Alles ist sicher
19. März 2006Als im April 1986 der Reaktor des sowjetischen Atomkraftwerks Tschernobyl, heute Ukraine, explodiert, erfahren die Bürger der Sowjetunion erst Tage später von dem Unglück. Die Folgen sind zu diesem Zeitpunkt schon schwerwiegend. Tschernobyl gilt bis heute als weltweit schwerster Kernkraft-Unfall. Ganze Landstriche in der Ukraine rund um den Unfall-Reaktor, aber auch in Weißrussland und Russland sind bis heute verstrahlt und unbewohnbar. Tausende Menschen starben an den Folgen der Katastrophe. Radioaktive Wolken zogen bis nach Westeuropa.
Seit Erdbeben und Tsunami letzten Freitag weite Teile Japans verwüsteten und auch mehrere Kernkraftwerke schädigten, kommen fast stündlich neue Unglücksmeldungen vor allem aus dem Atomkraftwerk Fukushima I. Diesmal verbreiten sich, anders als 1986, die Informationen schnell und über Ländergrenzen hinweg. In Russlands fernem Osten aber, kaum 1000 Kilometer von den havarierten Atomreaktoren entfernt, sind die Menschen wieder skeptisch gegenüber den Aussagen der Behörden.
Die Regierung beruhigt
"Im Zusammenhang mit den Störfällen in Japan geht für Russland keine Gefahr aus" sagte Wladimir Putin noch am Montag vor Journalisten. Dabei kann sich das sehr schnell ändern, sobald der Wind dreht und die radioaktiven Partikel Richtung Russland ziehen. Doch auch der Chef der staatlichen Meteorologiebehörde beruhigt weiter: "Wir können definitiv sagen, dass die Luftmassen sich in den nächsten 3 Tagen in Richtung des Pazifischen Ozeans bewegen werden. Daher besteht zurzeit keine Gefahr".
Moskau und die russische Atom-Industrie können eine aufgeregte Debatte über die Gefahr der Kernenergie nicht gebrauchen. Die Regierung plant, bis 2030 in Russland 26 neue Atomkraftwerke zu bauen und will zusätzlich kräftig exportieren. Erst am Dienstag unterzeichneten Russlands Premier Wladimir Putin und der weißrussische Präsident Alexander Lukaschenko einen Vertrag über den Bau eines neuen Atomkraftwerks in Weißrussland. Zusätzlich entstehen mit russischer Hilfe neue Reaktoren in China, Indien, Bulgarien und der Türkei.
Erhöhte Strahlung
In Wladiwostok, das nur etwa 800 Kilometer nordwestlich des Atomkraftwerks Fukushima I liegt, maßen die Behörden bereits kurzfristig erhöhte Strahlenwerte. Und auch wenn alles noch innerhalb der Norm sei: Die meisten Russen im Fernen Osten decken sich mit Geiger-Zählern und Jod-Tabletten ein. In vielen Apotheken seien die Vorräte bereits ausverkauft.
Viele Bürger in Russland haben nach dem Tschernobyl-Unglück bei Krisensituationen das Vertrauen in die Regierung verloren. Die Sowjetführung verschwieg damals lange das wahre Ausmaß der Katastrophe. Schwedische und finnische Atomkraftwerker maßen damals erhöhte Strahlung, Tage bevor das sowjetische Staatsfernsehen erstmals von einem "Unfall" sprach.
Autor: Frederik Rother
Redaktion: Fabian Schmidt