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Auf der Jagd nach Hitlers Raubkunst

Annika Zeitler29. Januar 2014

Noch immer suchen Kunstdetektive weltweit von den Nazis entwendete Kunstwerke. Der Gurlitt-Fall in Deutschland hat ihnen verstärkt Aufmerksamkeit beschert. Doch die Arbeit der Forscher ist schwierig.

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1945: Von den Nazis gestohlene Kunstwerke in einer Kirche (Foto: Reuters)
Wiedergefunden: Von den Nazis gestohlene Kunstwerke in einer Kirche 1945Bild: Reuters

Ihre Berufsgruppe ist klein, oft arbeiten sie nur projektbezogen und in Zeitverträgen. Aber mit dem Zufallsfund der privaten Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt in München haben Provenienzforscher eine ungeahnte Aufmerksamkeit bekommen. Denn plötzlich haben alle Fragen und wollen ihre Expertise, wenn es um NS-Raubkunst geht. In Köln haben sie nun getagt, sich ausgetauscht und über ihre Forschung und Recherchen diskutiert.

Gurlitt will faire und gerechte Lösung mit Erben

"Deutschland hat nach dem Krieg verpasst seine NS-Vergangenheit in der Kunst aufzuarbeiten", sagt beispielsweise der Kunstfahnder Clemens Toussaint. Er und andere Teilnehmer der Tagung sind sich sicher: "Gurlitt ist kein Einzelfall". In Zukunft spiele deshalb die Selbstverpflichtung aller Akteure eine noch wichtigere Rolle. "Wenn sich Museen, Forschung, Handel und Privatsammler gemeinsam um Aufklärung bemühen, bleibt in Zukunft nichts versteckt", ist Toussaint überzeugt.

Der Kunstsachverständige Frithjof Hampel bleibt dagegen skeptisch, denn "es gibt Häuser, die sind offen und andere, die sind eben weniger offen". Weiter sieht er die Problematik in einem fehlenden Gesetz, das Privatbesitzer wie Cornelius Gurlitt in die Pflicht nimmt, NS-Raubkunst zurückzugeben.

"Das Paar" von Hans Christoph - eines der Bilder aus der Sammlung Gurlitt (Foto: Staatsanwaltschaft Augsburg/dpa)
"Das Paar" von Hans Christoph - eines der Bilder aus der Sammlung GurlittBild: picture-alliance/dpa

Nach jüngsten Angaben seines Anwalts ist der Kunsthändlersohn nun wohl aber doch gewillt, dem Washingtoner Abkommen zu folgen, "sich die Raubkunst-Klagen genau anzuschauen und faire und gerechte Lösungen auszuhandeln". 458 Kunstwerke sind von einer speziell dafür eingesetzten 14-köpfigen Taskforce als mögliche NS-Raubkunst eingeordnet worden.

Angemessene Form der Entschädigung?

Trotzdem, der Fall des Münchener Kunstfunds fordert in Deutschland eine allgemeingültige Lösung für den Umgang mit NS-Raubkunst. Der Journalist und Raubkunst-Experte Stefan Koldehoff etwa schlägt den Kunstsachverständigen auf ihrer Tagung eine bundesweite Stiftung zur Entschädigung vor, wie es sie schon für NS-Zwangsarbeiter gibt.

Kunstfahnder Toussaint setzt ganz auf die kollektive Verantwortung der Deutschen, denn wir seien schließlich alle Kinder und Enkel von Verbrechern: "Es hat nur noch eine weitere Generation gebraucht, um auch im Bereich der Kunst die unangenehmen Fragen zu stellen."

Stefan Koldehoff (Foto: imago/Müller-Stauffenberg)
Stefan KoldehoffBild: imago/Müller-Stauffenberg

Jacques Goudstikker und die Niederlande

Vielleicht lohnt sich auch der Blick auf die Niederlande: Dort machte in den vergangenen Jahren der Kunstkrimi um den jüdischen Kunsthändlers Jacques Goudstikker Schlagzeilen und gilt seitdem als einer der spektakulärsten Restitutionsfälle. Maßgeblich daran beteiligt: Der Kunstfahnder Clemens Toussaint, der in Kunstkreisen oft als "Jäger der verlorenen Schätze" bezeichnet wird - eben weil er weltweit im Auftrag jüdischer Erben unter den Nationalsozialisten abgepresste oder gestohlene Kunstwerke aufspürt.

Im Fall Goudstikker hat auch er eine Art "Taskforce" aufgestellt und über zehn Jahre geforscht. "Wir haben Kunstwerke identifiziert, dokumentiert, zum Teil lokalisiert und etliche Werke restituiert", referiert er mit Stolz.

Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen im Mai 1940 in die Niederlande floh Jacques Goudstikker mit seiner Frau und seinem Sohn auf einem der letzten Schiffe nach Amerika. Zuvor hatte er aber in einem kleinem schwarzen Notizbuch sorgfältig alle 1113 Kunstwerke aufgelistet, die er in Amsterdam zurücklassen musste - für die späteren Recherchen ein wahrer Glücksfall.

Notizbuch des Kunsthändlers Jacques Goudstikker (Foto: "Marcel Antonisse/AFP/Getty Images)
Notizbuch des Kunsthändlers Jacques GoudstikkerBild: Marcel Antonisse/AFP/Getty Images

Lange Suche

Kunstwerke können ihre Besitzer wechseln, aber dabei hinterlassen sie Spuren und damit erste Anhaltspunkte für Kunstdetektive wie Clemens Toussaint: "Bilder gehen zu Ausstellungen, tauchen in Publikationen auf, sind mal beim Restaurator oder werden gerahmt und sie sind irgendwie versichert."

Im Fall Goudstikker dauerte es über ein halbes Jahrhundert bis den Erben im Jahr 2006 ein Teil der Sammlung restituiert wurde. Die Alliierten hatten den Niederlanden rund 300 Bilder aus der Sammlung nach dem Krieg übergeben, mit dem Auftrag, sie den rechtmäßigen Eigentümern zu übergeben. "Lange Zeit wollte die holländische Regierung den Verkauf der Bilder unter den Nazis nicht als Zwangsverkauf anerkennen", erklärt Provenienzforscher Jan Thomas Köhler.

Zu viel Transparenz manchmal auch schädlich

Von rund 500 weiteren Bildern der Sammlung fehlt bis heute jede Spur. Köhler vermutet sie in deutschen Wohnzimmern und Dachböden. Denn Reichsmarschall Göring hatte einen Teil der Bilder aus der Sammlung Goudstikker in seinem Privatbesitz genommen und sie in den 1940er Jahren über deutsche Kunsthäuser verkauft. "Hier haben einige zugeschlagen, um ihr Geld vor Kriegsende noch in Sicherheit zu bringen", sagt Köhler.

Wie im Fall Gurlitt ist hier wohl Transparenz gefragt, um den Verbleib der Bilder vollständig zu recherchieren. Doch Kunstfahnder Toussaint will gar nicht so viel über die 500 noch gesuchten Bilder preisgeben. Denn zu viel Transparenz schade bei der Suche nach NS-Raubkunst: "Dann verschwinden die Bilder im Keller, Aufkleber auf der Rückseite werden abgeschrubbt und Beweise gehen für immer verloren."

Hitler und Göring im Haus der Deutschen Kunst 1937 (Foto:
1937: Hitler und Göring im Haus der deutschen KunstBild: Bundesarchiv, Bild 183-C10110/CC-BY-SA

Der Fall des Kunsthändlers Max Stern

Dank Etikett auf der Rückseite konnte zum Beispiel das Bild "Skandinavische Sammlung" von Andreas Achenbach als vermisstes Werk aus der Sammlung des jüdischen Kunstsammlers Max Stern identifiziert und 2013 restituiert werden. Der deutsche Historiker und Jurist Willi Korte hatte dieses und weitere Stern-Bilder auf die Fahndungsliste von Interpol setzen lassen. Auch er recherchiert - in diesem Fall nach der verschollenen Sammlung Max Sterns - seit über zehn Jahren.

"Das Mädchen aus den Sabiner Bergen" von Franz Xaver Winterhalter tauchte 2005 auf dem amerikanischen Kunstmarkt auf und konnte an die Erben zurückgegeben werden. Denn nach amerikanischen Gesetz sind die Stern-Bilder gestohlen und können nicht wie in Deutschland nach einem Zeitraum von zehn Jahren vom Besitzer gutgläubig erworben werden. Die Juristen sprechen von "Ersitzung".

Die Forschung über die Herkunft der Bildern aus der Gurlitt-Sammlung hat gerade erst begonnen und wird - wie die Erfahrungen aus den Beispielen zeigen - die von der Bundesregierung eingesetzte Taskforce vermutlich noch lange beschäftigen. Denn die Spurensuche nach der Geschichte eines Kunstwerks braucht Zeit. Und solange die Entscheidung einer verbindlichen Raubkunstregelung ausbleibt, bleibt wohl vorerst allen Beteiligten nur übrig, an die gemeinsame Verantwortung zu appellieren.