedarf, meint Experte Daniel Müller.

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Malaysia, Kuala Lumpur Petronas Towers
Bild: AP

Immer wieder wird der ASEAN-Staatenbund mit der Europäischen Union verglichen und viele ihrer Repräsentanten blicken regelmäßig nach Europa. Doch im Gegensatz zur EU stand seit dem Start des ASEAN-Projekts Ende der 1960er Jahre nie die Vision eines staatlich vereinigten Südostasien ernsthaft zur Debatte. Schon in der Gründungs-Charta wurde die für die Region charakteristische "No interference"-Politik verankert: Handel treiben ja, aber bloß keine Einmischung! Aus dem innenpolitischen Geschehen der ASEAN-Partner haben sich deren Mitglieder herauszuhalten. Anders wäre es wohl kaum denkbar, dass Länder wie das kommunistisch regierte Vietnam oder das vom Militär dominierte Myanmar mit eher demokratisch geprägten Ländern wie Singapur, den Philippinen oder Indonesien sich zu einem Staatenbund zusammenfinden.

Doch wo steht die ASEAN-Staatengemeinschaft, wenn es um ihre wirtschaftliche Integration geht? Antworten von Daniel Müller, ASEAN-Experte beim Ostasiatischen Verein in Hamburg.

DW: Auf große Ankündigungen wie die Einführung des gemeinsamen Binnenmarktes, der ASEAN Economic Community AEC, folgten schon so oft Terminverschiebungen. Was ist der Stand der Dinge?

Daniel Müller: Auch wenn der wirtschaftliche Integrationsprozess innerhalb der ASEAN-Gruppe inzwischen große Aufmerksamkeit erfährt, sollte nicht übersehen werden, dass die Zunahme der regionalen wirtschaftlichen Verflechtung meines Erachtens bislang nicht in erster Linie durch eigene Maßnahmen der ASEAN-Organisation, sondern eher durch die eigenständige Öffnung der einzelnen Volkswirtschaften zustande gekommen ist.

Daniel Müller ASEAN
ASEAN-Experte Daniel MüllerBild: OAV

Seit einigen Jahren wird - etwa mit der AEC - der Versuch unternommen, diese Dynamik aufzunehmen und gewissermaßen über die gesamtregionale Ebene zu forcieren. Dabei befinden sich die einzelnen ASEAN-Staaten häufig in einer Wettbewerbssituation, was dazu führt, dass regionale Wirtschaftsintegration oft als Nullsummenspiel wahrgenommen wird. Das wiederum erklärt, warum Vereinbarungen nicht umgesetzt und Zielmarken immer wieder verschoben werden. Allgemein wird anerkannt, dass das ASEAN-Label eine gute Plattform bietet, um die Region international zu vermarkten und Investoren anzuziehen. Trotz dieser Einschränkungen werden aber eine Vielzahl von Initiativen und Projekten in Angriff genommen, die auf längere Sicht sicherlich eine Eigendynamik entfalten und so zu einer stärkeren institutionell abgesicherten wirtschaftlichen Integration führen werden. Der zentrale Indikator für eine gelungene regionale Wirtschaftsintegration ist der Intragemeinschaftshandel, der in der ASEAN lediglich bei 25 Prozent, in der EU dagegen bei 64 Prozent liegt.

Stichwort ASEAN Economic Community - AEC: Was ist bereits erreicht worden, wo liegen die Defizite und welche Ziele sehen Sie eher als unrealistisch an?

Große Fortschritte wurden beim Zollabbau zwischen den ASEAN-Staaten erreicht. Wesentlich schwieriger sieht die Lage bei den nicht-tarifären Handelshemmnissen aus. Es hat sogar den Anschein, als würden in dem Maße, wie die Zölle gesenkt werden, parallel neue Hemmnisse errichtet. Diese Problematik wird kaum angegangen, weil sie für die Staaten die Möglichkeit bietet, weiter bestimmte Branchen zu schützen. Die Gesamtumsetzungsquote der AEC-Maßnahmen liegt vielleicht bei 75 Prozent, weshalb bereits an einer "ASEAN Vision 2025" gearbeitet wird. Problematisch an der AEC sind ihre mangelnde Bekanntheit in der Region sowie die Tatsache, dass der Privatsektor bei der Erarbeitung kaum involviert wurde. Hinzu kommen ein generell überlastetes ASEAN-Sekretariat und eine starke Zurückhaltung beim wichtigsten Land: Indonesien. Substanzielle Fortschritte bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit dürften besonders unrealistisch sein.

Chinatown in Kuala Lumpur, Indonesien
Handelszentrum seit mehr als 100 Jahren: Petaling Street in der Chinatown von Kuala LumpurBild: picture alliance/Christian Kober/Robert Harding

Was bedeutet der Abschluss von TPP? Nur die wirtschaftlichen stärkeren ASEAN-Mitglieder Malaysia, Singapur und Vietnam sind bei diesem pazifischen Handelsabkommen mit den wirtschaftlichen Schwergewichten USA und Japan vertreten, Indonesien und die Philippinen wollen ebenfalls beitreten. Höhlt das nicht auf Dauer die Bedeutung der ASEAN aus?

