Schwieriges Gedenken in Hiroshima
26. Mai 2016Der Weg zu dieser historischen Visite war lang: Der damalige US-Präsident Gerald Ford verzichtete 1974 auf einen Besuch in Hiroshima, weil man die Beziehungen zu Japan nicht gefährden wollte. Einer seiner Nachfolger, George W. Bush, lehnte noch 2008 den Besuch kategorisch ab. Ex-Präsident Jimmy Carter kam nach seiner Amtszeit nach Hiroshima, Ex-Präsident Richard Nixon vor seinem Amtsantritt. Erst seit 2010 nimmt der US-Botschafter in Japan an der jährlichen Gedenkzeremonie in der Stadt teil. John Kerry kam als erster US-Außenminister im April 2016 nach Hiroshima und legte einen Kranz für die Opfer nieder.
Wenn Barack Obama am frühen Freitagabend Ortszeit als erster US-Präsident eine Gedenkrede in Hiroshima hält, betritt er also diplomatisch schwieriges Gelände. Obama hat bereits klargestellt, dass er sich für den ersten Kriegseinsatz einer Atombombe in der Geschichte der Menschheit nicht entschuldigen wird. Als Folge der Explosion am 6. August 1945 starben bis zum Jahresende rund 140.000 Menschen. "Es ist Aufgabe von Historikern, Fragen zu stellen und zu untersuchen", sagte Obama dem japanischen TV-Sender NHK vor seinem Besuch. Stattdessen wird der Präsident den Besuch im Friedenspark von Hiroshima dafür nutzen, um eine "in die Zukunft gerichtete Vision einer atomwaffenfreien Welt" vorzustellen.
Debatte unter Historikern
Mit dem Verzicht auf die Entschuldigung will Obama eine neue Historiker-Debatte vermeiden. Denn bis heute fehlt der Konsens über die Umstände des Nuklearwaffeneinsatzes. Nach der offiziellen Lesart wollten die USA mit den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945 Japan rasch zur Kapitulation im Zweiten Weltkrieg zwingen. Bei einer Bodeninvasion wären angeblich mehr US-Soldaten ums Leben gekommen als Japaner durch die Atombomben. Tatsächlich übermittelte Kaiser Hirohito am Tag nach dem Abwurf auf Nagasaki am 9. August 1945 sein Kapitulationsangebot. Aber einige Historiker meinen, dass Japan früher oder später ohnehin kapituliert hätte. Vielmehr sei es den USA um eine Machtdemonstration gegenüber der Sowjetunion gegangen.
Die noch lebenden Atombomben-Opfer - die Hibakusha - sind in ihren Gefühlen hin und her gerissen. Einerseits gibt es einer Umfrage zufolge bei mehr als der Hälfte der Hibakusha das Verlangen nach einer Entschuldigung. "Viele wünschen sich eine Entschuldigung an die Opfer und Angehörigen, nicht unbedingt eine generelle Entschuldigung", sagte Terumi Tanaka, Generalsekretär vom Verband der Atombomben- und Wasserstoffbomben-Opfer (Nihon Hidankyo).
Obama müsse klarstellen, dass das Abwerfen von Atombomben "inhuman" und eine "Verletzung des Völkerrechts" sei. Tanaka hatte als 13-Jähriger die nukleare Explosion in Nagasaki miterlebt. Andererseits sehen die Überlebenden die Ächtung der Atomwaffen als vorrangiges Ziel. "Das stärkste Gefühl der Überlebenden ist, dass die Forderung nach Entschuldigung nicht zu einer Hürde für die Abschaffung der Nuklearwaffen werden dürfe", sagte Tanaka.
Täter oder Opfer?
Allerdings kritisierte der Hiroshima-Überlebende Toshiki Fujimori vom gleichen Verband die Haltung der japanischen Regierung. Es sei peinlich, dass der Außenminister, der Bürgermeister und der Gouverneur von Hiroshima keine Entschuldigung von Obama erwarteten, sagte Fujimori. Nach seinen Angaben wurde hinter den Kulissen Druck ausgeübt, um den Besuch von Obama zu ermöglichen.
Das ist nur auf den ersten Blick überraschend. Die japanische Regierung benutzt die US-Atombomben seit Jahrzehnten, um die Rolle von Japan als Kriegsopfer zu betonen. Nach Ansicht von politischen Beobachtern wollen die Nationalisten damit die eigene Rolle als Aggressor unter den Teppich kehren. Eine Entschuldigung der USA würde da nur stören, weil sie auch Japan zur Entschuldigung für eigene Kriegsverbrechen zwingen würde.
Daher sehen Japans Nachbarn die Obama-Visite eher kritisch. Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums erklärte, Japan habe hoffentlich aus der Geschichte gelernt, solche tragischen Kriege zu vermeiden. Japan hatte China bereits 1937 und damit vier Jahre vor Pearl Harbour angegriffen. Pekings nationalistische Zeitung "Global Times" kritisierte Obama, weil er Japan eine Opferrolle zugestehe. "Japans rechte Kräfte haben immer versucht, Japans grausame, herzlose und rücksichtslose Rolle als Angreifer im Zweiten Weltkrieg reinzuwaschen", schrieb das Blatt.
Ähnliche Gefühle gibt es in Südkorea. Dort wird befürchtet, dass die Atombombenopfer aus Korea vergessen werden. Nach Angaben ihrer Vertreter waren 50.000 Koreaner von der Hiroshima-Bombe betroffen, weil sie als Zwangsverpflichtete der japanischen Armee oder als verschleppte Zwangsarbeiter vor Ort waren. Bei seinem Besuch sollte Obama daher auch den koreanischen Opfern der Bombe an ihrem eigenen Mahnmal im Friedenspark Respekt zolle. Angesichts dieser verschieden motivierten Forderungen steht dem scheidenden US-Präsidenten am Freitag eine schwierige Gratwanderung bei seinem Hiroshima-Gedenken bevor.