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Bei Brüdern und Schwestern in Nordkorea

Esther Felden21. Juli 2016

Alltag in Nordkorea. Davon handelt der neue Film der südkoreanischen Regisseurin Sung-Hyung Cho. Warum sie mit deutschem Pass einreiste, was sie dort erlebte und welche Schwierigkeiten es auch gab, erzählt sie der DW.

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Regisseurin Sung-Hyung Cho mit einer Nordkoreanerin bei den Dreharbeiten im Land (Foto: Kundschafter Filmproduktion GmbH)
Bild: Kundschafter Filmproduktion GmbH

Deutsche Welle: Wie und wann ist die Idee zu Ihrem neuen Dokumentarfilm "Meine Brüder und Schwestern im Norden" entstanden?

Sung-Hyung Cho: Ich allein wäre nie auf die Idee gekommen, in Nordkorea zu drehen. Nicht, weil ich kein Interesse an diesem rätselhaften Land hatte, sondern weil ich dachte, dass es für mich als gebürtige Südkoreanerin einfach nicht möglich sein würde, Nordkorea zu betreten, geschweige denn eine Drehgenehmigung zu erhalten. Außerdem hatte ich natürlich Angst vor diesem Land.

Doch im Zuge der Finanzierung meines Films "Verliebt, verlobt, verloren"(In diesem Dokumentarfilm von 2015 geht es um die Liebe zwischen DDR-Frauen und nordkoreanischen Männern, die zur Ausbildung ins Bruderland geschickt wurden - und die Kinder, die aus diesen Beziehungen entstanden und ohne ihre Väter aufwachsen mussten, weil diese wieder in die Heimat zurück beordert wurden, Anm. d. Red.) hatten wir Schwierigkeiten, einen Sender zu finden und genügend Produktionsmittel zusammenzubekommen. Da hat mich die zuständige Redakteurin vom Hessischen Rundfunk auf die Idee gebracht, einen Teil des Films in Nordkorea zu drehen: Szenen, in denen sich die ostdeutschen Familien mit ihren nordkoreanischen Angehörigen in Pjöngjang treffen. Wenn dieser Dreh klappen würde, würde der HR als Koproduktionspartner einsteigen.

Der Dreh ist am Ende nicht zustande gekommen, aber wir hatten den Kontakt zu den zuständigen Personen in Pjöngjang hergestellt. Die Behörden in Nordkorea sagten uns ab, weil sie nie wieder etwas von deutsch-nordkoreanischen Familiengeschichten hören wollten. Aber mit einem anderen Thema könnten wir auf eine Zusammenarbeit hoffen. Damit war die Idee geboren, so einfach war das.

Worum ging es Ihnen bei diesem Film? Was wollten Sie erzählen?

Ich wollte jenseits der stereotypen negativen Bilder Nordkoreas einfach die Menschen dort und ihren Alltag kennenlernen. Obwohl Nordkorea für die Weltöffentlichkeit total verschlossen bleibt, hört man im Westen relativ viel von diesem kleinen Land. Was wir jedoch zu sehen bekommen, ist immer das Gleiche: Militärparaden, Raketen, Soldaten, Hungersnöte, "dressierte" Kinder und die Führer in drei Generationen, die von den Massen frenetisch gefeiert werden. Ich wollte mit meinen eigenen Augen sehen und erfahren, wie es dort aussieht, wie die Menschen ticken und warum sie uns so seltsam erscheinen.

Filmplakat des Dokumentarfilms "Meine Brüder und Schwestern im Norden (Foto: Kundschafter Filmproduktion GmbH)
Seit einer Woche läuft der Dokumentarfilm in den Deutschen KinosBild: Kundschafter Filmproduktion GmbH

Ist es Ihnen gelungen? Sind Sie Ihren eigenen Ansprüchen gerecht geworden - oder vor Ort an Grenzen gestoßen, weil einfach nicht alles möglich oder erlaubt war, was Sie sich vorgenommen hatten?

Am schwierigsten war es, das zu sehen, was wirklich da war: zwischen den Bildern, die wir schon im Kopf hatten, die meist sehr voreingenommen sind, und den Bildern, die die Nordkoreaner von sich preisgaben. Aber ich wollte wissen, wie viel alltägliches Leben es in solch einem totalitären System gibt und wie viel von System Staatsideologie im "normalen" Alltagsleben steckt. Das ist wirklich schwer zu erkennen, denn die Nordkoreaner sind so daran gewöhnt, sich zu inszenieren, dass es für sie ist wie eine zweite Haut. Man kann sich nie ganz sicher sein, wie authentisch das, was man gerade erlebt, ist.

