Auf der Suche nach den verlorenen Petrodollars
25. November 2014"Der Ölpreis kann mehr Änderungen hervorrufen, als die Parlamentswahlen im kommenden Jahr", meint der venezolanische Wirtschaftswissenschaftler Daniel Lopez aus Caracas im Gespräch mit der DW. "Wenn er auf 60 US-Dollar hinabrutscht und dort dauerhaft bleibt, dann werden die Sozialprogramme hierzulande künftig geringer ausfallen".
Der Preisrutsch beim Öl trifft den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" ins Mark. Denn in dem von Venezuelas ehemaligem Staatspräsidenten Hugo Chavez 1998 eingeführten Modell spielen Verstaatlichung, Preiskontrolle und Umverteilung eine große Rolle. Sogar die Weltbank räumt ein, dass die Sozialprogramme, genannt "misiones", dazu beigetragen haben, die Armut in der Bevölkerung von rund 50 Prozent im Jahr 1998 auf 30 Prozent im Jahr 2012 zu verringern.
Viele Bolivares, keine Devisen
Nun stellt sich die Frage, wie lange sich Caracas die Finanzierung dieser Sozialprogramme noch leisten kann. Nach Angaben von Weltbank und Weltwährungsfonds liegt das Haushaltsdefizit Venezuelas mittlerweile bei über 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, die Inflation hat 2014 die 60 Prozent-Marke überschritten, und die Wirtschaft soll in diesem Jahr sogar um drei Prozent schrumpfen.
Nach Schätzungen des venezolanischen Wirtschaftsforschungsinstitut Ecoanalitica schuldet ausgerechnet das Land mit den größten Ölreserven der Welt internationalen Fluggesellschaften, Autokonzernen, Pharmaunternehmen und Lebensmittelproduzenten Beträge in zweistelliger Milliardenhöhe. Grund für die hohen Außenstände sind Kapitalflucht und Devisenmangel.
"Venezuelas Wirtschaft ist den Preisschwankungen auf dem internationalen Markt besonders stark ausgesetzt, denn der Verkauf von Öl macht 96 Prozent aller Exporte des Landes aus", heißt es im Landesüberblick der Weltbank. "Die Einnahmen aus Ölexporten tragen zur Hälfte zur Finanzierung des Staatshaushaltes bei".
Ölimporte trotz riesiger Reserven
Damit nicht genug. Auch die Ölförderung selbst geht zurück. Denn der Staatskonzern PDVSA hat weder genügend Geld, um in Förderanlagen zu investieren, noch um neue moderne Raffinerien zur Weiterverarbeitung des Rohstoffs zu bauen.
Nach Berichten der Zeitung "El Universal" aus Caracas importierte Venezuela im Oktober sogar Öl aus Algerien. Ein Sprecher der PDVSA erklärte gegenüber der Presse, dass mit dem importierten Rohstoff aus Algerien das einheimische Schweröl verdünnt werden solle.
Weil die Regierung die sinkenden Einnahmen aus dem Ölgeschäft kompensieren muss, rechnen Experten nicht nur mit geringeren Sozialausgaben, sondern auch mit höheren Steuern und Benzinpreisen. Am 18. November erließ Staatspräsident Nicolás Maduro bereits mehrere Dekrete, darunter die Einführung von zusätzlichen Steuern auf Luxuswaren, Alkohol und Zigaretten.
Nach Angaben der Weltbank kostet ein Liter Benzin in Venezuela umgerechnet zwei Dollar-Cent. "Unser Benzin kostet nichts! Der Plan ist, den Preis auf vier Cent anzuheben, damit nur noch der Transport subventioniert wird und nicht mehr die ganze Produktion", meint Ökonom Lopez. "Das sollte kommen und zwar bald".
Hoffnung auf Geschäfte in den USA
Presseberichten zufolge bemüht sich die Regierung Venezuelas zudem um den Verkauf der amerikanischen Tochter des staatlichen Mineralölkonzerns PDVSA, um die dringend benötigten Devisen zu erwirtschaften. Die größte Tochterfirma Citgo verfügt in den USA über ein Netz von rund 6.000 Tankstellen und drei Raffinerien.
Trotz der sich verschärfenden Wirtschaftskrise in Venezuela schließt Ökonom Lopez einen Zahlungsausfall wie in Argentinien aus. "Zum Default kommen wir nicht. Es ist Geld ist da!", ist sich Lopez sicher. Anfang November habe Venezuela einen Kredit in Höhe von vier Milliarden Dollar von der chinesischen Regierung bekommen. Die internationalen Reserven lägen bei 23,5 Milliarden Dollar.
An die Absurditäten im wirtschaftlichen Wunderland Venezuela hat sich Lopez mittlerweile gewöhnt. "Jedes Jahr fehlt irgendwie etwas. 2006 gab es keine Milch, heute kein Klopapier, keine Butter und keine Seife", sagt er. "Die Währung wird jeden Tag schwächer, mit unseren Bolivares, können wir nichts kaufen". Lopez bittere Schlussfolgerung: "Unsere Wirtschaft ist eine Fantasie".