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Begegnungen: Eva-Maria Hagen

Kay-Alexander Scholz6. Februar 2006

Sie war die Brigitte Bardot des Ostens, Muse für den Liedermacher Wolf Biermann, begründete mit Tochter Nina und Enkelin Cosma einen Clan. Schreibt, singt, spielt noch immer und könnte gut als Kulturpolitikerin arbeiten.

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"Zu lachen oder zu weinen, wenn dir danach ist."Bild: DW

Sie strahlt, überstrahlt fast die anderen Schauspieler auf der Bühne der Bar jeder Vernunft in Berlin. Hier spielt Eva-Maria Hagen bis zum Frühling das Fräulein Schneider in einer Zwanzig-Quadratmeter-Inszenierung des Musicals "Cabaret". Noch immer singt sie frech und mädchenhaft; ihr Alter scheint auf der Strecke geblieben. Auch hinter der Bühne, im ausrangierten, gemütlichen Zirkuswagen, der als Garderobe für das Ensemble dient, sind auf ihrem Gesicht auch näher betrachtet kaum Spuren der vergangenen 70 Jahre zu entdecken, jedenfalls keine tiefen Falten oder eisigen Botox-Zonen.

Zauberhaftes

Eine Diva ist sie nicht – obwohl sie das als Mutter des Gesamtkunstwerks Nina Hagen gut sein könnte. Neugierig blitzen ihre Augen, ihre Gesten sind schwungvoll, auffällig ihre herzliche Lebendigkeit. Früher als DEFA-Filmstar nannte man sie die Brigitte Bardot des Ostens, weil sie so sexy war, doch noch immer umgibt sie etwas Geheimnisvolles. Im Sommer dreht sie wieder, dieses Mal nichts Zauberhaftes, wofür sie immer gern besetzt wird. Sie spielt eine ältere Frau, die sich auf den Weg gemacht hat zur Enkel-Generation, um herauszufinden, ob sie sich gegenseitig noch etwas zu sagen haben.

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Als Fräulein Schneider in "Cabaret", zusammen mit Peter Kock als Herr SchulzBild: DW

Mit Märchen und Volksliedern wuchs Eva-Maria Hagen auf, sie gehörten zum Alltag. Phantasie habe sie durchs Leben getragen – zusammen mit einer großen Portion Leidenschaft: "Eine Cousine erzählte mir, ich habe ihr einmal in den Arm gebissen, weil ich das Schneewittchen spielen wollte. Obwohl meine Haarfarbe mehr dem Schilf am Kammbruch glich und ihrs doch dem Ebenholz, wie es im Märchen geschrieben steht."

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Oma und trotzdem frisch in Herrn Schulz verliebtBild: DW

Provokantes

In ihrem schwarzen Wollpullover und der grauen Hose passt sie zu ihren beiden, bürgerlichen Wohnorten Berlin-Prenzlauer Berg und Hamburg in Alsternähe – wenig aber zur grellen Tochter Nina. Nur die Sprache, das bisschen Berlinerische, das Lachen und die Lust am Provozieren verrät die gemeinsame Vergangenheit, offenbart einige Parallelen. "Diese Weiber laufen heutzutage rum wie die Kasperl", musste sie sich als junges Mädchen wegen der damals in Mode gekommenen Ringelsocken und den Hochwasserhosen hinterherrufen lassen. Und als Kind? Ausgerissen sei sie, am Abgrund geklettert und habe abenteuerliche Dinge unternommen. Sie wollte Halt finden, sagt Hagen heute, denn die Wurzeln waren durch das plötzliche Wegmüssen im Krieg gekappt.

Die Kindheit hinterm Oder-Fluss ist auch Thema ihres neuesten Buches "Eva jenseits vom Paradies", in dem sie beschreibt, wie es war, als die Frauen in der Familie ohne ihre Männer auskommen mussten. "Manchmal staune ich selbst, was wir alles verkraftet haben und gebe das den Menschen weiter, die sich nicht trauen und auf der Stuhlkante sitzen bleiben. Geh’ dem Wind entgegen und warte nicht darauf, dass dich jemand mitnimmt." Der Kampf ums Überleben habe sie zu ihrer positiven Grundhaltung geführt. Sie will auf die Menschen zugehen.

Wahrhaftiges

Wolf Biermann
Wolf Biermann nach seiner Ausbürgerung aus der DDR bei seinem legendären Konzert am 14. November 1976 in KölnBild: AP

Die Hagen singt noch heute gern Lieder von Wolf Biermann, mit dem sie einst eine jahrelange Liebes- und jetzt eine innige Freundschaftsbeziehung pflegt. "Diese Lieder aus aller Welt, die er so liebevoll ins Deutsche überträgt, ermutigen Gefühl zuzulassen, Freude und Schmerz, zu lachen, zu weinen, wenn dir danach ist", schwärmt sie.

Berühmt wurde Biermann einst durch seine kritischen Lieder und durch die Ausbürgerung aus der DDR. Damals, 1977, folgte sie ihm aus Ost-Berlin in den fremden Westen - nicht ganz freiwillig, auch sie wurde aus der Staatsbürgerschaft entlassen, wie es damals offiziell hieß. Ihre berührenden Erzählungen darüber im Buch "Eva und der Wolf" wurden 1999 mit der Carl-Zuckmayer-Medaille geehrt.