Was für mich aber wirklich schwierig war, war die Tatsache, dass man jenseits des Drehs keine Chance hat, einfach einmal alleine spazieren zu gehen oder ohne Begleitung durch die Stadt zu laufen oder shoppen zu gehen. Unsere Partner waren immer in der Nähe, sie waren unsere Schatten. Nach vier Wochen hatten wir die Nase richtig voll, es war höchste Zeit abzureisen.

Nordkoreanische Arbeiterinnen in einer Fabrik (Foto: Kundschafter Filmproduktion GmbH)
Ein Blick in den Alltag nordkoreanischer Bürger – darum ging es Regisseurin Cho bei ihrem FilmBild: Kundschafter Filmproduktion GmbH

Wie langwierig und kompliziert war es, diesen Film zu planen und von nordkoreanischer Seite die nötigen Genehmigungen zu bekommen? Was mussten Sie alles tun, bis es endlich los gehen konnte?

Ich musste zuallererst auf meine südkoreanische Staatsangehörigkeit verzichten und eine deutsche erlangen, um überhaupt nach Nordkorea einreisen zu dürfen. Das ist nicht nur wegen Nordkorea, sondern auch wegen Südkorea erforderlich gewesen. Wenn eine Südkoreanerin ohne die Erlaubnis der südkoreanischen Regierung nach Nordkorea einreist, kann sie davon ausgehen, bei der Rückkehr am Flughafen in Seoul verhaftet zu werden. Eine Reise nach Nordkorea wird in Südkorea als Staatsverrat angesehen und ebenso geahndet. Auf der koreanischen Halbinsel sind der eiserne Vorhang und der Kalte Krieg noch allgegenwärtig.

Wie schwer ist Ihnen dieser Schritt gefallen? Und warum haben Sie es dennoch gemacht?

Anfangs war es sehr komisch für mich, ich war auch sehr wehmütig. Aber was tut man nicht alles, um einen Film zu retten? Ich war seit 2006 mit dem Projekt "Verliebt, verlobt, verloren" beschäftigt. Ich wollte das Projekt unbedingt zu Ende bringen. Ich war es auch den Protagonisten schuldig, die sich so sehr wünschten, dass ihre Familiengeschichten endlich erzählt werden würden. Und irgendwie fühlte ich mich als Koreanerin, auch wenn es seltsam klingen mag, ein Stück weit verantwortlich für das Schicksal, dass ihre Familien getrennt wurden.

Mittlerweile finde ich es ganz toll, einen deutschen Pass zu haben. Seitdem ich deutsche Staatsangehörige geworden bin, gehören beide Länder, Südkorea und Nordkorea, zu meiner Heimatsammlung.

Trotz der neuen Staatsbürgerschaft wussten die offiziellen Stellen in Nordkorea natürlich, dass Sie eigentlich Südkoreanerin sind. Hatten Sie den Eindruck, dass Sie deshalb unter besonderer Beobachtung stehen - oder hat es Ihnen vielleicht vor Ort sogar geholfen, weil Sie dieselbe Sprache sprechen wie die Protagonisten in Ihrem Film?

Die erste Kommunikation lief immer über die deutschen Produzenten und die nordkoreanische Produzentin. Es war zwar nie ein Geheimnis, dass ich Südkoreanerin bin, aber es wurde auch nicht ständig betont. Als wir dann die Drehgenehmigung bekommen haben, haben wir uns an die Regeln gehalten.

Bademeister in Pjöngjang vor leerem Schwimmbecken (Foto: Kundschafter Filmproduktion GmbH)
Bademeister in Pjöngjang: die Protagonisten des Films waren sorgfältig ausgewähltBild: Kundschafter Filmproduktion GmbH

Hinzu kommt, dass Nordkoreaner zu uns ausländischen Gästen nicht unfreundlich sein dürfen, sondern sie willkommen heißen und sehr zuvorkommend behandeln müssen. Ich hatte dennoch Angst, wie die Protagonisten auf mich als gebürtige Südkoreanerin reagieren würden. Es mich sehr gefreut, dass die Nordkoreaner mich willkommen hießen und sich wirklich über die Begegnung mit mir gefreut haben.

Wie hat es sich für Sie persönlich angefühlt, in Nordkorea zu sein und dort so einen Film zu machen?

Mir war sehr wichtig, dass ich von Anfang an nichts heimlich drehe. Ich dachte mir, dass ich als gebürtige Südkoreanerin noch genauer beobachtet werden würde. Die Vermutung lag nahe, dass die Nordkoreaner viel aufmerksamer und viel sensibler dafür sein würden, was ich da tue und wie ich mich benehme. Und ich wollte den Nordkoreanern keinerlei Anlass geben, mich als eine Spionin aus dem Süden zu bezichtigen. So etwas ist in der Vergangenheit durchaus schon vorgekommen.

