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Brauchen wir die Oper noch?

30. September 2022

Opern erzählen Geschichten auf eine besondere, vielleicht nicht immer sehr zugängliche Art. Zugleich umgibt sie eine elitäre Aura. Hat die Oper ausgedient?

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Blick in den Saal in der Opera Garnier im Palais Garnier.
Prunkvoller Neobarock: Die Pariser Opéra Garnier wurde 1875 eröffnetBild: Günter Gräfenhain/ImageBroker/picture alliance

Deutschland hat mit 83 Opernhäusern die höchste Operndichte weltweit. Zu den prominentesten zählt das Festspielhaus in Bayreuth, einst von Richard Wagner errichtet. Seit 1876 werden dort im Rahmen eines Festivals Wagner-Opern aufgeführt. Die Bayreuther Festspiele sind Jahr für Jahr ein großes gesellschaftliches Event mit viel Prominenz.

Das war auch in den Anfängen der Oper so, doch erfunden wurde sie woanders, nämlich in Italien. Am Hofe der Medici in Florenz fanden um das Jahr 1600 die ersten Opernaufführungen statt. Sie dienten vor allem der Unterhaltung der Reichen und Mächtigen und der Repräsentation. Die Komponisten Jacopo Peri und Giulio Caccini vertonten die Stücke "La Dafne" und "L'Euridice" von Ottavio Rinuccini und erfanden damit die Oper. Auch das Rezitativ, der für Opern so typische Sprechgesang, geht auf die beiden Italiener zurück.

Der Chor der Götterdämmerung steht auf der Bühne bei den Bayreuther Festspielen 2022.
Licht, Kostüme, Musik: Opern bilden ein GesamtkunstwerkBild: Enrico Nawrath

Herrscherrepräsentation mit Musik und Tanz

Da die neue Kunstform beim Publikum so gut ankam und sie sich für den europäischen Adel hervorragend eignete, um seinen Reichtum, Macht und Überlegenheit zur Schau zu stellen, verbreitete sie sich rasant. Am Wiener Hof arbeiteten im 17. und 18. Jahrhundert die besten Komponisten, Sänger und Bühnenbildner. Der Habsburger Kaiser Karl VI. (1685-1740) schwang sogar selbst den Taktstock.

Nachbau eines Modells für ein Bühnenbild für die Oper "Il pomo d'oro" zeigt lange Flucht und barocke Säulenreihen, dazwischen ein paar Figuren.
Rekonstruktion eines barocken Bühnenbild-Modells von 1668 zur Oper "Il pomo d'oro"Bild: KHM-Museumsverband, Theatermuseum Wien

Opern rechnen sich

Ab den 1630er-Jahren gründeten die reichen Patrizierfamilien in Venedig erste Opernhäuser. Ihnen ging es weniger um Protz und Prunk, sondern ums Geldverdienen. Zur Profitmaximierung wurden die Aufführungen gekürzt und Chor und Orchester verkleinert. Dafür wurden Stars eingekauft, wie etwa der damals hochverehrte und berühmte Kastrat Farinelli, und spektakuläre Bühnenbilder geschaffen.

Gemälde zeigt einen sitzenden, in barockem Zwirn gekleideten Jüngling, neben ihm Putten und eine leicht bekleidete Dame, über ihm ein Engelschor.
Farinelli hieß eigentlich Carlo Broschi und war einer der Superstars seiner ZeitBild: MUZEUM NATIIONAL DE ARTÃ AL ROMȂNIEI, Cameraphoto Arte Venezia/Bridgeman Images

Das Publikum bekam eine große Show geliefert, die cleveren Patrizier hatten eine neue Geldquelle erschlossen. "Es ging darum, die Menschen mitzureißen und zu begeistern", erklärt die Kunsthistorikerin Katharina Chrubasik, die gemeinsam mit dem Dramaturgen Alexander Meier-Dörzenbach die Ausstellung "Die Oper ist tot - Es lebe die Oper" in der Bundeskunsthalle (30.09.2022-05.02.2023) kuratiert.

Blick in den Bühnensaal der Oper von Venedig (La Fenice).
Blick in den Saal der Oper von Venedig, dem Teatro La FeniceBild: Annette Reuther/picture alliance/dpa

Deutschland: Land der Opern

Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie haben in Deutschland rund 3,8 Millionen Menschen pro Jahr eine Oper besucht. Die Zahlen hielten sich lange Zeit stabil. Erst die Pandemie sorgte für einen starken Einbruch. War das der Todesstoß für die Oper? "Die Oper ist immer wieder totgesagt worden und trotzdem hat sie sich neu erfunden, hat sich neu sortiert, nach allen Krisen, sei es nach Kriegen oder nach gesellschaftlichen Umbrüchen", sagt Chrubasik.