Überraschendes

Die Theaterbühnen sollten mehr Originale spielen: Mit diesem Gedanken des deutschen Bundespräsidenten, der jüngst einen unverfälschten Schiller anregte, kann sich die noch bei Brecht gelernte Schauspielerin durchaus anfreunden. Bis auf das Dutzend guter Leute, die in deutschen Theatern vorzufinden sind, würden viele Regisseure gern nur ihren Bauchnabel präsentieren und dabei Schauspiel und Text vernachlässigen: "Da geh’ ich nicht rein. Bäh und Pfui!" Kultur, Sprache und Kunst müssten hoch gehalten werden, meint Hagen. "Sonst sind wir doch nur Figuren auf dem Schachbrett von Big Brother!"

Ob sie Preußen mag? In mancherlei Hinsicht schon, sagt Hagen, die das 300-jährige Preußen-Jubiläum im vergangenen Jahr mit einem satirischem Programm feierte. Einst haben die Preußen schließlich die kostenlose Schulpflicht eingeführt. Kinderarbeit wurde verboten. Vorübergehend erlebte Kultur in der preußischen Hauptstadt Berlin eine Blüte. Und auch heute noch sei Bildung eine der guten preußischen Tugenden.

Lesen Sie im 2. Teil Vertrautes, Stolzes und Verquicktes aus dem Leben der Eva-Maria Hagen.

Vertrautes

In ihrem aktuellen Programm, der Lesung aus "Eva jenseits vom Paradies", singt Hagen auch deutsche Volkslieder – neben baltischen und jüdischen. Die seien bisher stets negativ besetzt gewesen, waren durch den Nationalsozialismus verdorben. "Ich ließ sie nicht an mich heran, obwohl ich sie kannte. Jetzt singe ich sie in Erinnerung an die heile Welt der Kindheit und dem Staunen darüber, als die Erde zur Hölle wurde. Und es gibt mir das Gefühl, als hätte ich Schätze wiedergefunden." Das Publikum folge ihr in die Zauberwelt der Poesie, erzählt sie und fängt gleich zu singen an. Stockt, weil ihr ein Wort fehlt, singt noch einmal, sucht, bis sie den Text gefunden hat. So viel Zeit muss sein – die sie an anderer Stelle einspart. "Cosma sagt immer, Großmutter rede die Sätze zu Ende!" Der neue SPD-Vorsitzende Platzeck sei ihr nicht zuletzt deshalb so sympathisch, weil er die Sätze zu Ende redet, sagt sie mit einem Lachen. Aber auch weil er aus dem Osten komme – und damit meine sie nicht die DDR, sondern etwas Verwandtes.

"Ich bleib immer die aus’ m Osten" heißt eines ihrer starken Lieder; die "Ballade vom wiederholten Abtreiben" erzählt von den Stationen ihrer mehrfachen Abtreibung. Östlich der DDR wurde sie geboren, in Hinterpommern. Ihre Vorfahren mütterlicherseits waren noch weiter aus dem Osten, sagt sie und zeigt stolz ihre hohen, typisch slawischen Wangenknochen. Sie waren heiter und sangen bei jeder Gelegenheit. Ach, sagt sie mit einem Seufzen, sie hätte nichts dagegen, wenn ein paar mehr mit dieser Mentalität über die Oder kämen. In Mitteleuropa sei vieles so deprimierend. Zu viel Konsum und diese Wegwerfgesellschaft. So viel Zeug braucht man doch gar nicht, meint Hagen. Was ist mit ethischen Fragen und der Fähigkeit zu lieben?

Stolzes

Für das ostdeutsche Görlitz engagiert Eva-Maria Hagen sich als Patin bei der Bewerbung um den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2010. "Görlitz ist einmalig mit all den Anlagen und Brücken zum anderen Teil der Stadt rüber, der zu Polen gehört." Einmal habe sie dort im Hotel zufällig einer Reiseleiterin zugehört, die ein Hohelied auf die Schönheit der Stadt Görlitz sang und dabei dauernd vom "Virus" Görlitz sprach. Da ging sie zu der Frau und schlug ihr vor, besser das Wort "Zauber" zu benutzen - das Wort "Virus" sei viel zu negativ. "Igitt und Pfui!" lacht sie heute laut darüber. Das erinnerte sie an den Virus per E-Mail oder an die Vogelgrippe, aber nicht an die schöne Stadt Görlitz.

Nina Hagen wird für ihr Lebenswerk ausgezeichnet
Tochter Nina 2004 beim Montreux Jazz FestivalBild: dpa

Heute lebt der Hagen-Clan weit verstreut: die Tochter Nina in Los Angeles, die Enkelin auf Ibiza, in London oder den USA. Eva-Maria lebt den Sommer über in der Uckermark in einem Bauernhaus. Dort gibt es ein Marderpaar auf dem Dachboden, erzählt sie freudig. Die machten manchmal einen Krach, als wären da oben zwei Ringkämpfer zu Gange. Dabei seien die süßen Biester damit beschäftigt, Nachwuchs zu zeugen. "Krachbum, Padam dröhnt es dann nach unten. Die müssen unheimlich hoch springen können."

Verquicktes

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Vielleicht erzählt sie diese Geschichte auch den Müttern und Kindern an der Alster beim Spazierengehen, wenn sie in die Kinderwagen reinschielt, um zu signalisieren, dass es da draußen noch ganz interessante Wesen gibt. Oder auch den Hundebesitzern und Pärchen, die sich in dem sehr lebendigen Stehcafé treffen und die gute Luft in Hamburg genießen.

"Yeah!" tönt die Hagen nicht unfreundlich, als es dann an der Tür klopft: Signal zum Aufbruch; auch das Klopfen ihre Finger auf den Holztisch ist in den Minuten davor häufiger geworden. In zwei Stunden müsse sie auf der Bühne stehen. "Haben Sie meine E-Mail-Adresse?" fragt sie. Und wenig später: "Wo ist nur das eine Teil abgeblieben, der Unterrock von meinem Fräulein-Schneider-Kostüm?"