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Aufbruch in Birma

Rebecca Roth27. April 2012

Es herrscht Aufbruchsstimmung in Birma. Mit dem Aussetzen der EU Sanktionen steht das Land vor einer rasanten Transformation. Doch es gibt auch Risiken, erklären Experten in der Heinrich Böll Stiftung.

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Die Shwedagon-Pagode funkelt in der Nacht. (Foto: ddp images/AP Photo/Khin Maung Win)
Bild: AP

Die Gefühlslage vieler Birmanen angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen in Birma beschreibt die Journalistin Nwet Kay Khin mit einem Bild aus dem birmanischen Alltag: "Mein Gefühl im Moment ist ganz ähnlich wie das, was ich habe, wenn in Rangun der Strom ausfällt. Sie können sich vorstellen, wie dunkel es dann abends ist. Und wenn der Strom plötzlich zurückkommt, dann rufen die Kinder auf der Straße und alle in der Familie laut 'Hey!'. Alle freuen sich, weil man dann wieder Filme schauen, Reis kochen oder die Waschmaschine anstellen kann. Aber nach nur fünf Minuten ist der Strom dann wieder weg. Und aus dem 'Hey!' wird ein enttäuschtes 'Hach!'."

Rasanter Reformprozess

Der Demokratisierungsprozess in Birma ist ein Weg mit vielen Hoffnungen und Enttäuschungen. Momentan schreitet er in einem Tempo voran, das noch vor zwei Jahren kaum jemand für möglich gehalten hätte.

Nach 30 Jahren, in denen immer die gleichen Dinge gefordert worden seien und nichts passiert sei, sei sie froh, endlich auch von guten Entwicklungen erzählen zu können, gestand Barbara Lochbihler, EU-Abgeordnete der Grünen, ihrem Publikum in der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin. Hier hatte sich eine Runde von Experten aus Wissenschaft, Politik und Medien zusammengefunden, um – moderiert von Asien-Referatsleiterin Katrin Altmeyer – über die aktuelle Entwicklung in Birma zu diskutieren.

Podiumsdikussion in der Heinrich Böll Stiftung zum Thema Birma - einen Schritt weiter auf dem Weg zur Demokratie. Foto: Rebecca Roth, April 2012
Podiumsdiskussion in der Heinirch Böll Stiftung mit Katrin Altmeyer, Jasmin Lorch, Barbara Lochbiler (v.l.n.r.)Bild: DW

Gerade was die Medien angeht, habe sich einiges verändert, berichtet Nwet Khay Khin von der Monatszeitschrift "The Voice" aus Rangun. Fielen im Jahr 2008 noch mindestens 20% ihrer Artikel der Zensurbehörde zum Opfer, seien es jetzt nur noch 10%. Heute könnten Journalisten über wesentlich mehr Themen berichten – sogar über die Oppositionspartei NLD, Umweltthemen und in Grenzen auch über Menschenrechtsverletzungen.

Im April hatte die erfolgreiche Nachwahl von Aung San Suu Kyi und ihrer Partei NLD weltweit für Euphorie gesorgt. Als Reaktion hatte die EU am vergangenen Montag die Sanktionen gegenüber Birma für ein Jahr ausgesetzt.

Hindernisse für die Demokratisierung

Doch wie gefestigt ist der Transformationsprozess in Birma? Nicht besonders, sind sich die Podiumsteilnehmer einig. Yasmin Lorch, Gastwissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, nennt gleich drei Risiken, die den Demokratisierungskurs gefährden könnten: Zum einen die schwelenden Konflikte zwischen der Regierung und den ethnischen Minderheiten im Land. Zum zweiten die Schwäche der zivilen Institutionen. Und zum dritten die Möglichkeit, dass zwischen der Regierung und der Oppositionspartei NLD noch ein starker Konflikt entstehen könnte.

Die birmanische Journalistin Nwet Kay Khin (Foto: Rebecca Roth)
Die birmanische Journalistin Nwet Kay KhinBild: DW

Eine Befürchtung, die Jost Pachaly, Leiter des Südostasien-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, teilt. "Was passiert", fragt er, "wenn sich der überwältigende Wahlerfolg der NLD vom April bei den Parlamentschaftswahlen im Jahr 2015 wiederholen sollte"? Dann stünde die Regierung womöglich vor einer ähnlichen Situation wie 1988, als der Wahlsieg von Aung San Suu Kyis Partei annuliert worden war.

Run auf Birma

War die Aufhebung der Sanktionen gegenüber Birma durch die EU am vergangenen Montag also verfrüht? Ja, findet Barbara Lochbihler. Sie zumindest hätte sich eine schrittweise Lockerung der Sanktionen gewünscht, um weiter ein Druckmittel gegen die Regierung in der Hand zu behalten. Dennoch, dass die Sanktionen in Birma bislang nicht zu einer verbesserten Menschenrechtslage geführt haben, ist ihr auch klar.

Jost Pachaly, Heinrich-Böll-Stiftung, Leiter des Südostasienbüros (Foto: Rebecca Roth)
Jost Pachaly von der Heinrich-Böll-StiftungBild: DW

Die Öffnung zum Westen hin schaffe jetzt eine positive Wettbewerbssituation, findet Jost Pachaly. Zuvor sei Birma in eine einseitige Abhängigkeit durch chinesische Investoren geraten. Nun könne sich die Regierung die Zusammenarbeit mit Investoren aus China, den ASEAN-Ländern, den USA und Europa aussuchen. Auch Nwet Kay Khin teilt diese Meinung. Ihr Land habe Investitionen dringend nötig – und zwar nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im Bildungsbereich. Gleichzeitig hofft sie, dass Birma nicht in eine Abhängigkeit von Entwicklungshilfe-Organisationen gerate.

Eine Sorge, die nicht ganz unbegründet scheint. Seitdem der Reformkurs in Gang ist, stehen nicht nur Akteure aus der Wirtschaft sondern auch Entwicklungshilfe-Organisationen in den Startlöchern. "Don’t kill us with your kindness", hätte sie schon von einigen birmanischen NGOs gehört, erzählt Yasmin Lorch. Und darum betont auch Jost Pachaly: "Die Reformen in Birma brauchen Zeit und eine gewisse Vorsicht".