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"Sie bringen mich als Schriftstellerin um"

Aydin Üstünel
31. August 2017

Die türkische Autorin Asli Erdogan ist Trägerin des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises. Zur Verleihung nach Osnabrück darf sie jedoch nicht reisen, obwohl die Ausreisesperre gegen sie aufgehoben wurde.

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Aslı Erdogan im Videogespräch auf der lit.Cologne im März 2017
Aslı Erdogan im Videogespräch auf der lit.Cologne im März 2017Bild: DW/S. Peschel

DW: Die türkische Justiz hat die Ausreisesperre gegen Sie aufgehoben. Dennoch können Sie nicht ausreisen. Was steckt dahinter?

Asli Erdogan: Das ist eine endlose Geschichte. Bei der Gerichtsverhandlung am 22. Juni erklärte ich dem Gericht, was für eine Benachteiligung dieses Verbot für mich bedeutet, dass meine Bücher in etliche Sprachen übersetzt werden und ich mehrfach ausgezeichnet werde, unter anderem mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis, dem Leipziger Preis für Pressefreiheit oder dem Prinzessin-Margriet-Preis, dass meine Abwesenheit auf den Preisverleihungen nicht mich, sondern die Türkei blamiert. So entschied das Gericht, dass ich das Land künftig wieder verlassen darf.

Nach einer Weile gingen wir zur Passstelle. Die Polizei schickte uns zurück zum Gericht, da das Verbot noch nicht aufgehoben sei. Erst wurde das vom Gericht zurückgewiesen. Dann hieß es, sie könnten das Verbot wegen des Ausnahmezustandes nicht aufheben. So zog es sich hin. Schließlich wurde das Thema auf die nächste Gerichtsverhandlung am 30. Oktober verschoben.

Glauben Sie daran, dass sich Ihre Situation in absehbarer Zeit ändern könnte?

In diesem Land glaube ich an gar nichts mehr. Wo Rechtsstaatlichkeit nicht mehr vorhanden ist, können sie mich schon morgen lebenslänglich ins Gefängnis werfen. Wenn sie es nicht mit der PKK begründen können, dann  begründen sie es mit FETÖ ("Fethullahistische Terrororganisation", die der Gülen-Bewegung zugerechnet wird und von der türkischen Regierung für den gescheiterten Putschversuch am 15. Juli 2016 verantwortlich gemacht wird - Red.). Vielleicht behaupten sie als nächstes, dass ich eine Geheimagentin bin. So ein mafioses Staatsverständnis habe ich in diesem Land seit 50 Jahren nicht erlebt.

Wie beeinflusst die Ausreisesperre Ihr Leben?

Asli Erdogan
Asli Erdogan Bild: ZDF

Das hat mich lebensunfähig gemacht. Ich bin eine internationale Schriftstellerin und lebe durch meine internationale Kontakte und meine Bücher. Ich bestreite meinen Lebensunterhalt durch mein Einkommen aus dem Ausland. Genau dieses Jahr ist das Jahr, in dem die meisten Übersetzungen meiner Werke veröffentlicht werden. Und ich kann nicht hinfahren, nicht mit der Presse sprechen, an keinem Festival teilnehmen.

Meine Stimme wird nicht gehört. Ich kann nicht über meine Bücher reden, geschweige denn über Politik. Wie viele Preise werde ich in meinem Leben überhaupt bekommen? In diesem Jahr habe ich alleine sechs bekommen, und ich kann nicht zu den Preisverleihungen kommen. Sie bringen mich als Schriftstellerin um.

Ihr Heimatland lässt Sie nicht ausreisen. Andere Länder zeichnen Sie aus. Wie beurteilen Sie diese Situation?

Es ist sehr traurig und sagt mehr über die Türkei aus als über mich. Vor kurzem wurde mir die Ehrenlegion verliehen, die ranghöchste Auszeichnung Frankreichs. Ich kann aber nicht hin. Wieso? In den Augen der türkischen Behörden bin ich eine Terroristin. Nun muss Frankreich hierher kommen und das wird in die Geschichte eingehen.

Ich habe der Türkei einen Spiegel vorgehalten. Da ihr nicht gefallen hatte, was sie gesehen hat, blieb mir nichts erspart. Statt sich zu entschuldigen, sucht man Wege, wie man den Druck erhöhen, mich zum Schweigen bringen, mich foltern kann. Ich bin keine politische Figur. Ich bin Schriftstellerin. Was habe ich diesem Land angetan?

In mehr als 20 Jahren wurde ich kein einziges Mal wegen eines Textes angeklagt. Nun verhaften sie mich mit dem Vorwurf, ich wäre die Anführerin einer terroristischen Organisation. Ich kann nicht einmal Kurdisch. Europa zeichnet mich für meine Kunst aus, um zu zeigen, dass ich eine Künstlerin bin. Demnächst bezeichnen sie mich als deutsche Geheimagentin und behaupten, Deutschland würde mir die ganzen Preise verleihen, um die Türkei unter Druck zu setzen.

Können Sie wieder schreiben?

Ich hatte angefangen, aber in letzter Zeit werde ich vor meinem Haus belästigt. Eines Nachts haben sie mir eine Heidenangst eingejagt. Mit Motorrädern haben sie mich verfolgt. Ich bin so angespannt, dass ich die ganze Zeit meine Zähne zusammenbeiße, weswegen mein Mund voller Abszesse ist. Gesundheitlich bin ich sehr mitgenommen. Nachts kann ich kaum schlafen. Daher kann ich momentan nicht schreiben. Ich habe keine Kraft mehr.

Die Folter habe ich ein Jahr ertragen können. Ein zweites Jahr schaffe ich nicht. Sie haben mich in einem Jahr erledigt. Immerhin rede ich noch. Wenn ich gefragt werde, erzähle ich von meinen Beobachtungen über die Ungerechtigkeiten in der Türkei.

Asli Erdogan wurde im August 2016 wegen ihrer Kolumnen in der pro-kurdischen Zeitung "Özgür Gündem" verhaftet. Sie wurde viereinhalb Monate in einem Istanbuler Frauengefängnis festgehalten und aus gesundheitlichen Gründen aus der Untersuchungshaft entlassen. Aslı Erdogan ist Trägerin des Erich-Maria-Remarque-Friedenspreises. Am 22. September sollte sie in Osnabrück geehrt werden.

Das Interview führte Aydin Üstünel.