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Atom, Energie, Klima - und das Dosenpfand

Jens Thurau5. Juni 2016

Das Bundesumweltministerium wird 30 Jahre alt. In Berlin wird das mit einem Festakt gefeiert. Für die DW zieht der frühere Minister Jürgen Trittin von den Grünen schon vorher eine Bilanz.

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Jürgen Trittin Berlin Deutschland
War von 1998 bis 2005 Bundesumweltminister: Jürgen Trittin heuteBild: Getty Images/S.Gallup

Wie sich Deutschland verändert hat in den letzten drei Jahrzehnten, spürt Jürgen Trittin immer dann am besten, wenn er mit dem Flugzeug von einer Auslandsreise zurückkommt. Von 1998 bis 2005 war der heute 61jährige Grünen-Politiker Bundesumweltminister, und jetzt sagt er: "Man sieht von oben an den vielen Windrädern, dass man wieder zuhause ist." 26 000 Windräder drehen sich in Deutschland, die Erneuerbaren Energien produzieren rund ein Drittel des Stroms. 1986 eine Utopie. Trittin macht keinen Hehl daraus, dass er damit sehr zufrieden ist. Heute ist er ein einfacher Bundestagsabgeordneter und lässt jetzt in seinem Büro ganz in der Nähe des Reichstages die letzten 30 Jahre Revue passieren.

Ein Ministerium aus aktuellem Anlaß

Damals, 1986, war Helmut Kohl CDU-Bundeskanzler. Und die Grünen waren eine junge Oppositionspartei mit immer mehr Anklang in der Bevölkerung. Als es im April im Atomkraftwerk in Tschernobyl in der damaligen Sowjetunion (heute Ukraine) zum GAU kam und der Reaktor explodierte, zog eine nukleare Wolke bis nach Westeuropa. Über Wochen war der Atomunfall das beherrschende Thema. Kohl handelte und gründete das Umweltministerium. Bis dahin waren Umweltbelange auf verschiedene Ministerien verteilt gewesen und der Stellenwert der Umweltpolitik eher gering. Und Kohls Motiv war sicher auch, die junge Umweltpartei nicht zu stark werden zu lassen.

Windkraft, Mülltrennung - und viel Autos

Und jetzt, 30 Jahre später? Windräder und Sonnenkollektoren überall im Land. Weniger, bald gar keine Atomkraftwerke mehr. Sammelstellen für Müll, sauber getrennt nach Papier, Glas und Kunststoff. Trittin und seine sieben Nachfolger oder Vorgänger haben also Einiges auf den Weg gebracht seitdem. Und vieles nicht: Trittin fällt vor allem die Verkehrspolitik ein: "Anders als etwa die US-Umweltbehörde EPA hat das deutsche Umweltministerium es noch nicht geschafft, dass es gestaltend in die Verkehrspolitik eingreifen kann. Zulassung und Prüfung von Autos liegen weiterhin beim Verkehrsministerium. Böse kann man sagen: Die Autoindustrie in Deutschland kontrolliert sich selbst." Bestes Beispiel dafür: Der VW-Abgasskandal.

Deutschland Windpark bei Renzow
26 000 Windräder gibt es heute in Deutschland - auch aus dem Flugzeug kann man das Land daran erkennen.Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Deutschland international als gutes Vorbild

Aber sonst: Die Deutschen gelten als Vorreiter im Umweltschutz. Dass heißt nicht, dass alle Seen und Flüsse jetzt sauber sind und Wald und Natur in Takt. Im Gegenteil: Der Flächenverbrauch in Deutschland ist nach wie vor hoch, 100 Fußballfelder werden jeden Tag verbaut, versiegelt oder anderweitig genutzt. Da hat auch das Ministerium wenig ändern können. Aber international hat Deutschland mit dem Umweltministerium viele Impulse gesetzt.

