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Aufschrei der Medien

Silke Wünsch8. Januar 2015

Nach dem Anschlag auf das Satireblatt "Charlie Hebdo" zeigt die Medienwelt Wut, Trauer und Betroffenheit. Eines aber wollen sich kritische Journalisten niemals nehmen lassen: die Freiheit, das zu sagen, was sie wollen.

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Frankreich Anschlag auf Charlie Hebdo - Titelseiten in Deutschland
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Der Anschlag von Paris beherrscht am 8. Januar sämtliche Titelblätter deutscher und vieler internationaler Tageszeitungen. Da ist eine Zeitung angegriffen worden, Journalisten und Redakteure wurden umgebracht - Kollegen.

"Je suis Charlie" - die Solidaritätsbekundung, die innerhalb weniger Stunden nach dem Attentat um die ganze Welt ging, prangt auf der Titelseite der "taz" - einer nicht ganz satirefreien Tageszeitung aus Berlin. Die "Berliner Morgenpost" tut es ihr gleich. Die "Bild"-Zeitung, deren "Letzte Seite" sonst mit knallbunten Boulevardmeldungen gespickt ist, zeigt an dieser Stelle "Je suis Charlie", riesig, doppelseitig. Die "Hamburger Morgenpost" druckt Titelblätter von "Charlie Hebdo" mit der Schlagzeile "So viel Freiheit muss sein!" und zeigt im Innenteil genau die Karikaturen, wegen denen ihre Schöpfer erschossen wurden. Die "Koblenzer Rheinzeitung" sagt in mehreren europäischen Sprachen "NEIN zum Angriff auf unsere Werte", und die "BZ" aus Berlin skandiert: "Vive la liberté" ("Es lebe die Freiheit") und druckt auf ihrer Titelseite gleich 18 Ausgaben von "Charlie Hebdon": "Freiheit kann man nicht erschießen."

Zeichnung von Uderzo zum Anschlag
Der bekannteste französische Zeichner Uderzo verbeugt sich vor den OpfernBild: Twitter/Uderzo

"Es lebe der Witz!"

Deutschlands Satiremagazin "Titanic" zeigt auf der Startseite seiner Online-Ausgabe eine Karikatur, die die großen Weltreligionen als Phallussymbole darstellt. Unter der kleinsten Ausführung steht der Islam. Die Botschaft ist klar. Und auch die Botschaft des Chefredakteurs Tim Wolff, der sich an diesem Donnerstag unter dem Titel "Es lebe der Witz!" noch einmal ganz deutlich für Komik und Satire ausspricht. Und hinterfragt, warum gerade religiöse Fanatiker Komik so verachten. "Sie vertreten eine todernste, einzige ewige Wahrheit, und der Witz bedroht diese Wahrheit."

Bildergalerie Cover des Satiremagazins Charlie Hebdo
Ein Titelblatt des Satiremagazins Charlie Hebdo

Auch das bekannteste deutsche Online-Satiremagazin "Der Postillon" zeigt sich völlig unbeeindruckt von der Bedrohung und haut stattdessen mit voller Wucht in die Kerbe: "Anschlag auf 'Charlie Hebdo' ganz großartig für Islamisten und Islamhasser" – schließlich fühlten sie sich einmal mehr in ihrem Weltbild bestätigt. "Einen weniger guten Tag hatte die überwältigende Mehrheit derjenigen Menschen, die einfach in Frieden leben wollen - darunter Muslime, Christen, Anhänger anderer Religionen, Agnostiker und Atheisten."

Zeichner schießen zurück - mit Tinte und Bleistift

Im Netz macht ein tumblr-Blog die Runde, in dem Zeichner aus der ganzen Welt mit bissigen Karikaturen auf die Anschläge reagieren. Was mehrmals schon auf Twitter zu lesen war - "Das ist Frankreichs 9/11" - hat der niederländische Karikaturist Ruben L. Oppenheimer in einen Cartoon umgesetzt.

Charlie Brown, der Junge aus der US-Comic-Serie Peanuts, ist der Namensgeber der Satirezeitung. Der britische Blogger Magnus Shaw twittert:

Dave Brown vom "Independent" streckt der Welt trotzig den Mittelfinger entgegen.

Was kommt, wenn der Schock verraucht ist?

Bei allem wütenden, trotzigen und kreativen Engagement bleibt die Frage, ob das Blutbad in der Pariser Redaktion die Medien verändern wird. Schon am Tag des Anschlags haben einige Zeitungen fast reflexartig die Bilder verpixelt, auf denen die Hebdo-Karikaturen zu sehen sind. Werden auch andere Zeitungen und Onlinemagazine in Zukunft darüber nachdenken, was sie zeigen dürfen und was nicht?

Die Berliner Medienwissenschaftlerin Margreth Lünenborg hat die Reaktionen nach dem Anschlag beobachtet. Was sie erlebt habe, sei eine sehr eindrucksvolle Solidarisierung quer durch alle Medien, eine Einigkeit darüber, dass die Pressefreiheit die Grundlage einer demokratischen Gesellschaft und ein essentielles Menschenrecht sei, so die Professorin. Ganz augenfällig sei der Tenor der meisten Solidaritätsbekundungen nach dem Motto: "Wir zitieren eure Titelseiten und unterstützen damit eure kritische Haltung." Zugleich bliebe aber auch die Angst nicht vor der Tür. "Natürlich wird überlegt werden, was es bedeutet, Themen aufzugreifen, in dem Wissen, dass eine Gefahr besteht. Und natürlich haben einige Medienhäuser ihre Sicherheitskontrollen verstärkt. Schließlich sind sie verantwortlich für die Sicherheit ihrer Mitarbeiter." Das hieße aber nicht, so Lünenborg, dass man in Zukunft diese Themen meiden wolle. So sieht sie auch nicht die Gefahr einer Art Selbstzensur, die sich die Medien jetzt auferlegen.

Trauer nach Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris
Mit Stiften gegen Gewehre - Zeichen der Solidarität mit den OpfernBild: AFP/Getty Images/D. Meyer

Die deutsche Wochenzeitschrift "Der Spiegel" bereitet in diesen Tagen ihre erste Samstagsausgabe vor und ist von den Ereignissen in Paris kalt erwischt worden. Dennoch will der "Spiegel" besonnen reagieren und sachlich bleiben, wie Rüdiger Ditz, Politikredakteur und Sprecher des Magazins, erklärt: "Wir gehen mit dem Islam und dem Islamismus so um, wie wir mit allem umgehen. Kritisch positiv und kritisch negativ, so wie wir es für geboten halten. Daran wird sich durch diesen fürchterlichen Anschlag auch nichts ändern. Wir versuchen, Fakten heranzuschaffen, und wir versuchen, nicht unbedingt zu provozieren. Sondern zu informieren. Und deshalb sehe ich da eigentlich wenig Gefahr." Gerade erst hat der "Spiegel" eine neue Markenkampagne gestartet. Der Titel: "Keine Angst vor der Wahrheit."