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"Signal mit Hintergedanken"

Esther Felden6. Juni 2013

Nordkorea hat dem Süden Gespräche über eine Wiedereröffnung des Industrieparks Kaesong angeboten. Dafür hat das Regime gute Gründe, sagt Korea-Experte Eric Ballbach im DW-Interview.

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Eric Ballbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin. (Foto: Copyright: Eric J. Ballbach)
Eric J. BallbachBild: Eric J. Ballbach

Deutsche Welle: Herr Ballbach, seit mehr als zwei Monaten ist der von Nord- und Südkorea gemeinsam genutzte Industriepark Kaesong geschlossen. Jetzt hat Pjöngjang Seoul Gespräche über eine Wiedereröffnung angeboten. Hat Sie dieser Schritt überrascht?

Eric Ballbach: Überrascht hat er mich nicht. Ich habe schon direkt nach der Schließung betont, dass ich nicht mit einer langfristigen Schließung rechne. Das hat mehrere Gründe: Zum einen ist es natürlich ein profitables Projekt sowohl für Nordkorea als auch für Südkorea - wobei der Gesamthandel, der über Kaesong abgewickelt wird, gemessen am gesamten südkoreanischen Außenhandel, natürlich eher gering ist. Aber es sind immerhin 123 südkoreanische kleine und mittelständische Unternehmen, die dort produzieren.

Für Nordkorea steht das im Zusammenhang mit der generell gesteigerten Bedeutung, die die wirtschaftliche Entwicklung für die Legitimation der neuen Führung besitzt. Man hatte einen Schwerpunkt auf die militärische Entwicklung gelegt und mit den jüngsten Raketentests und dem Nukleartest auch sozusagen das Militär befriedet, es hinter die neue Führung gebracht. Nichtsdestotrotz ist es sicherlich so, dass sich die neue Führung um Kim Jong Un noch weitaus mehr als die seines Vaters und vor allem seines Großvaters auch über wirtschaftliche Entwicklung legitimieren muss. In diesem Zusammenhang sind auch die jüngsten Entwicklungen zu betrachten, sprich der Besuch in China, die Gespräche mit Japan und jetzt eben auch diese ersten neuen positiven Signale nach Südkorea.

Ich denke, man kann hier zwei grundlegende Politikstile Nordkoreas unterscheiden. Da ist zum einen eine Politik, die auf Autonomiemaximierung basiert und die wir in den vergangenen Monaten gesehen haben. Und jetzt kommt ein Schwenk eher hin zu einer einflussmaximierenden Politik. Nordkorea möchte bei kommenden Entwicklungen mitreden und wird jetzt sicherlich wieder einen sichtbareren Schwerpunkt auf die wirtschaftliche Entwicklung legen.

Wieviel wirtschaftlicher Schaden ist Nordkorea denn durch den langen Produktionsstopp entstanden?

Es ist für Nordkorea natürlich grundsätzlich ein Dilemma, überhaupt mit Südkorea umfassend zu kooperieren. Eine umfassende Kooperation mit Südkorea birgt immer die potenzielle Gefahr für Regime-Destabilisierungen. Seit 2008/2009 und vor allem nach der Versenkung der südkoreanischen Korvette "Cheonan" 2010 konnte man sehen, dass die innerkoreanische Wirtschaftskooperation außerhalb von Kaesong stark zurückgegangen ist. Nordkorea ist es gelungen, diesen Rückgang in den innerkoreanischen Beziehungen mit einer massiven Ausweitung seiner Beziehungen zu China zu kompensieren. Das ist zwar für Nordkorea grundsätzlich der politisch "weniger gefährliche" Handel, aber er reicht sicherlich allein nicht aus. Insofern wird das Projekt Kaesong, solange Nordkorea es nicht als unmittelbare Regime-Gefahr sieht, sicher auch aufrechterhalten.

Auf südkoreanischer Seite kommt hinzu, dass Kaesong eine ganz außergewöhnliche Organisationsstruktur hat, weil eben verschiedene Akteure involviert sind: Hyundai als Großinvestor, dann 123 Unternehmen, aber eben auch verschiedene Versicherungsgesellschaften und Ähnliches. Und aus diesen Unternehmen heraus haben sich verschiedene Interessengruppen gebildet, die ihrerseits Druck auf die Regierung ausüben, die Produktion möglichst bald wieder aufzunehmen. Insofern treffen da, wenn wir über Kaesong sprechen, in Nord- und Südkorea durchaus zwei komplementäre Strategien zusammen.

Aber wie viel Geld durch die Schließung tatsächlich nicht erwirtschaftet wurde, kann man nicht genau beziffern?

