Audienz beim Erzrivalen
27. September 2005
Der Bayer Joseph Ratzinger (78) und der Schweizer Hans Küng (77) - zunächst waren sie Freunde, dann jahrzehntelang die großen Antipoden im geistigen Spektrum der katholischen Kirche. Als theologische Berater des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) galten sie beide als fortschrittlich. Und es war Hans Küng, der Joseph Ratzinger in Tübingen eine Professur für Dogmatik verschaffte. Nach der Studentenrevolte 1968 trennten sich ihre Wege: Ratzinger flüchtete nach Regensburg und machte bald Karriere in der Kirche, Küng profilierte sich als erbitterter Gegner des Systems.
Küng, das "Enfant terrible"
Hans Küng ist für Millionen Gläubige die Symbolfigur des "Progressiven". Er streitet für die Öffnung der Kirche, gegen den Zentralismus und Machtanspruch Roms. Küng hat in seinen Publikationen unter anderem die von der Kirche zum Dogma erhobene Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubens- und Sittenfragen kritisiert. Dafür wurde ihm 1979 die katholische Lehrbefugnis für Dogmatik entzogen. Er wandte sich gegen einen römischen Zentralismus etwa bei Bischofsernennungen oder das Zölibat. Seine Bücher, darunter "Unfehlbar? Eine Anfrage", "Wozu Priester?", "Freiheit des Christen" oder "Existiert Gott?", wurden Bestseller.
Immer wieder, heißt es, habe es vor allem in der deutschen Kirche den Wunsch nach Versöhnung zwischen dem Vatikan und Küng gegeben. Sogar der römische Kurienkardinal Walter Kasper sprach sich 2003 für eine "Versöhnung" aus. Auf dem Katholikentag in Ulm 2004 diskutierte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, mit seinem Duzfreund Küng über die Zukunft der Kirche - und tausende Kirchentagsbesucher applaudierten. Doch so lange Papst Johannes Paul II. lebte, änderte sich im Fall Küng nichts.
Ratzinger, der Sittenwächter - und der neue Papst
Jospeh Ratzinger stand fast 25 Jahre lang in Rom an der Spitze der Glaubenskongregation - und war als "Großinquisitor" und "Panzerkardinal" als Personifizierung der Starrheit und Kompromisslosigkeit der Kurie verschrien. Als Ratzinger im April zum neuen Papst gewählt wurde, redete Küng von einer "Riesenenttäuschung" für alle Reformorientierten. Allerdings ließ er die Tür einen Spalt weit offen: "Wie bei einem Präsidenten der USA, sollte man einem neuen Papst 100 Lerntage zubilligen."
Wenige Wochen nach der Wahl Benedikts XVI. hat Küng einen Brief an das neue Kirchenoberhaupt geschrieben. Dabei äußerte er die Hoffnung, dass es trotz aller unterschiedlichen Auffassungen zu einem Dialog kommen möge. Er habe klar gemacht, nicht die Rückgabe der Lehrbefugnis fordern zu wollen. Der Papst habe "rasch und sehr freundlich geantwortet" und ihn eingeladen. Das Treffen zu einem gemeinsamen Abendessen in der Sommerresidenz des Papstes in Castelgandolfo am 24. September habe zwei Stunden gedauert.
Küngs Lieblingsthemen
Er habe eine "große Wiedersehensfreude auf beiden Seiten" gespürt, berichtet Küng. Das Gespräch sei ermunternd, sehr konstruktiv und "ohne jede Polemik" gewesen. Er habe den Papst als "aufmerksamen und offenen Gesprächspartner" erlebt. Das Gespräch mit Benedikt XVI. sei ein Zeichen dafür, "dass dieser kein Papst ist, der in die Vergangenheit blickt und sich in sich selbst zurückzieht", sagt Küng.
Erörtert habe man das Thema "Weltethos", also den Dialog zwischen den Weltreligionen, und das Verhältnis von Naturwissenschaften und Glaube. Beide gelten als "Lieblingsthemen" Küngs. Benedikt XVI. würdigte Küngs Beitrag zur Anerkennung fundamentaler menschlicher Werte. Hans Küng seinerseits lobte die Bemühungen des Papstes, den Dialog zwischen den Religionen zu fördern. Papst Johannes Paul II. hat ihm 25 Jahre lang eine Audienz verweigert. Auch den heutigen Papst habe er nach der großen Kontroverse der Jahre 1979 und 1980 nur noch einmal gesehen, und zwar in Bayern 1983, sagte Küng. Damals sei die Lage noch sehr angespannt gewesen. Nunmehr habe er den Eindruck gehabt, die gleiche Person wie in den "glücklichen Tübinger Jahren" wiedergetroffen zu haben.
Was kommt als nächstes?!
"Noch tastet der Papst das Terrain ab", meinte ein Vatikan-Kenner nach dem Treffen. Benedikt XVI. hält sich mit Meinungsäußerungen selbst zu brennenden Fragen zurück, über das Thema seiner ersten Enzyklika wird fleißig gerätselt. "Er hat sich noch nicht ganz zu erkennen gegeben - man kann auf Überraschungen gespannt sein", heißt es. Dass vor allem der Vatikan selbst nicht so recht weiß, was er von seinem neuen Chef halten soll, zeigt unter anderem die Informationspolitik: Ganze zwei Tage brauchte Papstsprecher Joaquin Navarro-Valls, bis er die Nachricht über das Treffen mit Hans Küng verkündete. (arn)