Dank Goethe-Medaille frei
26. August 2012DW: Herr Atabayev, in Berlin haben Sie bei einer Diskussionsveranstaltung zur Lage der Menschenrechte in Kasachstan ausgezeichnetes Deutsch gesprochen. Woher diese Perfektion?
Bolat Atabayev: Ich bin in einem deutschen Dorf in Kasachstan aufgewachsen. Aber dort haben wir nicht einmal Deutsch gesprochen, sondern einen schwäbischen Dialekt. Später habe ich Germanistik studiert. Ich hatte sehr gute Lehrer.
Aber um so gut Deutsch zu sprechen, muss man in einem deutschen Umfeld leben.
Das habe ich auch. Tätig war ich am Deutschen Theater in Almaty, das ich geleitet habe. Dort habe ich meinen Lebensunterhalt verdient.
Was haben Sie empfunden, als Sie erfuhren, dass Sie mit der Goethe-Medaille geehrt werden?
Ich kann nicht sagen, dass ich euphorisch war. Aber natürlich freut es mich. Besonders freut mich, dass es eine Auszeichnung der deutschen Zivilgesellschaft ist, und nicht der Regierung. Deshalb bedeutet mir diese Medaille besonders viel.
Erhalten Sie diese Auszeichnung nur für Ihren Beitrag zur Förderung der deutschen Sprache und der kulturellen Beziehungen, oder hat auch die Politik eine Rolle gespielt?
Nein, die Politik war hier nicht im Spiel. Die Auswahlkommission des Goethe-Instituts hatte mich für diesen Preis bereits am 11. November 2011 nominiert. Anklage gegen mich wurde aber erst am 25. Januar 2012 erhoben. Das Goethe-Institut war darüber zunächst geschockt. Ich hatte sogar in einem Schreiben die Medaille abgelehnt, um die deutschen Kollegen nicht in eine schwierige Lage zu bringen. Aber sie antworteten: "Nein, wir werden für dich kämpfen." Somit hat mir diese Auszeichnung in gewisser Weise doch geholfen.
Was ist in der deutschen Kultur für Sie besonders von Wert? Was nutzen Sie für Ihre Arbeit?
Deutsche Schriftsteller und deutsche Philosophen unterscheiden sich von anderen durch ihr strukturelles Denken. Das half mir, meinen Beruf rational auszuüben. Die kasachische Kunst ist emotionaler, sinnlicher. Deshalb unterscheide ich mich so als Regisseur in Kasachstan. Diese Besonderheit ist das Ergebnis der deutschen Sprache, Kultur und Philosophie.
Ist das dem Publikum in Kasachstan bewusst?
Nein, nicht allen.
Ist Ihr Theater dann nur für ein ausgewähltes Publikum?
Ja, ich werde in Kasachstan als Traditionsbrecher bezeichnet.
Berührt Sie das Thema der deutschen Aussiedler?
Ja, weil ich in einem Dorf aufgewachsen bin, in dem Wolgadeutsche lebten. Ich kenne deren tragisches Schicksal und das schmerzt mich. Im deutschen Theater habe ich die Stücke von Viktor Heinz "Menschen und Schicksale" und "Auf den Wogen der Jahrhunderte" aufgeführt. Das sind Geschichten über die Umsiedlung von Deutschen nach Russland und dann deren Deportation während des Krieges in die kahlen Steppen Kasachstans. Ich habe mich mit dem Schicksal dieser Menschen auseinandergesetzt, bin von Tür zu Tür gegangen und habe mit ihnen gesprochen. Wir haben sozusagen das Theaterstück gemeinsam geschrieben.
Was ist mit Geschichten von Menschen, die zunächst aus Kasachstan nach Deutschland übergesiedelt sind, sich aber dort nicht wohlfühlen und nach Kasachstan zurückkehren?
Solche Fälle gibt es, aber nicht viele. Es ist eine ewige Frage: isoliert oder integriert? Das ist ein Generationenproblem. Bald werde ich in Mainz Kollegen und Künstler treffen, die in den 1990er Jahren nach Deutschland gegangen sind. Wir haben uns seit 20 Jahren nicht gesehen. Wir werden miteinander reden und voller Nostalgie in Erinnerungen schwelgen.
Welche deutschen Autoren wollen Sie Ihrem Publikum in Kasachstan noch vorstellen?
Im September werde ich "Die Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht aufführen. Kleinbürgerliche Ästhetik, zufrieden sein damit, dass man isst, trinkt und verdaut, und weiter nichts - all dies ist für Kasachstan sehr aktuell. Deswegen arbeite ich an dem Stück von Brecht.
Das Interview führte Nikita Jolkver.
Am 28. August 2012 erhält Bolat Atabayev gemeinsam mit zwei weiteren Preisträgern in Weimar die Goethe-Medaille. In diesem Jahr hat die Auswahlkommission Kulturschaffende ausgewählt, die neben ihrem Engagement für die deutsche Sprache und Literatur auch für eine offene Aufarbeitung nationaler Traumata eintreten.
Im Mai 2011 hatten im kasachischen Schanaozen Ölarbeiter für höhere Löhne und mehr Rechte demonstriert. Die Staatsmedien schwiegen über den Protest. Am 16. Dezember 2011 eskalierte der Streik. Ausgerechnet am 20. Unabhängigkeitstag schoss die Polizei in die Menge. Dutzende starben, Hunderte wurden verletzt. Danach begannen Repressionen. Verfolgt wurden Aktivisten, Oppositionspolitiker und Journalisten, die die Ölarbeiter unterstützt hatten. Unter ihnen auch Bolat Atabayev. Im Januar 2012 wurde er angeklagt, zum "sozialen Unfrieden" aufgewiegelt zu haben. Im Juni wurde er verhaftet. Über das Goethe-Institut informiert, forderten deutsche Künstler und der Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning Atabayevs Freilassung. Kasachstan geriet zunehmend unter Druck. Atabayev wurde schließlich freigelassen.
Atabayev, 1952 in Kasachstan geboren, studierte Deutsch in Leipzig und unterrichtete deutsche Phonetik an der Sprachenhochschule in Almaty. Als Leiter des Deutschen Theaters Almaty brachte er deutsche Werke und Regisseure nach Kasachstan. Vor einigen Jahren gründete er sein eigenes Theater "Aksarai".