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Musik

"Atemholen vor dem großen Jubeljahr"

Rick Fulker
28. März 2019

Ein leiseres Mezzoforte vor dem Fortissimo des Beethovenjahres 2020: Beethovenfest-Intendantin Nike Wagner im DW-Gespräch über ihr diesjähriges Programm und das Motto "Mondschein".

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Intendantin des Beethoven Festivals - Nike Wagner
Bild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Deutsche Welle: Das Motto des Beethovenfestes 2019 heißt: "Mondschein". Wie wird dieses weltumspannende Thema in Musik übertragen?

Nike Wagner: Mondschein ist ein sehr lyrisches, ein sehr romantisches Thema. Es hat die Dichter aller Jahrhunderte beflügelt und so auch die Komponisten. Da fällt mir zum Beispiel spontan ein: Schumanns Vertonung des Gedichts "Mondnacht" von Eichendorff. 

Der Aufhänger zum Festivalmotto war aber Beethovens "Mondschein"-Sonate. Das träumerische Adagio im ersten Satz führt heutzutage zu Millionen Klicks im Internet. Die Sonate kommt im Programm dreimal vor: einmal von Pierre-Laurent Aimard auf dem modernen Flügel gespielt, aber dann auch auf dem Hammerklavier und in einer modernen Transkription von Giselher Klebe für Horn und Klavier. 

Wir bringen eine ganze Anzahl weiterer, vom Mond inspirierter Werke: Nocturnes, Serenaden und Nachtmusiken, in Form eines kleinen kammermusikalischen Zyklus. Die Nacht kann aber auch unheimlich sein, etwa mit Mussorgskys "Nacht auf dem Kahlen Berge", gespielt vom Tschaikowsky-Sinfonieorchester aus Moskau: Da gibt es einen ganzen Hexensabbath.

Nike Wagner mit DW-Redakteur Rick Fulker
Nike Wagner mit DW-Redakteur Rick FulkerBild: DW/T. Schmidt

Auf dem Programm steht aber auch eine komische Oper von Joseph Haydn: "Die Welt auf dem Mond". Und dann kommt das Salzburger Marionettentheater mit einem "Fidelio" en miniature, und wir hören Robert Schumanns Oratorium "Das Paradies und die Peri". Es gibt aber auch Tanz, Performances und Filme.

Angesichts des bevorstehenden Beethoven-Jubiläumsjahres 2020: Ist das Thema "Mondschein" eine Art Mezzopiano vor dem Fortissimo?

Ja, 2019 haben wir absichtlich ein bisschen zurückgefahren. Wir verstehen dieses Jahr durchaus als ein Atemholen vor dem großen Jubeljahr 2020.

Ihre Programme laden oft zum Nachdenken ein oder stellen Musik in einem größeren Kontext dar, etwa mit historischen oder außermusikalischen Bezügen. Wie wäre es aber mal mit einem Konzertabend, wo müde Musikliebhaber nach einem langen Tag einfach hingehen und Abwechslung und Entspannung finden können? Wäre das auch wertvoll?

Das kann ich mir durchaus vorstellen. Wenn man müde von der Arbeit kommt, dann sollte man zum Beispiel in ein Konzert mit einer der Beethoven-Sinfonien gehen, wenn sie von Teodor Currentzis dirigiert werden. Egal welche Sinfonie, das ist wie eine Energiespritze! Das kommt durch seinen unendlich lebendigen Aufführungsstil, seine scharfen Akzente und seine große Präzision. Es ist das Ungewöhnlichste und Interessanteste, was momentan auf dem Markt ist. Und bei uns führt er im März 2020 den ganzen Beethoven-Sinfonienzyklus auf. 

Dann habe ich noch ein Bonbon für Klassik-Kenner. Es ist mir gelungen, mich mit dem Orchester der Bayreuther Festspiele zu verständigen. Wagner und Beethoven gehören zusammen: Beethovens Neunte Sinfonie ist das Einzige, was außer Richard Wagner im Bayreuther Festspielhaus gespielt werden darf. Im Jubiläumsjahr lässt meine Cousine Katharina Wagner die Neunte dort aufführen, und ich habe ihr vorgeschlagen: "Dann kommt doch einfach nach Bonn und spielt die Neunte zur Eröffnung der Herbstsaison des Beethovenfests." Und das ging ohne Komplikationen. 

