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Sarajevo 1914 Gavrilo Princip

Nemanja Rujević14. November 2013

Mit zwei Schüssen auf das Thronfolgerpaar entfachte Gavrilo Princip den Ersten Weltkrieg. War er Ursache oder Auslöser, Held oder ein Terrorist? Fast 100 Jahre später gibt es immer noch Diskussionen um dieses Thema.

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Gavrilo Princip (undatierte Aufnahme) (Foto: DPA)
Bild: picture-alliance/Heeresgeschichtliches Museum Wien

Gegenüber des Belgrader Hauptbahnhofs befindet sich die Fakultät für Wirtschaftswissenschaft. Dort ist Tagsüber immer viel los. Denn die Studenten versammeln sich vor dem Gebäude und unterhalten sich angeregt bevor sie in ihre Vorlesungen gehen. Das Treiben in der Gegend nimmt aber auch nachts kein Ende, denn im angrenzenden Park ziehen seit Jahrzehnten Freier ihre Kreise. Direkt hinter dieser bunten Bühne der serbischen Hauptstadt erstreckt sich die Gavrilo-Princip-Straße. Sie trägt den Namen jenes Mannes, der am 28. Juni 1914 in Sarajevo den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Ehefrau tötete. Belgrad hat eigene Straße für Princip mitten in der Stadt - denn in Serbien wird er als Volksheld verehrt.

Schild in Gavrilo-Princip-Straße in Zentrum von Belgrad, Hauptstadt Serbiens. Die Straße trägt den Namen des Gavrilo Princip, der am 28. Juni 1914. in Sarajevo den Thronfolger der Doppelmonarchie Franz Ferdinand getötet hat. Foto: DW Korrespondent Vladimir Minic.
Serbien Gavrilo-Princip-Straße in BelgradBild: DW/V. Minic

In vielen anderen Ländern hingegen gilt er als Terrorist, als Mörder, als der, der den Ersten Weltkrieg auslöste. Da sich der hundertste Jahrestag des Attentats nähert, werden neue Geschichtsbücher und Theaterstücke geschrieben. Und auch die alte Debatte kocht wieder hoch: Wo, zwischen Heldentum und Schuld, steht eigentlich der Mann Gavrilo Princip?

War er ein Held oder ein Mörder?

Princips Ziel war die Befreiung Bosniens von der Herrschaft des österreichischen Kaisers und die Schaffung eines jugoslawischen Staates. Sein Mittel dazu war ein Attentat. Für den Historiker und Südeuropa-Experten Holm Sundhausen sei die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt unsinnig. Denn ob Princip als Held oder Terrorist gesehen werde, käme auf die Perspektive an.

"Des einen Terrorist, ist des anderen Freiheitskämpfer", fasst sein Kollege Christopher Clark von der University of Cambridge zusammen. Heutzutage würde man unter dem Begriff Terrorismus Angriffe auf so genannte weiche Ziele verstehen - Frauen, Kinder oder Einkaufszentren, so Clark weiter im DW-Interview. "Princip und seine Komplizen wollten keine Unschuldigen töten oder Schrecken verbreiten. Sie wollten ein Klima der Angst innerhalb der politischen Elite der Doppelmonarchie schaffen." Daher seien sie keine Terroristen im heutigen Sinne.

Franz Ferdinand Carl Ludwig Joseph Maria von Österreich-Este (Foto: Wikipedia)
Franz Ferdinand wurde von Princip getötetBild: PD

Doch der serbische Schriftsteller Vladimir Kecmanović hat keinen Zweifel: Für ihn waren die Schüsse von Sarajevo Schüsse für die Freiheit und damit sei Princip eindeutig ein Held. "Wie soll ich sonst einen Mensch nennen, der sich auf diese Art und Weise geopfert hat?", sagt Kecmanović. In der Organisation Junges Bosnien, der der Princip Mitglied war, wurde immer wieder davon gesprochen, dass er einen Tyrann ermordet habe. Für Historiker Sundhaussen hingegen steht fest, dass Kronprinz Franz Ferdinand weder ein Tyrann noch kriegsdurstig gewesen ist. Im Gegenteil: "Er war ein Monarch, der für Reformen stand."

