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Begegnungen: Judith Hermann in Island

Stefanie Duckstein18. September 2006

Judith Hermann sammelt ihre Geschichten in der Welt. Sie reist. Sei es Amerika, Osteuropa oder Skandinavien. Island wurde ihr dabei zum Herzensort.

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Judith Hermann (36)

Ultima Thule - entferntester Norden - der Begriff, zu finden in jedem Island-Reiseführer, lockte Judith Hermann in den Norden, den entferntesten. Ein Gletscher mitten im Meer, weit abgelegen. Darüber kommt nur noch das Nordpolarmeer.

"Dieser Ausdruck ultima thule, der war so poetisch und entsprach in der ganzen Fremdheit auch meinem Gefühl. Dass einem da so viele Dinge etwas bedeuten, die einem unter anderen Umständen vielleicht weniger bedeuten."

"Man kommt auf einen Nullpunkt"

Das Ambiente, an dem sie ins Schwärmen gerät, hat so gar nichts von dem, wovon sie berichtet. Ein Restaurant in einem Berliner Kaufhaus, gleich neben den Plüschtieren. Die übergroßen Fenster im 5. Stock geben den Blick frei auf die trübe Stadt, gen Norden. Hermanns Haar ist zerzaust, draußen regnet's. Ihre Hände umklammern den Kaffee, schwarz, ohne Zucker.

"Das komische ist, diese Landschaft: In den Flüssen kann man nicht baden, auf den Wiesen nicht rumliegen, weil es viel zu kalt ist. Die Natur bleibt so für sich. Was man tun kann ist, sie bestaunen. Vielleicht hat das ja so meinem Verhältnis zu den Dingen entsprochen. Man kommt so auf einen Nullpunkt."

Heiße Quellen und brennender Schnaps

Geysire auf Island
Geysire sind typisch für die isländische LandschaftBild: dpa

Der Nullpunkt diente der Konzentration aufs Wesentliche; auf ihr zweites Buch "Nichts als Gespenster". Ein Arbeitsstipendium führte sie 2002 für sechs Winterwochen nach Reykjavik. Baden in heißen Quellen, mit Isländern Schnaps trinken, der in der Kehle brennt. Hier fand sie Orte und Situationen, an denen sich ihr Erzählen entzünden konnte.

Die Figuren in Hermanns Geschichten sind getrieben von einer stetigen Unruhe; und immer auf Reisen. In Prag, Venedig, Nevada oder Tromsö. Ihre Sehnsucht ist groß, ihre Erfüllung nie wirklich in greifbarer Nähe. Sie lieben und verlieren sich. Der erste Band "Sommerhaus später" wurde in 17 Sprachen übersetzt. Isländisch sei ihr dabei noch die liebste, meint Hermann und imitiert ein leicht kehliges Geräusch.

"Ich fand, es war gut auf Isländisch. Trocken ein bisschen. Das passte zu den Geschichten. In anderen Sprachen fand ich's schwieriger. Spanisch so emphatisch und Französisch so schön, da hatte ich den Eindruck, das verdoppelt das leicht Kapriziöse des Textes. Während die spröderen Sprachen, und Isländisch ist schon eine spröde Sprache, die schienen mir immer besser zu den Geschichten zu passen."

"Ha"

Als Andenken an die aufgeworfene, felsige Insel Island brachte sie ein wenig Lava-Erde und das Wörtchen "Ha" mit. Die Erde streute sie ein Jahr später, bei einem zweiten Besuch, wieder ins Land. Die gehörte nicht nach Deutschland, stiftete irgendwie Unruhe in ihrem Zuhause. Doch was blieb, war das "Ha".

"Es gab eine Art und Weise der Isländer nachzufragen. Wenn wir sagen 'wie bitte', sagt der Isländer 'ha'. Daran muss man sich gewöhnen, weil sich das ziemlich ruppig anhört. Und dieser kleine stumpfe Laut, den habe ich so gemocht, den habe ich mir angeeignet und mit nach Hause genommen. Es ist mir auch gelungen 'ha' zu sagen. Was auf Irritationen stieß. Es kostete Mühe, es zu halten. Wenn ich’s machte, war es schön, es erinnerte mich eben."

"Man muss immer wieder auf den gleichen Berg"

Judith Hermann nimmt sich Zeit für Beobachtungen und für ihre Erzählungen. Nicht ohne Hadern - vor allem mit sich selbst. "Nun gut, der Erfolg war groß" gibt sie zu, "der Verriss aber auch", und schaut dabei in den Grund ihrer Tasse Kaffee und raucht.

"Dieser Erwartungsdruck, der ist irgendwie weg. Man ist schon über eine Hürde gegangen mit dem zweiten Buch. Aber dennoch das Schreiben an sich: Man fängt immer wieder von vorne an. Es ist nichts, was man ein für allemal kann. Etwas weiß man immer von Buch zu Buch besser. Aber sicher ist es dennoch nie. Es ist immer wieder der gleiche Berg, auf den man muss."