Teodor Currentzis
Der angesagte griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis dirigiert einen Beethoven-Sinfonienzyklus beim Beethovenfest 2020Bild: Astrid Ackermann

Ein Zeichen für einen Zeitenwandel in der lange zerstrittenen Wagner-Familie?

Ja! Die Väter der dritten Generationen sind verstorben, die Zeit hat sich geändert, und jetzt haben sich zwei Wagner-Urenkelinnen verständigt. Meine Cousine hat aus meiner Sicht ganz herrlich mitgezogen. 

Sind Sie nach fünf Jahren als Intendantin mit dem Publikumszuspruch zufrieden?

Im letzten Jahr nicht. Da hatten wir Defizite zu verzeichnen, die durch zu wenig Publikum entstanden sind. Der Grund dafür ist relativ einfach, er wurde in Leserbriefen und Zuschriften sehr viel artikuliert: Die Bonner nehmen das World Conference Center, das WCCB, als Konzertstätte nicht an. 2017 waren sie noch neugierig, 2018 sind dann aber viele weggeblieben. Mit diesem Risiko müssen wir weiter arbeiten. So arg ist diese moderne Halle nicht, aber vielleicht mögen die Bonner lieber das Heimelige und Romantische. Da muss ich den Ball an die Stadt zurückgeben.

Deutschland World Conference Center Bonn WCCB
Provisorium ohne besondere Stimmung: Das WCCBBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Mit der Weisheit des Rückblickens: Hat sich Bonn vor einigen Jahren mit dem Verzicht auf ein Beethoven-Festspielhaus ein Eigentor geleistet?

Das werden wir nie wissen. Ein großes Festspielhaus wäre auch ein großes Risiko für die Stadt gewesen: Wo hätte man das Publikum hergeholt? Jetzt stecken wir alle in diesem Schlamassel, dass die Renovierung der Beethovenhalle nicht mehr zu Beginn des Beethovenjahres fertig wird. Aber bei welchem Großbauprojekt klappt es denn inzwischen zeitlich? Die Restaurierung der Staatsoper Berlin zum Beispiel: Wie hat sich das hingezogen! Jetzt haben wir die Malaise in Bonn. Wir werden auf die Oper Bonn ausweichen - oder für große Veranstaltungen halt doch mal das WCCB.

Wenn Sie einen Festivaljahrgang konzipieren und mit Leben füllen: Geht auch eine Publikumsanalyse mit in die Überlegungen ein? Das heißt, wird auch darüber nachgedacht, was das Publikum entweder vermeintlich oder ausdrücklich "will"?

Wetter Wetterhahn und Mond in Lindau
Das Motto "Mondschein" deutet auf leisere TöneBild: picture-alliance/ dpa

Wir machen jedes Jahr Publikumsbefragungen. Sie haben aber bis jetzt keine Veränderung in meinem Verhalten als Programmveranstalter gebracht. Dazu sind die Stimmen zu unterschiedlich. Die Befragungen ergeben, dass das Publikum größtenteils aus der Region kommt und kaum aus anderen Städten wie München oder Berlin. Das ist keineswegs schlimm, denn es ist eine dicht besiedelte Region hier mit eigenen Traditionen, was Musik und bildende Kunst anbetrifft. 

Bonn hat das Geburtshaus Ludwig van Beethovens, das Beethoven-Archiv und die historische Kultur und Tradition, die Beethoven hervorgebracht hat. Aber kann Bonn ohne weitere authentische Spielorte je den Status der Beethovenstadt schlechthin erlangen, ähnlich wie bei Bach in Leipzig oder Wagner in Bayreuth?

Es gibt eine große Chance für Bonn, denn Beethoven hat in keiner anderen deutschen Stadt gelebt. Wir können behaupten: Wir sind die einzige deutsche Beethovenstadt, und das stimmt. Und das ist ein Pfund, mit dem man wuchern muss. Bonn ist jedoch keine Touristenstadt. Vielleicht kann man über Beethoven den Tourismus in Bonn ankurbeln? Aber wie gesagt: Die Spielstätten müssen dafür bereit gemacht werden. Und das geschieht ja auch mit der Beethovenhalle, außerdem gibt es ein prächtiges Beethoven-Orchester in dieser Stadt!