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Politik

Asylanträge: Die Folgen schlechter Dolmetscher

25. November 2017

Übersetzern beim Bundesamt für Migration kommt bei vielen Asylanträgen eine zentrale Rolle zu. Die Flüchtlingskrise zeigt jedoch: Viele sind den Aufgaben nicht gewachsen. Die Leidtragenden sind die Asylbewerber.

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Deutschland Flüchtlinge Asylantrag Berlin
Bild: Reuters/S. Loos

Es ist 8.30 Uhr in der Früh und Alhareth Alaa ist gestresst. Ihm ist bewusst, wie viel bei seinem Termin beim Bundesamt für Migration in Berlin (BAMF) auf dem Spiel steht: Seine Vergangenheit wird bis ins kleinste Detail beleuchtet, seine unmittelbare Zukunft bestimmt werden. 

Alles an diesem Tag, alles an seinem Asylverfahren wird von seiner Geschichte abhängen: Sein Leben in Bagdad, die Todesdrohungen, seine Entführung, die Ermordung seines Vaters.

Über vier Stunden lang webt Alaa die vielen kleinen Details seiner Biographie zu einem dichten Netz zusammen. Er spricht auf Arabisch, ein Dolmetscher übersetzt seine Geschichte ins Deutsche. Alaa verlässt das  BAMF nach dem Termin voller Selbstbewusstsein. Offizielle Dokumente untermauern seine Geschichte, zudem versichert ihm der Interviewer, dass Deutschland "Leute wie ihn", einen ausgebildeten Pharmazeuten, der fünf Sprachen fließend beherrscht, brauche.

Die Macht der Übersetzung

Acht Monate später folgt der Schock: In einem Brief des BAMF wird ihm mitgeteilt, dass sein Asylantrag gescheitert ist. Alaa ist am Boden zerstört.

"Ich habe die Welt nicht mehr verstanden. Ich habe beschlossen jemanden zu finden, der mir das deutsche Protokoll des Gesprächs ins Arabische übersetzen kann. Als ich die Übersetzung gelesen habe, ist mir klar geworden, dass der Übersetzer entweder nur sehr schlecht Arabisch verstand oder nicht in der Lage war, meine Geschichte wortgetreu weiterzugeben." 

Einige Passagen des Transkripts hätten kaum etwas mit den Antworten zu tun gehabt, wichtige Details seien falsch oder gar nicht widergegeben worden, so Alaa gegenüber der Deutschen Welle: "Ich konnte es einfach nicht fassen - so viel an der Übersetzung war falsch."

Systematische Probleme

Bei Pro Asyl weist man schon lange darauf hin, dass mangelhafte Übersetzungsdienste zu den größten Schwachstellen im deutschen Asylverfahren gehören. Bellinda Bartolucci arbeitet als Rechtsberaterin für Pro Asyl. Für sie ist der "Fall Alaa" alles andere als überraschend: "Übersetzer werden meistens als schlecht bezahlte freie Mitarbeiter eingestellt". In vielen Fällen würden vorab nicht einmal die Sprachkenntnisse der Bewerber ausreichend geprüft, so Bartolucci gegenüber der DW.

Auch beim Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) wird man nicht müde, auf eine Verbesserung der Qualitätsstandards zu drängen.

Bundesamts für Migration und Flüchtlinge Entscheider
Oft ist ein Dolmetscher bei der Befragung eines Asylbewerbers beim BAMF dabei Bild: picture alliance/dpa/F. von Erichsen

Gerade bei Interviews zu Asylfragen sei das dringend notwendig: "Die meisten der Übersetzer, die vom BAMF angestellt werden, verfügen nicht über die Voraussetzungen, unserem Verband beizutreten" sagt Yasmine Khaled-Jaiser vom BDÜ.

BAMF verteidigt sich

Auf Anfrage der DW verweist man beim BAMF in einer schriftlichen Stellungnahme unterdessen auf die große Anzahl an Menschen, die seit 2015 ins Land geströmt seien. In dem Schreiben, das der DW vorliegt, heisst es, dass die Verwaltung der Bundesrepublik an ihre Belastungsgrenzen gestoßen sei: "Innerhalb des vergangenen Jahres wurden mehr als 445.000 Asylbewerber in den verschiedensten Sprachen interviewt." Dafür, so heißt es in der Stellungnahme weiter, sei eine ganze Armada an Übersetzern notwendig.

So sei die Zahl von selbstständigen Übersetzern von 2600 im Jahr 2016 auf knapp 7500 im September 2017 nach oben geschossen. Insgesamt wären diese in der Lage, Interviews in 472 Sprachen durchzuführen.

Obwohl der immense Druck auf die Behörden nicht von der Hand zu weisen ist, wollen Kritiker das BAMF nicht so ungeschoren davonkommen lassen.

"Zusätzlich zu ihren ungenügenden Fähigkeiten als Übersetzer, haben viele Übersetzer keine ausreichende Kenntnis über die Regionen aus denen die Flüchtlinge kommen", so Bellinda Bartolucci von Pro Asyl.