Nein, das glaube ich nicht, die ASEAN hat ein ganz eigenes Gewicht, das durch TPP nicht infrage gestellt wird. Das Themenspektrum ist bei ASEAN ja wesentlich breiter und es gibt etliche Initiativen, die speziell auf die Bedürfnisse der Region zugeschnitten sind. Einige ASEAN-Staaten wie Vietnam entfalten sehr rege Freihandelsaktivitäten, weil ihre Volkswirtschaft stark vom Außenhandel abhängig ist. Dadurch erhöht sich sicher die Unübersichtlichkeit, aber die Intention besteht darin, eben möglichst viele Optionen in der Hand zu haben, ohne dem Heimblock den Rücken zu kehren. Neben rein wirtschaftlichen Motiven spielt bei TPP sicher auch eine Rolle, mit den USA in einem exklusiven Projekt verbunden zu sein.

Niedriger entwickelte Länder wie Myanmar und Laos haben eine 'Schonfrist' bekommen, bevor auch sie vollwertiger Teil der AEC werden sollen. Reichen solche Übergangsregelungen aus, um die enormen ökonomischen Unterschiede unter den ASEAN-Mitgliedern abzufedern?

Das ist eine gute Frage. Verlängerte Übergangsfristen reichen zur Bearbeitung der erheblichen Unterschiede ganz sicher nicht aus. In der EU gibt es für diesen Zweck Struktur- und Kohäsionsfonds. Etwas Analoges gibt es in der ASEAN nicht. Diese Länder sehen der AEC daher mit stark gemischten Gefühlen entgegen. Es bleibt insgesamt abzuwarten, inwieweit die Regeln in der Praxis überhaupt Anwendung finden werden oder inwieweit man versucht, sie mit Gegenmaßnahmen zu konterkarieren.

Migranten Hilfsarbeiter Thailand Bangkok Myanmar
Große soziale Unterschiede: Hunderttausende Wanderarbeiter aus Myanmar leben allein in ThailandBild: NICOLAS ASFOURI/AFP/Getty Images

Wie können die ASEAN-Staaten von Chinas Infrastrukturplänen profitieren, den neuen Seidenstraßen, der "One Belt and One Road"-Initiative?

Einerseits muss man sagen, dass das Seidenstraßen-Projekt bislang hauptsächlich auf dem Papier existiert. Andererseits hat die ASEAN-Region einen enormen Bedarf an Infrastruktur-Investitionen, die sie allein nicht aufbringen kann. Insofern könnten chinesisch finanzierte Infrastruktur-Projekte einen erheblichen wirtschaftlichen Schub erzeugen.
Schaut man aber genau hin, zeigt sich, dass selbst bei eigentlich naheliegenden Projekten - wie einer Eisenbahnstrecke durch Laos - viele Probleme im Detail auftreten. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass China diese Projekte nutzen will, um seine Überkapazitäten etwa bei der Stahlproduktion auszulagern.

Zudem verfolgt China mit dem Seidenstraßen-Projekt geostrategische Ziele, die von vielen abgelehnt werden. Hinzu kommt, dass China derartige Projekte oft ziemlich rücksichtslos umsetzt. Nach lokalen Protesten in Myanmar ist man zumindest dort zu einem umsichtigeren Ansatz übergegangen. Die Haltung gegenüber China ist bei den ASEAN-Staaten sehr ambivalent: Man hofft auf chinesische Investitionen, sorgt sich aber vor dem zunehmenden Dominanzanspruch Chinas, wie er etwa im Südchinesischen Meer zum Ausdruck kommt. Ob die neue Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) in der Lage sein wird, für alle Seiten akzeptable Standards zu entwickeln, bleibt abzuwarten. Unter dem Strich wird der Wettlauf zwischen China und Japan um Einfluss in der Region für die ASEAN-Staaten aber positive Effekte haben.

Politisch sind die Verhältnisse in Schlüsselländern der Region wie Malaysia, wo es Korruptionsvorwürfe gegen den Premierminister gibt, oder Thailand und Myanmar, wo Generäle die Fäden ziehen, alles andere als stabil. Welche ASEAN-Länder haben langfristig die besten Perspektiven?

Schaut man genau hin, haben alle Länder ihre Vorzüge und Probleme. Sicherlich hat die politische Stabilität in einigen ASEAN-Staaten zuletzt stark gelitten. Aber die Südostasiaten sind sehr flexibel, wenn es darum geht, verschiedene Anliegen und Erwartungen miteinander in Einklang zu bringen. Besonders in Thailand hat man eine lange Tradition, politische und wirtschaftliche Fragen voneinander zu trennen, wenngleich der letzte Putsch doch stärker als zuvor das Investorenvertrauen beeinträchtigt hat.

In Myanmar kommt es jetzt darauf an, die Erfolge der letzten Jahre zu konsolidieren und einen stetigen weiteren Demokratisierungsprozess zu initiieren. Optimistisch stimmt, dass in allen ASEAN-Staaten sowohl von den Bevölkerungen und im Prinzip auch von den Regierungen demokratische Standards als die einzig legitimen Verfahren angesehen werden.
Indonesien und die Philippinen kann man - trotz aller Defizite - als bewährte Demokratien betrachten. Interessant ist Kambodscha, wo der langjährige Machthaber Hun Sen nun die Mitwirkung der Opposition akzeptiert.

Auch in Malaysia entsteht eine Bürgergesellschaft, die unmissverständlich demokratische Normen einfordert. Positiv gewendet, könnte man die aktuellen Turbulenzen als Rückzugsgefechte der alten Eliten interpretieren. Obgleich Rückschritte natürlich immer möglich bleiben und die Region auch weiterhin ihre ganz eigenen sozialen Arrangements aufweisen wird.

Daniel Müller ist ASEAN-Experte beim OAV - German Asia-Pacific Business Association