Wäre ich überehrgeizig gewesen und hätte die Regeln missachtet, hätte ich schnell auch eine diplomatische Krise zwischen Nordkorea, Südkorea und Deutschland auslösen können.

Erzieherinnen mit Kindergruppe vor einem Gebäude (Foto: Kundschafter Filmproduktion GmbH)
Auch im Kindergarten durfte gedreht werdenBild: Kundschafter Filmproduktion GmbH

Wie lange waren Sie für die Dreharbeiten im Land und wie frei konnten Sie sich bewegen? Wie nah konnten Sie den Menschen kommen?

Um die Protagonisten auszuwählen und die Drehorte kennenzulernen haben wir vor dem richtigen Drehbeginn bereits drei Mal das Land besucht. Auf der zweiten Recherchereise haben wir verstanden, warum die anderen Filmteams immer das Gleiche zu sehen bekamen. Es gibt offenbar eine Regelung, was ausländische Gäste zum Auftakt zu sehen bekommen. Wenn man dann zum zweiten Mal anreist, erhält man etwas Neues zu sehen, auch ein wenig mehr und so weiter. Dabei konnten wir uns natürlich nicht "frei" bewegen, immer waren unsere "Koproduzenten" in der Nähe. Dennoch war es mir wichtig, mit den Protagonisten möglichst offen und ehrlich zu sprechen, ohne sie in Gefahr oder Verlegenheit zu bringen. Dabei half mir die Tatsache, dass unsere nordkoreanischen "Partner" bei den Interviews nie direkt dabei waren. Ich hatte sie im Vorfeld darum gebeten von den Drehorten fern zu bleiben. Das wollten sie natürlich zunächst nicht, doch ich habe sie ganz offen gefragt, was besser für ihr Vaterland sei: Wenn die Protagonisten steif und angespannt wie Marionetten rüberkommen - oder entspannt und menschlich. Das haben sie verstanden und sind ferngeblieben oder rausgegangen.

Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden: Erst vor Ort oder standen sie bereits vorher fest? Und konnten Sie sie selbst aussuchen?

Es ist ja bekannt, dass Nordkorea die Protagonisten für die ausländischen Teams aussuchen. Natürlich wussten wir davon. Deswegen haben wir uns überlegt, wie wir gewisse Freiheit für uns schaffen können, wie es uns gelingen könnte, neue Wege zu beschreiten und andere Bilder und Geschichten aus Nordkorea zu finden, um nicht wieder die immer gleichen Stereotypen zu bedienen. Also haben wir erst einmal eine lange Wunschliste möglicher Protagonisten erstellt; allesamt Personen in ganz unterschiedlichem Alter, mit ganz verschiedenen Berufen und Wohnorten. Das war eine wirklich sehr lange Liste, und zu unserem Erstaunen haben die Nordkoreaner wirklich alle Protagonisten für uns vorausgesucht und uns vorgestellt. So hatten wir die Möglichkeit, manche Protagonisten auch abzulehnen und manche vor Ort spontan auszutauschen.

Gab es etwas bei den Dreharbeiten, was Sie besonders berührt hat? Eine Erinnerung, die heraus sticht?

In Nordkorea fand ich die Bilder meiner Kindheit wieder. Das war für mich wie eine Zeitreise: die Menschen heute in Nordkorea sind den Südkoreanern in den 70er Jahren sehr ähnlich. Im Südkorea der 70er Jahren waren die Menschen und die Gesellschaft noch nicht so extrem "durchkapitalisiert", sie waren naiver und irgendwie dadurch auch menschlicher.

Interview-Situation mit Regisseurin Cho (Foto: Kundschafter Filmproduktion GmbH)
Bei den Interviews war das Filmteam meist allein – ohne nordkoreanische "Begleitung"Bild: Kundschafter Filmproduktion GmbH

Haben Sie in irgendeiner Weise die Möglichkeit, mit zu verfolgen, wie es im Leben Ihrer Protagonisten weitergeht?

Jein, das ist nur in sehr beschränktem Rahmen möglich. Nach den Dorfbewohnern oder der Fabrikarbeiterin kann ich nicht fragen. Von ihnen wissen nicht mal meine Aufpasser etwas. Nur von den Protagonisten, die in der Hauptstadt leben, kann ich mitkriegen, wie es bei ihnen weiter geht.

Das Interview führte Esther Felden.

Der Film "Meine Brüder und Schwestern im Norden" läuft derzeit in Deutschland in den Kinos.