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Politik

Die Separatisten und ihre Gefühle

Mariel Müller
4. Oktober 2017

An dem Generalstreik und den Demonstrationen in Barcelona nahmen rund 700.000 Menschen teil. Jetzt sammeln sich die Separatisten und hoffen auf eine Erklärung. Beobachtungen von Mariel Müller.

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Spanien Protest gegen Verbot des Referendums in Barcelona
Bild: Reuters/Y. Herman

Es herrscht Katerstimmung in Barcelona. Der Regen verstärkt dieses Gefühl noch. Der Platz vor der Universität Barcelona war einer der Hotspots der Proteste. Mit Flaggen, Megafonen und Transparenten ausgestattet, waren es hier überwiegend Mittzwanziger, die lautstark ihrem Unmut Luft machten. "Schlagen könnt ihr uns, zum Schweigen bringt ihr uns aber nicht!” hieß es auf Plakaten.

Irene und das Gefühl von Zorn

Spanien Referendum Barcelona | Studentin Irene
Studentin Irene Bild: DW/M. Müller

Irene war am Dienstag den ganzen Tag mit ihren Freunden auf der Straße unterwegs. "Wir hatten diesen Zorn in uns. Ich bin immer noch wütend.” Jetzt sitzt sie im Hof der Philosophischen Fakultät an der Universität Barcelona, dort studiert sie Anthropologie. Warum spürt sie jetzt noch immer Wut? "Weil es immer hieß, dass wir friedlich sein sollten, aber sie waren doch auch nicht friedlich, warum sollten wir es dann sein?” Mit "sie” meint sie die nationale und Militärpolizei, die am Sonntag, dem Tag des Referendums die Zusammenstöße mit den Wählern provoziert habe. "Wir sind die Dummen, die erst Schläge einstecken und dann sollen wir ihnen noch die andere Wange hinhalten?”

Die 26-jährige, die ihren Nachnamen nicht veröffentlicht sehen will, ist überzeugte "Independentista”, Unabhängigkeitsbefürworterin. "Ich bin mit dieser Einstellung aufgewachsen, meine Familie will seit Generationen die Unabhängigkeit.” Nicht weil die Katalanen ihren Reichtum ungern mit Rest-Spanien teilen möchten, wie häufig der Vorwurf lautet, "sondern weil die spanische Regierung unsere Kultur nicht genügend respektiert.” Irene sieht ihre Sprache und Bräuche in Gefahr. Zwei weitere Studentinnen bestätigen: "Jetzt ist es zwar noch so, dass problemlos beide Sprachen, Katalanisch und Spanisch, in der Schule gesprochen werden, aber wir haben Angst, dass das bald nicht mehr so sein könnte.”

Juli und das Recht auf die eigene Sprache

Spanien Referendum Barcelona | Student Juli Salom
Student Juli Bild: DW/M. Müller

"Absout irrational”, kommentiert Juli Salom, Philosophie-Student an der Uni. "Die Unterdrückung der Sprache - na klar, wenn wir in einer Diktatur leben würden, aber jetzt? Wer hält denn die Sprache am Leben? Das sind die, die sie sprechen, das katalanische Volk. Und das wir nicht erlauben, dass diese Sprache stirbt. Unmöglich.” Juli redet sich in Rage, auch er ist wütend, aber aus anderen Gründen. Die Katalanen würden von klein auf indoktriniert, "du musst deine Sprache, deine Bräuche, dein Territorium wertschätzen und beschützen, wird ihnen gesagt, als wären sie in Gefahr.” Juli kommt von den Balearen und lebt seit Jahren in Barcelona. Er hätte sich ein legales Referendum für die Katalanen gewünscht.

Der 24-Jährige kritisiert die schlechte Informationslage vor dem Referendum von Seiten der "Sí”-Kampagne. Komplexe Zusammenhänge und Fragen, bezüglich der Wirtschaft oder Rolle in der EU seien gänzlich außen vor gelassen worden. "Stattdessen haben sie unkonkret an das Herz der Katalanen apelliert. Aber bei einer so wichtigen Sache muss doch die Vernunft entscheiden und nicht das Herz!” Was der Abspaltungsprozess wirklich bedeutet, wüssten die meisten Menschen nicht: "Sie kämpfen wie Blinde in einer Schlacht, dessen mögliches Ende sie sich nicht bewusst sind.”

Sein katalanischer Freund Marco Biágolos teilt diese Meinung: "Das Konzept Unabhängigkeit, wie es die katalanische Regierung verkauft hat, ist so diffus, dass jeder etwas anderes darunter versteht.” Der 26-jährige hat einen ungültigen Wahlschein abgegeben. Mit "nein” hätte er die spanische Regierung gestärkt, das wollte er auch nicht. "Sie haben uns keine realen sozialen oder kulturellen oder wirtschaftlichen Veränderungen versprochen. Nur von 'der Unabhängigkeit' an sich gesprochen, und die Leute haben es aufgenommen, als wäre es die Allheillösung.”

Francisco, die Wirtschaft und das Geld

Spanien Referendum Barcelona | Rentner Francisco Trigueros
Rentner FranciscoBild: DW/M. Müller

Renter Francisco Trigueros hat sich für die "Allheillösung” entschieden. Er hat tagelang in Schulen, den Wahlorten des Referendums, ausgeharrt, um sicherzustellen, dass die Polizei sie nicht vorzeitig schließt. "Bei uns haben sie sich nicht reingetraut”, sagt er stolz.

Der spanischen Regierung wirft er vor, die Katalanen finanziell auszupressen. "Wir zahlen viel zu viel und dann fließen die Steuereinnahmen auch noch nach Madrid statt zu uns.” Es ist ein bekanntes Argument. Kritiker werfen den Katalanen vor, sie würden ihren Reichtum nicht mit den ärmeren Spaniern teilen wollen. Dass sich aber auch innerhalb Kataloniens ein Riss an wirtschaftlichen Grenzen vollzieht, wissen wenige. Dabei hat das Zentrum für Meinungsforschung der katalanischen Regierung CEO genau das herausgefunden: Demnach sind nur 32% der Katalanen mit einem Familieneinkommen von unter 900 Euro für die Unabhängigkeit. Demgegenüber stehen 54% der Katalanen, die die Abspaltung befürworten. Sie verdienen mehr als 4000 Euro im Monat.

"El Sentimiento Catalan”, das katalanische Gefühl, ist Francisco aber mindestens genauso wichtig wie die Wirtschaft Kataloniens. Da ist es wieder, das Gefühl. "Wenn sie unser Autonomiestatut 2010 nicht beschnitten hätten, wäre die Separatistenbewegung nie so groß geworden”, ist er sich sicher. Es sei aber eine "marcha forcada”, ein erzwungener Abgang: "Jeden Nachteil, den uns die spanische Regierung über die Jahre auferlegt hat, hat uns stärker gemacht. Nicht nur die extreme Repression der letzten Tage, sondern all die Lügen der letzten Jahre.” Er befürchtet, die Eskalation werde jetzt immer weiter vorangetrieben. Fransisco wollte zwar die Unabhängigkeit, aber ob Präsident Puigdemont sie nun wirklich deklarieren soll, darauf weiß er keine Antwort mehr. "Bei den Menschen liegen die Nerven blank. Man redet nicht mehr miteinander.”

Die Meinung hat auch Anthropologiestudentin Irene: "Es gab eine Zeit des Dialogs - aber die ist jetzt vorbei. Es ist zu spät.”

Mariel Müller, DW Ostafrika-Büroleiterin
Mariel Müller Studioleiterin Ostafrika@_MarielMueller