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Aus NSU-Mordserie lernen

Andrea Grunau19. Februar 2013

Barbara John ist die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer des NSU-Terrors und deren Hinterbliebene. Im DW-Interview erklärt sie, warum man verhindern muss, dass die Beschäftigung mit dem Thema aufhört.

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Barbara John (Foto: dpa)
Barbara JohnBild: picture-alliance/dpa

Deutsche Welle: Frau John, Sie haben dafür geworben, eine Stiftung zur Erinnerung an die Mordserie der rechtsextremistischen NSU zu gründen. Worum geht es Ihnen dabei?

Barbara John: Für mich ist der Grundgedanke, dass die Hinterbliebenen aktiv werden können. Außerdem sollte die Beschäftigung mit dieser schlimmsten Mordserie in Nachkriegsdeutschland nach den Attentaten der linksextremistischen RAF nicht beendet sein, wenn der Untersuchungsausschuss aufhört zu arbeiten und wenn die Gedenktafeln überall aufgestellt sind. Die Stiftung sollte sich vor allem einsetzen für einen besseren Umgang der Sicherheitsbehörden, also der Polizei, und vielleicht auch der Justiz mit Opfern. Da könnte man die betroffenen Familien mit ihren Erfahrungen einbinden. Sehr wichtig ist auch, dass die Dokumente - die Ermittlungsprotokolle, die Gerichtsdokumente, die noch entstehen, und die Protokolle aus dem Untersuchungsausschuss -, dass die nicht wieder in alle Welt verstreut werden. Aus diesen Dokumenten lässt sich viel lernen und das geht nur, wenn sie zusammengehalten werden, wenn also auch ein Dokumentationszentrum entsteht.

Wie wollen Sie das finanzieren?

Noch gibt es kein Geld dafür. Es wäre wegweisend, wenn die Zivilgesellschaft das möglich macht. Wenn jeder Bürger, der schon Geld verdient, einmalig 50 Cent gibt, dann könnte eine solche Stiftung entstehen.

Sehen Sie das nicht in erster Linie als Aufgabe der Politik oder der Regierung?

Einfacher wäre eine zivilgesellschaftliche Stiftung, wo die Bürger selber sagen, 'wir wollen, dass es sich ändert', das wäre ein wichtiger Impuls in die Gesellschaft. Es wäre Ausdruck eines Bekenntnisses, dass wir Bürger selbst rechtsradikales Denken und Handeln zurückdrängen wollen.

Stichwort Geld - Sie haben sich für Zahlungen an die Angehörigen der Mordopfer eingesetzt, sind Sie und die Betroffenen damit zufrieden?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt eine Familie, die nicht einen Cent annimmt. Familie Yozgat aus Kassel wollte für ihren Sohn Halit ein dauerhaftes Gedenken haben in Form der Umbenennung einer Straße, in der der 21-jährige Halit geboren und ermordet wurde. Bisher wurde ein Platz nach ihm benannt. Ansonsten lehnt die Familie jede Art von Entschädigung ab. Es ist richtig, dass es keine materielle Entschädigung geben kann für den Tod eines Angehörigen. Aber es geht ja auch um die Entschädigung für Kosten, die entstanden sind. Jeder Verwandte im sehr engen Umfeld hat eine Summe von 10.000 Euro bekommen. Das ist eine kleine Summe, wie ich finde. Ich erinnere an die Opfer des Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia, das eine Havarie hatte. Jeder, der auf dem Schiff war, hat mehr bekommen als die Hinterbliebenen.

Die Bundeskanzlerin will die Angehörigen noch einmal treffen, wie wichtig ist das?

Es ist außerordentlich wichtig, wahrgenommen zu werden und immer wieder auch öffentlich zu erinnern, dass es diese unfassbaren Ereignisse gab. Beim Gespräch mit der Bundeskanzlerin wird das, was wir bisher über das Versagen der Sicherheitsbehörden wissen, eine große Rolle spielen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass die Kanzlerin selbst einmal hört, wie das auf die Hinterbliebenen wirkt und was sie sich vorstellen, wie man insgesamt ein besseres Klima schafft zwischen Einheimischen und Einwanderern.

Was muss sich noch ändern, was muss Deutschland lernen aus der Neonazi-Mordserie?

Zwei Dinge - das eine war auch, als ich Ausländerbeauftragte war, immer der wichtigste Punkt: Es darf keine gemischten politischen Botschaften geben. Einerseits werden Einwanderung und bessere Integration gefordert, aber im gleichen Atemzug werden pauschal die Ausländer für Missstände verantwortlich gemacht. Auch die Verteufelung oder Leugnung einer vielfältigen, multikulturellen Gesellschaft sendet das falsche Signal: 'Die stören hier nur'. Das muss aufhören. Ein zweiter Punkt geht uns alle an: Wie oft ist im eigenen Umfeld etwas Abschätziges, Negatives über die Einwanderer zu hören. Das nimmt man hin oder hört weg. Stattdessen nachhaken, versuchen herauszubekommen, warum so gedacht wird. Es ist wichtig, solchem ausgrenzenden Denken keinen Raum zu geben. Denn die Rechtsradikalen können sich so weit ausbreiten, wie wir ihnen den Raum dazu lassen.

Barbara John war 22 Jahre lang Ausländerbeauftragte des Landes Berlin. Sie ist Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Berlin. 2007 wurde sie zur Vorsitzenden des Beirats der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewählt. Seit 2012 ist Barbara John Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer der Neonazi-Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) und die Hinterbliebenen der Mordopfer.