Ein bundesweiter Skandal

Ein Fall, der ein Schlaglicht auf die katastrophalen Zustände wirft, ist der Skandal um Franco A. zu Beginn diesen Jahres. Der ehemalige Soldat der Bundeswehr stellt als französisch-sprechender Syrer einen Asylantrag. Und hat damit Erfolg. "Dieser Fall war so außergewöhnlich, dass er eine interne Revision von über 2000 Asylverfahren nach sich zog. Es ging insbesondere um die Fälle syrischer und afghanischer Antragssteller", erklärt Bartolucci.

Trotz der umfassenden Aufarbeitung sei die Aufklärung dennoch nicht vollumfassend, da "nur Fälle mit einem positiven Asylbescheid unter die Lupe genommen wurden. Es ist aber wahrscheinlich, dass die Fehlerquote bei abgelehnten Asylverfahren höher liegt".

Deutschland Demonstrationen gegen Abschiebungen am Flughafen in München
Vor allem gegen Abschiebungen nach Afghanistan regt sich in der Öffentlichkeit WiderstandBild: picture-alliance/ZUMA Wire/S. Babbar

Yasmine Khaled-Jaiser vom BDÜ geht in ihrer Kritik am BAMF noch einen Schritt weiter. "Die jüngste Forderung des BAMF, dass Übersetzer verpflichtet sind, sprachliche Abweichungen zu melden, ist unfassbar." Durch so eine Meldung würde impliziert, dass der Antragsteller den Behörden bezüglich seiner Herkunft Märchen auftischen wolle. Für Khaled-Jaiser überschreitet das bei Weitem die Grenze dessen "zu was Dolmetscher in der Lage sein sollten zu leisten. Eine solche Aufgabe einem ungelernten Übersetzer zu überlassen, führt unausweichlich zu Falschmeldungen und Gerüchten. Das kann und darf nicht die Grundlage für ein rechtsstaatliches Verfahren sein."

Vertrauen und Macht

Geschichten über Zukunftspläne und Hoffnungen, die durch mangelnde Übersetzungen zerstört wurden, können Aziz nicht mehr überraschen. Seit ein paar Jahren arbeitet er mit Flüchtlingen in Berlin: "Sogar für diejenigen, die die Sprache sprechen, können regionale Dialekte und regionale Unterschiede alles auf den Kopf stellen", erklärt er. Hinzu komme, dass der soziale und religiöse Hintergrund des Übersetzers eine große Rolle spiele. "Manche Leute haben regelrecht Angst, ihrem Übersetzer ihre Geschichte zu erzählen, wenn sie wissen, dass er ehemaliger Muslim oder Atheist ist."

"Die Vorstellung, dass Übersetzer beim BAMF weltanschaulich neutral sind, finde ich sehr fragwürdig", sagt Aziz: "Viele Asylbewerber haben mir erzählt, dass ihnen ihr Übersetzer dazu geraten habe, Teile ihrer Biographie zu ändern, um einen positiven Bescheid zu bekommen. Viele Übersetzer machen einen tollen Job, aber ich glaube, dass einige nur ihre Machtposition ausnutzen".

Jüngste Recherchen des SPIEGEL und des ARD-Magazin Report Mainz belegen diese Thesen: So haben Übersetzer türkischer Asylbewerber ihr Vertrauensgebot gegenüber regierungstreuen türkischen Medien gebrochen. In diesem Jahr alleine hat das BAMF die Zusammenarbeit mit 942 freiberuflichen Dolmetschern beendet, 15 von ihnen wurde aufgrund mangelnder Neutralität gekündigt.

Symbolbild - Asyl beantragen
Asylbewerber in Deutschland sein bedeutet auch: Warten. Genau wie hier in der Außenstelle des BAMF in SuhlBild: picture-alliance/dpa/arifoto UG/M. Reichel

Sprache ist Schlüssel

Vor dem Hintergrund all dieser Schwierigkeiten hat das BAMF nun strengere Kontrollen der Übersetzer angekündigt. Neben strengeren Sicherheitschecks im Rahmen der Einstellung gehört dazu unter anderem auch ein Beschwerdesystem. Falls es Beschwerden über einen Übersetzer gebe, bekäme dieser keinen Auftrag mehr vom BAMF zugeteilt, teilt die Behörde in einer knappen schriftlichen Stellungnahme mit.

In Zusammenarbeit mit dem BDÜ wurden zusätzlich auch "Trainingsseminare für Übersetzer" ins Leben gerufen. Diese hätten zum Ziel, die Übersetzer besser zu schulen, erklärt Khaled Jaiser. 

Für Menschen wie Alhareth Alaa kommen diese Schritte zu spät. Er hat gegen die Ablehnung seines Antrags Klage eingereicht und ist schwer frustriert:

"Den Dolmetschern kommt so eine zentrale Rolle im gesamten Asylprozess zu. Mein Anwalt hat mir gesagt, dass es ein Jahr dauern kann, bis das Urteil gesprochen ist - vielleicht sogar mehr. Das heißt, dass ich mindestens ein Jahr meines Lebens wegen einer schlechten Übersetzung verloren habe."

 

Holly Young Holly Young ist Klimareporterin bei der DW Umweltredaktion in Berlin.@holly_young88