Spektakuläres Gesamtkunstwerk

Wie kein anderes Genre spreche die Oper unsere Sinne an, indem sich Musik, Gesang, Poesie, bildende Künste, Theater und Tanz zu einem spektakulären Gesamtkunstwerk verbinden, meint die Intendantin der Bundeskunsthalle, Eva Kraus. Für sie ist die Oper "eine der betörendsten Kunstgattungen überhaupt". Etwas dramatischer fasst Kurator Alexander Meier-Dörzenbach die Vorzüge der Oper zusammen: "Die menschliche Seele zutiefst zu erschüttern, ist der Anspruch der Oper." Zwar sei alles, was das Publikum zu sehen bekomme, Illusion, aber es habe trotzdem eine Wirkung auf die Menschen. "Diese Wirkung ist echt und wahr."

Porträt des österreichischen Komponisten Gustav Mahler.
Gustav Mahler forderte volle Fokussierung auf das Geschehen auf der OpernbühneBild: akg-images/picture alliance

Auf diese einmalige Wirkung auf das Publikum zielte auch der Komponist und Dirigent Gustav Mahler ab, der die neu gegründete Wiener Hofoper ab 1897 leitete. Er dirigierte selbst, übernahm die Regie und führte eine Neuerung ein, die bis heute bestand hat: Er ließ den Zuschauersaal verdunkeln und die Türen nach Beginn der Aufführung verschließen. Alle sollten sich voll und ganz auf das bis ins Detail durchkomponierte Geschehen auf der Bühne konzentrieren.

Mailand: Musikalisches Zentrum

Im Laufe ihrer Geschichte pendelte die Oper zwischen verschiedenen Ansprüchen: Sie wurde als Statussymbol genutzt, als Wirtschaftsunternehmen aufgebaut und als Hort hoher Kunst verstanden. Im 19. Jahrhundert war die Mailänder Scala die Topadresse unter den Opernhäusern. Geleitet wurde sie von Domenico Barbaja, einem ehemaligen Kellner und Kartenspieler, der ein Casino ins Opernhaus integrierte und einen guten Draht zu den Komponisten Gioachino Rossini, Vincenzo Bellini und Gaetano Donizetti hatte. Er konnte sie davon überzeugen, Auftragswerke für ihn zu schreiben. Das Mailänder Verlagshaus Ricordi sicherte sich die Rechte an den Opern und kümmerte sich um den weltweiten Vertrieb.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gründeten 22 New Yorker Neureiche, darunter die Familien Rockefeller, Vanderbilt und Roosevelt, die vom alteingesessenen Geldadel nicht akzeptiert wurden, ihre eigene Oper: die Metropolitan Opera. Spätestens nach 40 Jahren stand sie auf einer Stufe mit der Wiener Staatsoper und der Mailänder Scala. In ihrer Anfangszeit führte sie alle Opern - unabhängig von ihrer Originalsprache - auf Italienisch auf.

Der Druck zeigt ein Zusammentreffen zwischen der Academy of Music und der Metropolitan Opera mit Opernsängerinnen und Sängern, Dirigenten und Orchester-Musikern
Dieser Druck zeigt ein Zusammentreffen von verschiedensten Akteurinnen und Akteuren der New Yorker Academy of Music und der Metropolitan OperaBild: Bundeskunsthalle

Zu elitär für den Mainstream?

Bis heute haftet er Oper etwas Elitäres an. Höchste Zeit das zu ändern, meint Katharina Chrubasik. Sie hofft, dass die Ausstellung dazu beiträgt und den Besucherinnen und Besuchern Lust macht auf Oper. "Natürlich war die Oper immer sehr elitär. Sie ist ja eine höfische Form, die sich dann entwickelt hat. Aber im 19. Jahrhundert ist sie auch eine Kunstform des Bürgertums. Das Bürgertum schafft sich neue, großartige Häuser und übernimmt die Rolle, die vorher der Adel inne hatte."

Im Prinzip sei die Oper wie das Kino, sagt sie. Sie ist ein Ort, an denen Geschichten erzählt werden. Geschichten von Drachentötern, von Helden und Verrätern, von Intrigen und Ränkespielen, von erfüllter und unerfüllter Liebe, von Macht, von Leidenschaft und menschlichen Abgründen, vom Leben und dem unausweichlichen Tod.

Tänzer der Metropolitan Opera recken ihre Hände in die Höhe.
Opern können Geschichten auf eine ganz besondere Art erzählenBild: Paul Hawthorne/Getty Images

 "Die Oper ist surreal, die Oper bringt Dinge zusammen, die gar nicht existieren. Filme sind sozusagen wie eine Fortsetzung der Oper." Vielleicht sei das Elitäre nur in unseren Köpfen, sagt Katharina Chrubasik. Daher sollten alle der Oper ein Chance geben. "Die Oper kann uns begeistern, sie kann in uns Gefühle auslösen wie kein anderes Genre." Die Frage, ob die Oper in diesen Zeiten ausgedient hat, dürfte damit beantwortet sein.