Keine eindeutige Antwort

Die Dramaturgin Biljana Srbljanović steht den Versuchen, Gavrilo Princip einfach als Mörder oder Held einzustufen, kritisch gegenüber. Ihr Drama "Princip (Dieses Grab ist mir zu klein)" wurde erst kürzlich am Schauspielhaus in Wien uraufgeführt. "Princip war vor allem ein Revolutionär, der für die Befreiung seines okkupierten Landes stand", sagt sie. "Die Schüsse von Sarajevo sind damit ein revolutionärer Akt, der leider gewalttätig war", mahnt Srbljanović im DW-Interview.

Die Publizistin sieht Princip zudem eher als Opfer eines serbischen Geheimbunds mit dem Namen Schwarze Hand, der nationalistische Ziele verfolgte und Princip für das Attentat funktionalisierte. "Princip war sich nicht bewusst, dass seine gerechten Ideen von dieser Organisation manipuliert wurden."

Das Theaterstück "Princip (dieses Grab ist mir zu klein)" der serbischen Autorin Biljana Srbljanovic (Foto: Alexi Pelekanos/Schauspielhaus Wien)
Biljana Srbljanovic brachte ein Theaterstück zu Princip auf die BühneBild: Alexi Pelekanos/Schauspielhaus Wien

Das Attentat – Auslöser oder Ursache?

Nach dem Attentat nahm die Geschichte ihren Lauf: Der österreichisch-ungarische Ministerrat beschloss Serbien ein unannehmbares Ultimatum zu stellen und bei dessen zu erwartender Ablehnung militärische Schritte einzuleiten: Nur 37 Tage später herrschte Krieg. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. stellte Wien zudem einen Blankoscheck aus, indem er militärische Unterstützung für einen Angriff auf Serbien versprach.

Nur wenige Tage später traten auch Russland, Frankreich und Großbritannien in den Krieg ein. "Die Großmächte hatten das Risiko und den eventuellen Gewinn durchkalkuliert - und am Ende haben sich alle für einen Krieg entschieden", sagt der Historiker Christopher Clark. Das Attentat von Sarajevo wird deshalb meistens nur als zündender Funke, der den Weltbrand entfachte, betrachtet, nicht jedoch als eigentliche Ursache des Ersten Weltkriegs. "Es wäre absurd und lächerlich Serbien für den Ausbruch des Krieges verantwortlich zu machen", so Clark.

Christopher Clark auf der 65. Frankfurter Buchmesse (Foto: DPA)
Christopher Clark schrieb das Buch "Die Schlafwandler"Bild: picture-alliance/dpa

In seinem aktuellen Buch "Die Schlafwandler" schreibt er aber auch, das Attentat von Sarajevo sei mehr als nur ein Vorwand für den Krieg gewesen. "Vor den Geschehnissen in Sarajevo waren in Wien die Befürworter des Friedens immer stärker als die Kriegstreiber. Nach dem Attentat hatte sich die Substanz der österreichischen Politik wesentlich verändert, weil der größte Friedenssprecher nicht mehr sprechen konnte: Franz Ferdinand", so Clark.

Solche Aussagen nennt der serbische Schriftsteller Kecmanović eine "Revision der Geschichte". Westliche Historiker versuchten die "germanische Schuld" zu relativieren und "dem Serben Princip" die Schuld für den Krieg in die Schuhe zu schieben, glaubt Kecmanović. "Im Kalten Krieg haben sich Deutschland und Österreich als Alliierte der USA, Großbritanniens und Frankreichs profiliert. Alle diese Länder versuchen derzeit noch ihre historischen Feindschaften und Widersprüche aufzulösen", so Kecmanović weiter. Dabei sei es besonders einfach einem Land wie Serbien, das nach dem Krieg in Jugoslawien in den 1990er Jahren als Böse verunglimpft wurde, die Schuld zuzuweisen.

Wenn die "serbische Schuld" diskutiert wird, wiederholt Biljana Srbljanović gerne, dass Gavrilo Princip sich nicht als Serbe gefühlt habe. Wegen dieser Aussage hat die belgrader Boulevard-Presse ihr vorgeworfen, "den serbischen Held" stehlen zu wollen. "Princip war ein überzeugter Jugoslawe“, betont sie. "Ich will niemanden stehlen."