Das kann man so nicht genau beziffern, weil nicht ganz klar ist, ob in den letzten zwei Monaten beispielsweise die grundlegenden Mieten der Unternehmen überhaupt bezahlt wurden. Da haben wir unterschiedliche Informationen. Der Verlust war sicherlich spürbar. Weitaus wichtiger als der direkte finanzielle Verlust ist für Nordkorea hingegen die Frage der 53.000 Arbeitslosen. So viele Nordkoreaner haben in dem Komplex für südkoreanische Unternehmen gearbeitet, teilweise wurden sie von weit her nach Kaesong gebracht. Das ist ein weitaus heiklerer Punkt für die Führung in Pjöngjang gewesen: Wie geht man in einer ohnehin relativ strukturschwachen Region damit um, auf einen Schlag 53.000 Arbeitslose zu haben? Das ist eine potenzielle Gefahr, und ich denke, man hat diese Gefahr langfristig als größer angesehen als eine fortgesetzte Kooperation, mit der man ja auch effektiv ökonomische Gewinne erzielen kann.

Könnte das auch unter dem Strich einer der Hauptgründe für das jetzige Gesprächsangebot sein?

Ich denke, das hat sicherlich etwas damit zu tun. Insgesamt muss die jüngste Initiative Nordkoreas schon so betrachtet werden, dass man jetzt einen weitaus größeren Fokus auf wirtschaftliche Fragen legen wird. Wie gesagt, die militärische Konsolidierung der Macht Kim Jong Uns ist scheinbar geglückt - auch mit den jüngsten Wechseln im Militär hin zu Getreuen und Vertrauten der Kim-Familie -, insofern hat das sicherlich auch etwas damit zu tun. Es ist ein Mix aus Legitimationsfragen und handfesten wirtschaftlichen Interessen.

Neben der Wirtschaft umfasst das Gesprächsangebot Nordkoreas auch noch einen ganz anderen Bereich: Es geht um die Wiederaufnahme von grenzüberschreitenden Familientreffen. Und die lagen ja zuletzt über Jahre auf Eis.

Genau. Das war sicherlich das überraschendere Angebot, wobei man auch hier sehen muss: Nordkorea verfolgt natürlich die Strategie Südkoreas sehr. Und die Schritte, die man momentan beobachten kann, sind ein bisschen darauf ausgelegt, sich die Unterstützung Südkoreas wieder zu sichern. Gerade der humanitäre Aspekt ist ja etwas, was auch von der neuen südkoreanischen Führung unter Präsidentin Park Geun Hye betont wurde. Park hatte angekündigt, humanitäre von politischen Fragen zu entkoppeln, humanitäre Hilfe zu leisten, auch wenn sicherheitspolitische Fragen ungeklärt sind.

Das ist der größte Unterschied zur Vorgänger-Administration unter Lee Myung Bak, die ja selbst humanitäre Fragen der Nuklearfrage untergeordnet hat. Unter ihm hat die Nuklearfrage letztendlich alle Teilbereiche der innerkoreanischen Beziehungen determiniert. Die Frage wird nun sicherlich sein: Inwiefern wird Südkorea beispielsweise auf einer Entschuldigung für die "Cheonan"-Versenkung und den Beschuss der südkoreanischen Insel Yeonpyeong Ende 2010 beharren? Und in nächster Zukunft entscheidend wird auch die grundsätzliche Frage sein, wie man die eigene Rolle definiert. Wird Südkorea sich selbst als einen Akteur betrachten, der eine unmittelbare Rolle in der Lösung der Nuklearfrage spielt und dementsprechend auch die innerkoreanischen Beziehungen dieser Frage unterordnet?

In diesem Fall wird es sicherlich wieder problematisch werden, weil Nordkorea diese Frage einfach als eine bilaterale Angelegenheit mit den USA betrachtet und Südkorea da nur einen begrenzten Einfluss zugesteht. Auch das wird eine große Frage sein: Inwiefern wird die neue südkoreanische Administration unter Park Geun Hye bereit sein, die innerkoreanischen Beziehungen voranzutreiben, wenn Nordkorea nicht einer vollständigen Denuklearisierung zustimmen sollte? Und dass Nordkorea den Weg der Nuklearmacht noch einmal vollständig verlässt, das sehe ich als sehr unwahrscheinlich an. Dafür hängt bereits zu viel Propaganda an dieser Errungenschaft, die unmittelbar mit Kim Jong Il und dessen "historischem Erbe" verknüpft wird. Eine vollständige Abkehr würde genau dieses Erbe auch wieder ein bisschen in Frage stellen.

Eric J. Ballbach ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Korea-Studien an der Freien Universität Berlin.