Deutschland und das Kyoto-Protokoll

Das erkennt auch der streitbare Grüne Trittin an: "Ohne Helmut Kohl und seinen starken Umweltminister Klaus Töpfer hätte es den ersten Klimaschutzvertrag, das Kyoto-Protokoll, nicht gegeben." Töpfer, von 1987 bis 1994 im Amt, war auf der großen UN-Umweltkonferenz von Rio 1992 eine starke Stimme, schwamm daheim demonstrativ im Rhein, um dessen gute Wasserqualität unter Beweis zu stellen, und war später lange Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. Klaus Töpfer: Mister Umwelt. Seine Nachfolgerin hieß 1994 übrigens Angela Merkel, die die Arbeiten am Kyoto-Protokoll 1997 abschließen durfte. Zum ersten Mal bekundeten alle UN-Staaten, das Klima zusammen schützen zu wollen. Und Deutschland war dabei eine treibende Kraft

Schon früh kämpften alle Umweltminister für das, was heute Energiewende genannt wird, oft gegen den Widerstand der Wirtschaftsminister. Trotz vieler Änderungen gibt es das Gesetz zur Förderung von Wind- und Sonnenstrom immer noch, es hat in vielen Ländern Nachahmer gefunden. "Der gewaltige Bogen der Erneuerbaren Energien von China über die USA und Indien ist nicht vorstellbar ohne die deutsche Energiewende. Zusammen mit dem Atomausstieg hat die deutsche Umweltpolitik so ein Stück Globalisierung gestaltet", meint Trittin. Aber immer noch ist die deutsche Energielandschaft auch von der Kohle geprägt. Da ist das Ministerium an seine Grenzen gestoßen.

Beim Atomausstieg wird es wohl bleiben

Tatsächlich haben noch fast alle Umweltminister (mehr oder weniger stark) dafür gekämpft, mit der Kernenergie in Deutschland Schluß zu machen. Bis 2022 sollen in Deutschland alle Atommeiler vom Netz gehen. Zuerst nur von SPD, Grünen und den heutigen Linken gefordert, schloss sich Angela Merkel 2011 dem klaren Nein zur Kernenergie an, nach der Katastrophe von Fukushima. Heute scheint der Ausstieg unumkehrbar.

Mineralwasser Recycling
Daran haben sich die Deutschen längst gewöhnt: Automat für leere Getränkedosen im SupermarktBild: picture-alliance/dpa

Das Dosenpfand - heute kein Aufreger mehr

Und Jürgen Trittin? Immer wieder wird er auch noch heute auf das Thema angesprochen, bei dem er am meisten Widerstand auch in der Öffentlichkeit erfuhr: Das Dosenpfand. Getränkebehälter aus Blech wurden bis 2003 einfach mit in den Müll gegeben. Trittin setzte das Pfand durch, das sich im Kern schon Klaus Töpfer ausgedacht hatte. Der Einzelhandel lief Strum, sprach von Gängelung der Verbraucher. Ein Trommelfeuer aus Häme und Spott vor allem in den Boulevard-Medien ging über Trittin nieder, heute regt das Thema niemanden mehr auf. Für den Grünen-Politiker ein Beispiel, dass ein Umweltminister vor allem nicht einknicken darf, wenn es eng wird: "Wir haben damals das Recht angewandt gegen massiven Lobbydruck. Wir haben jetzt ein viel höheres Kunststoffrecycling als andere Länder. Wir haben uns von Lobbyisten nicht vorschreiben lassen, was Recht ist." Manchmal sprechen Bürger den Ex-Minister an, wenn er seine Pfandflaschen in den Supermarkt bringt: "Und fast alle äußern sich positiv." Das berührt den Kern von Umweltpolitik, so wie Trittin ihn sieht: "Eine gute Umweltpolitik schafft den Rahmen, damit die Menschen sich überhaupt umweltgerecht verhalten können". Und so ist in 30 Jahren aus den Deutschen durchaus ein Volk von Fahrradfahrern und Mülltrennern geworden, auch, weil es das Umweltministerium gibt. Schnelle und PS-starke Auto fahren sie aber auch weiterhin gern.