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Au-pair in Deutschland: Wenn aus dem Traum ein Albtraum wird

20. August 2023

Etwa 14.000 junge Menschen arbeiten hierzulande als Au-pair. Eigentlich eine Win-Win-Situation für beide Seiten, doch immer wieder kommt es zu Ausbeutung.

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Eine junge Frau mit drei Kindern
Nicht immer nur Spaß, sondern oft auch harte Arbeit - Kinderbetreuung als Au-pairBild: Oleksii Hrecheniuk/Zoonar/picture alliance

Es klingt so wahnsinnig verlockend: mit jungen Jahren das Abenteuer Deutschland wagen; bei einer netten Familie die Kinder betreuen; wie nebenbei die deutsche Sprache und Kultur kennenlernen und die ersten Schritte zur Selbständigkeit machen - um dann vielleicht sogar in der neuen zweiten Heimat zu bleiben, und eine Ausbildung und ein Studium zu beginnen. Für viele junge Menschen aus aller Welt ist diese Hoffnung Realität geworden.

Doch wenn man Pech hat, kann es aber auch ganz anders laufen. So wie bei Ana da Silva aus Brasilien.

Da Silva, die eigentlich anders heißt, aber lieber anonym bleiben will, kam Ende vergangenen Jahres nach Deutschland. Sie hat, wenn man so will, in wenigen Monaten einen Crash-Kurs über die Schattenseiten der Branche bekommen. Die Brasilianerin berichtet der DW, sie habe weit mehr als die festgelegten 30 Stunden pro Woche arbeiten müssen. Meist als Putzhilfe und nicht als Babysitterin. Ihr Essen sei streng rationiert worden, für sie sei häufig nur ein Stück Brot übrig gewesen. Als sie sich über die Arbeitsbedingungen beschwerte, sei sie massiv eingeschüchtert und mit dem Rausschmiss bedroht worden.

Da Silva spricht von moderner Sklaverei und sagt: "Ich war in fünf Familien, eine schlimmer als die andere. Deutschland hat keine Ahnung, was hier mit Au-Pair-Kräften passiert, das ist verrückt. Als Au-pair hilft dir niemand." Sie gehe an die Öffentlichkeit, weil sie junge Menschen warnen wolle, dass auch in einem Land wie Deutschland Ausbeutung existiert. "Das muss aufhören!"

Der DW liegen Fotos und Textnachrichten der Familien vor, die Da Silvas Vorwürfe glaubhaft untermauern. Beileibe kein neues Phänomen, immer wieder werden solche Fälle publik, in denen es statt der Gegenseitigkeit und -leistung, die französische Bedeutung von "Au-pair", einen Machtmissbrauch durch die Familien gibt.

Nur ein Bruchteil der Realität?

Konfrontiert mit den Anschuldigungen gegen die Familien, antwortet Da Silvas Online-Vermittlungsagentur der DW mit einer schriftlichen Stellungnahme: "Dies ist eindeutig inakzeptabel und verstößt gegen die Nutzungsbedingungen, denen alle Familien und Au-pairs bei der Registrierung für die Nutzung der Plattform zustimmen."

Au-Pair-Mädchen bei der Betreuung von zwei Kindern
Die Kinderbetreuung sollte im Mittelpunkt eines Au-Pair-Aufenthaltes stehen Bild: picture-alliance/dpa

Weiter heißt es aber auch: "Dies ist eine Geschichte, die häufig über Au-pair-Aufenthalte erzählt wird, die jedoch nur einen Bruchteil dessen widerspiegelt, was wirklich passiert, wenn junge Menschen als Au-pair ins Ausland gehen. Bei Tausenden von Au-pair-Aufenthalten pro Jahr - organisiert von unserer Plattform und anderen Diensten - gehen junge Menschen ins Ausland, übernehmen neue Aufgaben, lernen ein anderes Land kennen und kommen nach der Zeit, die sie bei einer Gastfamilie verbracht haben, fähiger und kenntnisreicher nach Hause."

Au-pair: seriöse Agenturen und schwarze Schafe

Dass trotzdem immer wieder Au-pair-Verträge nicht eingehalten werden, die höchstens 30 Stunden Arbeit und 1,5 freie Tage pro Woche, 280 Euro Taschengeld im Monat und 70 Euro Zuschuss für den Deutsch-Sprachkurs vorschreiben, ist auch Cordula Walter-Bolhöfer ein Dorn im Auge. Sie arbeitet für die Gütegemeinschaft Au pair, der 30 der mehr als 100 Agenturen in Deutschland angehören und die darauf achtet, dass vereinbarte Qualitätsnormen eingehalten werden. Ihre Agenturen haben das sogenannte RAL-Gütezeichen, das für höhere Standards wie Zuverlässigkeit und Seriosität stehen soll.

Walter-Bolhöfer sagt: "Unsere Agenturen drängen immer darauf, dass der Schwerpunkt bei der Arbeitszeit auf die Kinderbetreuung gelegt und die Hausarbeit wie von einem Familienmitglied miterledigt wird. Au-pairs sollen keine preisgünstigen Haushaltshilfen sein, sondern sich vor allem um die Kinder kümmern."

