Schau über die Macht alter und neuer Mauern
13. September 2019Mauern sind abweisend. Mauern trennen. Mauern sollen politisch einschüchtern, wie der von US-Präsident Trump populistisch postulierte Grenzzaun zu Mexiko. Und Mauern können den Tod bringen, wie die Berliner Mauer, an der mehr als 140 Menschen ums Leben kamen, meistens durch gezielte Todesschüsse der DDR-Grenztruppen.
Mauern als monströse Ungeheuer
Das Monströse und zutiefst Unmenschliche von Mauern hat immer wieder Künstler herausgefordert und zu harten Anklagen getrieben. Doch es gab auch Aktionen wie die der ersten "Mauermaler" Thierry Noir und Kiddy Citny, die noch in den 1980-er Jahren "Berlin mit Kunst einschließen" wollten und der Mauer damit - gewollt oder ungewollt - etwas Menschliches einhauchten.
Auch in der jetzt eröffneten Ausstellung"Durch Mauern gehen" ist diese Ambivalenz zu spüren. Zum 30. Jahrestag der Öffnung der Berliner Mauer halten sich Jubel und Weltzuversicht, die der Mauerfall als Weltereignis auslöste, in Grenzen. Anstelle des Endes der Geschichte, wie es damals der amerikanische Politologe Francis Fukuyama mit dem Sieg des politischen Liberalismus eingeläutet sah, nehmen viele Menschen genau das Gegenteil wahr: eine fortgesetzte Geschichte der Spaltung, die Populisten unbeirrt vorantreiben, weil sie davon profitieren.
Diese pessimistische Weltsicht wird in vielen Arbeiten deutlich, in denen sich 28 Künstler in grundsätzlicher Weise mit der physischen Präsenz von Mauern und den Folgen für die betroffenen Menschen auseinandersetzen. Und dennoch: Immer wieder geht es auch darum, wie Teilung und Spaltung überwunden werden können.
Empathie und Emotionen
Dass die beteiligten Künstler deswegen nicht gleich hoffnungslose Optimisten sind, stellt Kurator Till Fellrath gegenüber der DW klar: "Alle Künstler haben persönlich mit Mauern oder Grenzen in irgendeiner Form gelebt. Die Kraft der Kunst liegt darin, dass man Empathie entwickeln kann." Man könne die Welt vielleicht nicht verändern. Aber jeder sollte sich anstrengen, Empathie zu entwickeln und auch einmal einen anderen Blickwinkel einzunehmen, fügt Fellrath erklärend hinzu.
Eine schon im Vorfeld vieldiskutierte Arbeit des in Rio lebenden José Bechara führt das exemplarisch vor. In "Ok, Ok Lets Talk" hat er 50 Holztische miteinander verbunden. Stellenweise lässt er abfallende Flächen ins Leere laufen. An zwei Stellen ragen leere Stuhllehnen nach oben. Stehen sie für Brüche und Grenzen von Kommunikation, oder eher für den Versuch eines Dialogs? Die Frage kann sich jeder selber beantworten.
Schon eindeutiger ist da die Filmprojektion "Shadow Play" (unser Artikelbild), die Asylbewerber in der Schweiz zeigt. Der in New York lebende Javier Téllez hat mit ihnen als Hauptdarstellern ein Schattenspiel kreiert, lässt sie mit ihren Händen Geschichten von Vertreibung und Ausgrenzung erzählen. Plötzlich ist dann "La Main" ("Die Hand", 1947) zu sehen, eine Skulptur von Alberto Giacometti, die dieser aus der Weltkriegs-Erinnerung an seine Flucht aus Paris heraus schuf. Entwurzelung und Gewalt als überzeitliche Erfahrung - und Bedrohung.
Bedrohliche Ohrfeigen
Auf andere Weise gehen in einer Video-Endlosschleife aus der 1977 produzierten Performance "Light/Dark" Marina Abramovic und Ulay in die Konfrontation. Das Paar ohrfeigt sich abwechselnd und ohne Unterbrechung. Unfähig zu Kommunikation und Kompromissen beharren beide auf ihrem Standpunkt, rennen gegen die unsichtbare Wand des jeweils anderen.
Von unsichtbaren, "latenten" Mauern erzählt auch eine Videoinstallation des libanesischen Künstlers Siska. "Latent border(s)" ist eine Zwei-Kanal-Filminstallation in einem begehbaren schwarzen Tunnel. Eingebettet in eine Soundcollage mit Interviews und Stadtgeräuschen aus Beirut und Berlin erspürt der Film nicht nur die sichtbaren Trennlinien in beiden Städten, sondern eben auch die latenten, noch nicht fassbaren Teilungen. Wie in vielen anderen Ausstellungsexponaten verweist auch Siska auf religiös, politisch, sozial oder ethnisch motivierte Ausgrenzung.
Natürlich kommt die Ausstellung nicht an der Berliner Mauer selbst vorbei. Sie ist nicht nur in den Köpfen präsent, sondern hier auch physisch nicht wegzudenken, stand sie doch dicht am Gropiusbau, wovon heute noch Mauerreste zeugen. Fragend, abwartend aber nicht angsterfüllt ist der Blick des Mädchens, das Sibylle Bergemann in den Wendetagen vor der Mauer an der Bernauer Straße aufgenommen hat. Bergemann war wohl die profilierteste Fotografin in der DDR, berühmt für ihre Modefotos, die in der Frauenzeitschrift "Sibylle" erschienen, aber auch geschätzt für Arbeiten, die ihre melancholische, wenig ideologische Sicht auf den Alltag der DDR zeigen. Die sechs von ihr gezeigten Fotos sind hochsensible Seismographen jener Zeit.
Durchsichtige Mauern
Viele der gezeigten Arbeiten sind faszinierend suggestive Annäherungen an das Thema Mauer. Ein Höhepunkt ist sicherlich die Installation des New Yorkers Fred Sandback. Der im Jahre 2003 verstorbene Künstler hinterließ in seinem Skizzenbuch Angaben zu seiner "Skulpturalen Studie", die jetzt das erste Mal realisiert wurde. Schwarzes Acrylgarn durchspannt deckenhoch einen ganzen Ausstellungsraum. Wer ihn betritt, spürt fast schon körperlich die räumlichen Proportionen, die das Garn erfahrbar machen. Der imaginierte wird zum realen Raum. Durchsichtigkeit und Transparenz vermitteln aber auch die Zuversicht, dass Mauern überwindbar sind. Die Utopie, durch Mauern zu gehen, wird plötzlich Wirklichkeit.
Die Ausstellung "Durch Mauern gehen" ist bis zum 19. Januar 2020 im Gropius Bau in Berlin zu sehen.