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Bandelow: "Wir müssen uns auf Gefahren einstellen"

Carina Groß15. Juli 2016

Früher waren es wilde Tiere, Blitz und Donner, die die Menschen in Schach hielten - heute ist es der Terror. "Aber das bringt uns weiter", sagt der Angstexperte Borwin Bandelow. Inwiefern, das erklärt er im Interview.

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Infografik Ängste der Deutschen 2016 (Grafik: DW).

Deutsche Welle: Professor Bandelow, wie beeinflussen uns solche fürchterlichen Anschläge, wie der in Nizza - oder davor in Paris und Brüssel?

Borwin Bandelow: Auch ich bin natürlich über den Anschlag in Nizza entsetzt. Ich bin früher auch gerne über die Flaniermeile dort gegangen. Und auch ich habe große Angst, dass erneut solche Anschläge passieren können.

Aber ich sage mir auch, dass die statistische Wahrscheinlichkeit, durch solch einen Anschlag getötet zu werden, relativ gering ist im Vergleich zu anderen Gefahren, die täglich auf uns lauern - beispielsweise Fahrradunfälle, Schlaganfälle oder Tod durch Krebs.

Inwiefern verändern wir uns durch Ängste, die solche terroristischen Attacken auslösen?

Das Gute ist, dass sich die Gesellschaft dadurch auf Dauer nicht sonderlich verändern wird. Gerade das wird zwar immer befürchtet, wenn Sie sich an die letzten Male zurück erinnern - da kam jedes Mal die Frage auf: Wird unsere Gesellschaft eine Angstgesellschaft? Das wird - denke ich jedenfalls - nicht passieren.

Menschen sind da adaptionsfähig. Man kennt das aus anderen Ländern, zum Beispiel aus dem Irak. Da sind die Menschen daran gewöhnt, seit Jahren Terroranschlägen ausgeliefert zu sein. Aber auch da sind die Menschen in ihrer Lebensqualität nicht so stark beschränkt wie man es befürchten würde, weil wir uns auch an andere Gefahren im Laufe der Zeit gewöhnt haben.

Psychologe Borwin Bandelow (Foto: Imago/Apress).
Bild: Imago/Apress

An Autounfälle haben wir uns zum Beispiel gewöhnt. Oder auch an Haushaltsunfälle und Freizeitunfälle. Daran sterben jedes Jahr 9000 Menschen. Und die meisten Menschen sterben an Herz-und Kreislauferkrankungen: 41 Prozent aller Menschen. Das sind die Gefahren, über die wir uns keine Gedanken mehr machen. Deswegen glaube ich, dass wir in der Zukunft nicht nur noch ängstlich und unglücklich sein werden.

Also müssen wir lernen, mit der Angst umzugehen und mit der tagtäglichen Bedrohung zu leben?

Man kann es den Menschen nicht verdenken, dass sie immer mit einem mulmigen Gefühl auf Massenveranstaltungen gehen, wie Fußballveranstaltungen oder Karneval. Die Menschen werden künftig immer mit so einer Möglichkeit rechnen. Aber es gibt so viele Massenveranstaltungen, und die Terroristen können nicht immer überall sein. Auf aufwendige Sicherheitsmaßnahmen wird bei solchen Veranstaltungen ohnehin immer geachtet.

Ist der Wunsch nach absoluter Sicherheit denn eine Illusion?

Ja, ist er. Wir haben auch jetzt wieder gesehen, dass die Terroristen immer erfinderischer werden. Das war jetzt wieder eine ganz neue Form von Terrorismus - mit einem LKW den Anschlag zu verüben und wahllos Leute zu überfahren. Selbst wenn man den Faktor Sprengstoff ausschließen könnte, gibt es dann die Möglichkeit, einen Laster zu mieten. Wir werden uns nie ganz dafür schützen können.

Haben diese Anschläge auch körperliche oder psychische Auswirkungen auf uns?

Also es ist nicht zu befürchten, dass diese Angst, die dadurch erzeugt wird, sich so äußert, dass wir ängstlicher oder depressiver werden oder unter körperlichen Symptomen leiden, wie Herzrasen.

Kann uns Angst denn auch vor Terror schützen?

Natürlich kann uns die Angst auch helfen. Zum Beispiel, indem wir uns vor anderen Gefahren sichern und wachsamer werden und Maßnahmen ergreifen.

Die ganze Geschichte der Menschheit bestand darin, dass Menschen sich auf irgendwelche Gefahren einstellen mussten - früher waren es wilde Tiere, Blitz und Donner. Menschen sind sehr anpassungsfähig. Die Angst, die durch die bisherigen Anschläge entstanden ist, wird uns auch auf eine gewisse Weise weiterbringen.

Wie können wir denn den Terror am wirksamsten entgegentreten?

Eine Regel ist: Keine Angst zu haben ist die beste Waffe gegen den Terror. Das heißt, wir dürfen den Terroristen nicht die Gelegenheit geben, ihr Ziel zu erreichen und unser gesamtes politisches und soziales Gefüge zu zerstören.

Das hat man auch 2001 bei den Anschlägen in den USA gesehen. Es gab zwar zunächst einen großen Einschnitt, aber in der Struktur der amerikanischen Gesellschaft haben diese Anschläge überhaupt nichts verändert.

Genauso müssen wir den Terroristen zeigen, dass es eigentlich sinnlos ist, was sie machen. Häufig sind es psychisch kranke Menschen, die diese Anschläge machen, die dann die Hoffnung haben, sie könnten damit etwas Großes erreichen - und genau da müssen wir den Terroristen zeigen, dass sie ihr Ziel nicht erreichen. Wir müssen uns der Angst stellen.

Borwin Bandelow ist Experte für Angststörungen und Präsident der Gesellschaft für Angstforschung. Er ist zudem Stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen.

Das Gespräch führte Carina Groß.