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Becker: "Obama denkt an mehr als eine Bestrafungsaktion"

Najima El Moussaoui7. September 2013

Die Frage nach einer Militärinternvention spaltet die internationale Gemeinschaft. Petra Becker von der Stiftung Politik und Wissenschaft im DW-Interview über die möglichen Folgen eines amerikanischen Alleingangs.

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Porträt Petra Becker (Foto: DW/privat)
Bild: Privat

Deutsche Welle: Beim G20-Gipfel in St. Petersburg wurde deutlich, dass zwar viele Staaten den möglichen Einsatz von Giftgas in Syrien verurteilen, aber kaum ein Land militärisch eingreifen möchte. Würden die USA im Alleingang in Syrien eingreifen?

Petra Becker: Die Wahrscheinlichkeit, dass die USA ihren angekündigten Militärschlag gegen Machthaber Baschar al-Assad in die Tat umsetzen werden, ist hoch. Präsident Barack Obama wird ebenso wahrscheinlich noch einige Verbündete für einen Militärschlag finden. Darunter einige Golfstaaten wie Katar und Saudi-Arabien, aber auch die Türkei. Die Regierung in Ankara hat bereits angekündigt, dass sie aktiv werden möchte und nur darauf wartet, dass die USA sich für einen Militärschlag entscheiden.

Assads Verbündete Russland und China blockieren im UN-Sicherheitsrat ein UN-Mandat für ein internationales Eingreifen in Syrien. Welche Rolle können die Vereinten Nationen bei der Lösung des Konfliktes dann noch spielen?

Die Vereinten Nationen haben ein Problem, ihre Rolle zu definieren. Seit mehr als zwei Jahren wird ihre Wirkungsmacht durch die Blockade einiger Vetomächte ad absurdum geführt. Deswegen setzt sich die Erkenntnis durch, dass man auf den UN-Sicherheitsrat nicht warten kann. Das heißt aber nicht, dass die UN nach einem möglichen Militärschlag keine Rolle mehr spielten. Im Gegenteil müssen die Vereinten Nationen sich parallel dazu weiter um eine diplomatische Lösung des Konfliktes bemühen.

Deutschland verurteilt den Einsatz von Chemiewaffen, will sich aber nicht an einem Militärschlag beteiligen. Wie glaubwürdig ist diese Haltung?

Deutschland und auch die Europäische Union sollten die USA stärker unterstützen. Wenn es zu einem Militärschlag kommt, darf diese Unterstützung nicht nur ein Lippenbekenntnis sein. Deutschland sollte die USA zumindest logistisch unterstützen.

Will Obama den Militärschlag wirklich oder muss er handeln, weil er einst den Einsatz von Chemiewaffen als "rote Linie" bezeichnet hatte, welche die USA nicht tolerieren würden?

Der amerikanische Präsident steht nach meiner Einschätzung unter Zugzwang. Er lässt sich von Russland und China in der Weltöffentlichkeit vorführen als jemand, der unentschlossen ist und der international nicht bereit ist, der Rolle der USA im Sinne einer Ordnungsmacht Geltung zu verschaffen. Insofern würde ein Militärschlag in Syrien auch dazu dienen, die Glaubwürdigkeit der USA zu gewährleisten.

Welche Ziele verfolgen die USA noch?

Zunächst hieß es, der Eingriff solle nicht zu einem Regimewechsel führen. Scheinbar findet darüber in den USA ein Umdenken statt. Die Tatsache, dass der Militärschlag unter Umständen 90 Tage dauern soll, deutet darauf hin, dass hinter Obamas Plan mehr als eine Bestrafungsaktion steckt.

Wie sehr könnte ein solcher Militärschlag, der ohne Bodentruppen stattfinden soll, Assad schwächen?

Dieser Militärschlag macht meiner Meinung nach nur dann Sinn, wenn dahinter eine längerfristige Strategie und nicht nur eine kurzfristige Strafaktion steckt. Eine reine Bestrafungsaktion würde den Konflikt in Syrien eher zusätzlich befeuern. Sinnvoller wäre es, die syrische Luftwaffe auszuschalten, Assad könnte dann nicht mehr die eigene Bevölkerung aus der Luft bombardieren. Dazu müsste das amerikanische Militär die Start- und Landebahnen der Luftwaffe zerstören. Auch die Abschussrampen der Mittelstreckenraketen, mit denen Assad seit einiger Zeit aus dem Süden des Landes den nördlichen Teil beschießen lässt, sind möglicherweise Ziele des Angriffs. Wenn es gelingt, Assad durch einen Militärschlag in die Defensive zu drängen, würde eine diplomatische Lösung wieder näher rücken.

Wie groß ist die Gefahr, dass Assad auf einen Angriff mit einem erneuten Einsatz von Chemiewaffen reagiert?

Assad ist einiges zuzutrauen. Möglicherweise wird ein begrenzter Eingriff ihn provozieren, noch brutaler gegen die eigene Bevölkerung vorzugehen. Unter Umständen wird er sich dazu gedrängt fühlen, auch Nachbarstaaten zu beschießen. Aber das darf niemanden davon abhalten zu handeln. Ein weiteres Zögern würde das Problem nicht lösen, sonder nur aufschieben. Ich glaube, dass die einzige Möglichkeit ist, das Regime auszuschalten.

Welche Folgen hätte ein Militärschlag in Syrien und in der Region?

Man muss befürchten, dass bei einem Militärschlag auch syrische Zivilisten ums Leben kommen. Auf der anderen Seite sterben im Schnitt jeden Tag an die 100 Menschen durch die jetzige Situation, ohne ein Eingreifen wird das Land langsam ausbluten. Die jetzige Situation destabilisiert den Libanon und Jordanien in einem Maße, dass diese Staaten zu kollabieren drohen. Was die Flüchtlingssituation betrifft, kann es sein, dass bei einem militärischen Eingreifen die Flüchtlingsströme kurzfristig sprunghaft ansteigen, aber nur, wenn jetzt entschlossen gehandelt wird, besteht eine Chance, dass der Exodus mittelfristig gestoppt wird und sich die 2 Millionen Flüchtlinge wieder nach Syrien zurückbewegen können.

Wer käme nach Assad?

Wir müssen unser Augenmerk auf die gemäßigten Akteure lenken. Im öffentlichen Diskurs scheint es manchmal so, als gäbe es nur eine Wahl zwischen einem säkular orientierten Despoten und einem Gottesstaat a la Taliban. Diese Sichtweise lässt außer Acht, dass es in Syrien eine Zivilgesellschaft gibt, die in Form von Zivilen Komitees oder Revolutionskomitees seit mehr als zweieinhalb Jahren für ein relativ friedliches Miteinander der verschiedenen Konfessionen sorgt. Das spricht dafür, dass die Bevölkerung langfristig auch in der Lage wäre, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Das bedarf allerdings für die Übergangszeit einer konzertierten Aktion der gemäßigten Kräfte auf beiden Seiten.

Ich denke, dass jetzt die Stunde der gemäßigten Kräfte innerhalb des Regimes gekommen ist, also derjenigen, die vom Regime kaltgestellt wurden, weil sie die Gewaltlösung nicht mittragen wollten. Wenn es gelingt, diese mit der gemäßigten Opposition an einen Tisch zu bringen, sieht die Zukunft Syriens vielleicht doch nicht so düster aus. Dazu allerdings muss der Druck auf das Regime immens sein.

Die Fragen stellte Najima El Moussaoui

Petra Becker von der Forschungsgruppe Naher / Mittlerer Osten ist Syrien-Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.