Deutschland | Porträt | Cordula Walter-Bolhöfer
"Ein tolles Programm, dass Jugendlichen in aller Welt die Möglichkeit gibt, hierher zu kommen" - Cordula Walter-BolhöferBild: Privat

Auch sie kennt die schwarzen Schafe in der Branche. Eine Agentur, die in Deutschland keinen guten Ruf habe, habe sich neulich auf eine Mitgliedschaft bewerben wollen, erzählt Walter-Bolhöfer. "Aber als ich ihr die ganzen Prüfungsbestimmungen geschickt habe, hat sie sich nicht mehr gemeldet." Häufig werde sie auch gefragt, ob sie eine geheime Liste der Familien führe, mit denen es schon häufiger Probleme gab. Dies dürfe die Organisation aber aus Datenschutzgründen nicht mitteilen.

Kaum Kontrolle: Ein Gewerbeschein reicht für eine Au-Pair-Agentur

Dass es auf dem Markt überhaupt Agenturen und Familien geben kann, denen das Geldverdienen weitaus wichtiger ist als das Wohl der Au-pair-Kräfte, hat viel mit einer Entscheidung von vor 20 Jahren zu tun. Seit 2002 genügt ein einfacher Gewerbeschein, um eine Agentur zu betreiben, die Lizenzpflicht wurde damals abgeschafft.

Au-Pair-Symbolbild
Die Zahl der Au-pair-Agenturen ist in Deutschland rückläufig, wegen Corona und der Online-Konkurrenz - andererseits fehlt es an Bewerberinnen und BewerbernBild: U. Grabowsky/photothek.net/IMAGO

Viele Kolumbianerinnen, Indonesierinnen und Kirgisinnen (2022 die drei Länder mit den meisten erteilten Visa) wählen zudem, wie auch Ana da Silva, den einfachen Weg: auf eigene Faust, über Facebook oder sogenannte Online-Matchingplattformen, eine Art Tinder für Au-pair. Ein paar Klicks genügen, um kostengünstig die scheinbar perfekte Familie zu finden.

"Zum einen müssen sie in ihren Heimatländern die Agenturen bezahlen, zum anderen gehört eine gewisse Blauäugigkeit dazu. Viele sind den ganzen Tag in den sozialen Medien unterwegs, und wenn sie dort zum Beispiel bei Facebook Fotos sehen von netten Familien mit netten Kindern, glauben viele, das sei die Wahrheit", erklärt Cordula Walter-Bolhöfer die Beweggründe.

Au-pair-Ausbeutung: "Es sind keine Einzelfälle"

Doch tauchen die ersten Probleme auf, haben die Au-pairs bei diesen Online-Agenturen keinen Ansprechpartner. Wenn gar nichts mehr geht, klingelt häufig das Handy bei Susanne Flegel. Sie ist so etwas wie Deutschlands Feuerwehrfrau im Au-pair-Wesen. Seit mehr als 21 Jahren betreibt sie ebenfalls eine Agentur, ist aber auch zur Stelle, wenn die jungen Menschen völlig verzweifelt sind und quartiert sie zur Not bei sich zu Hause ein.

Flegel sagt: "Es gab eine Zeit, da haben wir täglich mehrere Anrufe gehabt. Die Politik beruft sich darauf, das seien Einzelfälle. Es sind aber keine Einzelfälle. Wenn wir bei verschiedenen Au-pairs nachfragen, ist es nach wie vor gang und gäbe, dass sie ausgebeutet werden. Aber es werden weder Zahlen erfasst noch Statistiken geführt."

Susanne Flegel
"Es muss eine Einrichtung geben, wo Au-pairs bei Problemen hingebracht werden können" - Susanne FlegelBild: privat

Die Agenturchefin kann viele Horrorgeschichten erzählen: Von einem Ehepaar am Bodensee, das sieben Au-pair-Mädchen um ihren Lohn prellte und vor zwei Jahren wegen Betrugs zu einer Geldstrafe verurteilt wurde. Von sexueller Nötigung, Schuften in Ferienwohnungen und Überstunden ohne Ende. Oder auch von Obst, das nur für die Kinder bestimmt ist, während die Lebensmittel im Kühlschrank fein säuberlich mit den Familiennamen beschriftet werden.

"Es gibt auch richtig kriminelle Agenturen in Deutschland, weil diese nicht überprüft werden. Diese ziehen auch die Gastfamilien übern Tisch, betrügen und belügen. Dem Missbrauch ist Tür und Tor geöffnet." Nach Angaben von Flegel bewegen bewegen sich die Provisionen für die Agenturen zwischen 200 und 1000 Euro pro Vermittlung.

Vorbild Niederlande droht mit Geldstrafen

In den Niederlanden wurden die in Deutschland abgeschaffte Lizenzierungs- und auch eine Haftungspflicht bereits vor zehn Jahren wieder eingeführt. Läuft etwas schief, drohen den Agenturen im Nachbarland saftige Geldstrafen. Hierzulande winkt die Politik noch ab.

Susanne Flegel gibt sich damit nicht zufrieden. Sie fordert eine Agenturpflicht. "Und diese Agenturen müssen entsprechend überprüft werden, sprich eine Lizenz erhalten. Und es muss trotzdem auch stichpunktartige und unangekündigte Besuche in den Familien geben."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur