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Auferstanden aus Ruinen: Die Linke

Marcel Fürstenau, Berlin21. September 2015

Ein Ex-Kommunist als Präsident? In Osteuropa nach dem Ende des Kalten Kriegs kein Problem, in Deutschland undenkbar. Dennoch: Die Nachfolgerin der DDR-Staatspartei SED hat sich im vereinigten Deutschland fest etabliert

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Deutschland Die Linke Flagge
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Aleksander Kwasniewski, Ion Iliescu und Hans Modrow haben eine Gemeinsamkeit: Die drei Politiker waren während des Kalten Kriegs Teil der kommunistischen Nomenklatura in ihren Ländern. Doch im Unterschied zum Polen und Rumänen verschwand der Deutsche nach dem Zusammenbruch des Ostblocks bald in der Versenkung. Der ehemalige Jugendminister Kwasniewski wurde 1995 zum polnischen Präsidenten gewählt und setzte sich dabei sogar gegen den legendären Bürgerrechtler Lech Walesa durch. Iliescu, einstmals Sekretär des rumänischen Zentralkomitees, beerbte zunächst den Weihnachten 1989 erschossenen Diktator Nicolae Ceausescu. Und schon fünf Monate später gewann er die Präsidentschaftswahl.

Modrow konnte von einer vergleichbaren Karriere nicht einmal träumen. Zwar avancierte er kurz vor dem Sturz des DDR-Staats- und Parteichefs Erich Honecker zum Ministerpräsidenten. Im wenig später wiedervereinten Deutschland blieb ihm aber neben einem Parlamentsmandat lediglich der Titel "Ehrenvorsitzender" der Partei des Demokratischen Sozialismus. Diesen Namen hatte zwischenzeitlich die ehemalige Staatspartei der DDR angenommen, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED). Deren Schicksal schien nach dem Zusammenbruch der DDR besiegelt zu sein. Mit ihrem Namen waren der Mauerbau in Berlin und die vielen Toten an der innerdeutschen Grenze verbunden.

Modrow (l.) und Bundeskanzler Kohl im Dezember 1989 bei der Öffnung des Brandenburger Tors in Berlin
Modrow (l.) und Bundeskanzler Kohl im Dezember 1989 bei der Öffnung des Brandenburger Tors in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Retter, Vorsitzender, Lichtgestalt: Gregor Gysi

Doch trotz dieser historischen Hypothek gelang es den Ex-Kommunisten, im vereinigten Deutschland weiter eine Rolle zu spielen. Für höchste Staats- und Regierungsämter auf Bundesebene kamen ihre Protagonisten zwar nicht infrage, im Osten des Landes aber etablierte sich die PDS schnell. In den Landtagen ist sie seit 25 Jahren eine feste Größe. Und als Koalitionspartnerin der Sozialdemokraten war sie schon in den 1990er Jahren ein Machtfaktor. Prognosen, die Post-Kommunisten würden über kurz oder lang von der Bildfläche verschwinden, erwiesen als falsch.

Zentrale Figur des Überlebens und Aufblühens der SED-Nachfolgerin war von Anfang an Gregor Gysi. Der Ostberliner Anwalt führte die politisch bankrotte, aber finanziell gut ausgestattete Partei als erster PDS-Chef durch die turbulenten Monate nach dem Fall der Berliner Mauer. Seitdem zieht er vor und hinter den Kulissen die Fäden. Hochintelligent, rhetorisch geschliffen und schlagfertig verkörpert Gysi den Gegenentwurf zum Bild des mausgrauen Funktionärs alter DDR-Schule. Mit seiner Ausstrahlung, mit seinem Charisma ebnete er der PDS Anfang des Jahrtausends im Stadtstaat Berlin den Weg in die Regierung. Für kurze Zeit war er Stellvertreter des später auch international bekannten Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD).

Deutschland DDR SED-Sonderparteitag 1989 in Berlin
Gysi auf dem SED-Sonderparteitag im Dezember 1989 in Berlin...Bild: ullstein bild - ADN-Bildarchiv

Unfreiwilliger Aufbauhelfer: Kanzler Schröder

Das rot-rote Bündnis in der früheren Frontstadt war der wohl wichtigste Modernisierungsschub für die Ex-Kommunisten. Was noch fehlte, war der Durchbruch im Westen Deutschlands. Unfreiwilliger Aufbauhelfer wurde kein Geringerer als der damalige sozialdemokratische Bundeskanzler Gerhard Schröder. Mit seinen radikalen Arbeitsmarkt- und Wirtschaftsreformen trieb er viele desillusionierte SPD-Linke in die offenen Arme der PDS. Als westdeutsche Integrationsfigur fungierte Schröders langjähriger Weggefährte Oskar Lafontaine. Der ehemalige SPD-Vorsitzende und Ex-Minister wurde zum Gesicht der 2005 gegründeten Partei "Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit" (WASG). Zwei Jahre später bündelten PDS und WASG ihre Kräfte und machen als Die Linke vor allem der SPD das Leben schwer.

Gregor Gysi und Oskar Lafontaine im Bundestagswahlkampf 2009
...und Gysi (r.) mit Lafontaine im Bundestagswahlkampf 2009Bild: imago/Seeliger

Das Ziel, eine gesamtdeutsche Kraft zu werden, hat die junge Partei weitgehend erreicht. In Großstädten und Ballungsgebieten wie dem Ruhrgebiet gehören linke Politiker inzwischen zum politischen Establishment. Nur im wirtschaftlich besonders prosperierenden und strukturkonservativen Süden und Südwesten tut sich die späte SED-Nachfolgerin noch schwer. Ihren größten landespolitischen Erfolg feierten die neuen Linken 2014 mit dem Sieg bei der Parlamentswahl in Thüringen. Der ostdeutsche Freistaat wird seitdem vom westdeutsch sozialisierten Ministerpräsidenten Bodo Ramelow regiert. Dass seiner Fraktion auch Abgeordnete mit Stasi-Vergangenheit angehören, belegt zweierlei: Es gibt noch ein paar Schatten aus der Vergangenheit, die bis in die Gegenwart reichen. Diese Schatten sind inzwischen jedoch zu klein, um Die Linke insgesamt in ein dunkles Licht zu tauchen.

Rote-Socken-Kampagne wurde zum Bumerang

Die in den ersten Jahren nach der Deutschen Einheit vor allem im katholisch geprägten konservativen Milieu beliebten Rote-Socken-Kampagne hat den Ex-Kommunisten eher genützt als geschadet. Zu durchsichtig war der Versuch, alle alten und neuen Linken undifferenziert zu diskreditieren. Schließlich stammten auch viele Abgeordnete der anderen Parteien aus der politischen Ruinenlandschaft der DDR. Sie fielen nur weniger auf: Als ehemalige Mitglieder der sogenannten Blockparteien standen sie nicht so im Fokus wie jene der SED. Sie waren aber ebenso staatstragend.

Heute, im Jahr 25 der Deutschen Einheit, ist die in ihrer Frühphase aus kommunistischen Trümmern erbaute Linke ein fester Bestandteil des Politikbetriebs. Die Partei ist inzwischen so stabil, dass sie sogar den Rückzug ihrer Lichtgestalt Gregor Gysi verkraften kann. Der wird Mitte Oktober, also kurz nach dem Tag der Deutschen Einheit, nicht mehr für den Vorsitz seiner Fraktion im Bundestag kandidieren. Dort, im Berliner Reichstagsgebäude, ist die Linke seit 2013 stärkste Oppositionskraft. Gysis Traum von einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene dürfte allerdings noch lange unerfüllt bleiben. Dafür gibt es zu viele programmatische Differenzen mit der SPD und den Grünen. Die haben sich über die Jahre zunehmend in der politischen Mitte verankert. Den frei gewordenen Platz am linken Rand nimmt jetzt die Partei ein, die auch so heißt: Die Linke.