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Beirut: Das ist von seiner Kulturszene übrig

Julia Neumann
14. August 2020

Das Sursock-Kunstmuseum in Beirut hat 15 Jahre Krieg überstanden, nicht aber die Explosion am Hafen. Die Detonation hat die Kulturszene schwer getroffen.

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Frontansicht des Sursock Museums in Beirut im Libanon nach der Explosion (Bild: DW/J. Neumann)
Das Sursock-Museum in Beirut: Von innen sei es fast zerstört, heißt esBild: DW/J. Neumann

15 Jahre des Bürgerkriegs hat die Villa aus dem Jahr 1912 überstanden, doch nun hat die Explosion in Beirut das Nicolas-Ibrahim-Sursock-Museum zerstört. Die weiße Fassade des Hauses für moderne und zeitgenössische Kunst steht noch, doch die blauen, gelben und roten Fensterscheiben wurden durch die Druckwelle hinausgerissen, die am 4. August Beirut erschüttert hat. "Von Innen ist das Museum fast komplett zerstört", sagt Elsa Hokayem, stellvertretende Direktorin des Museums. "Das Holz, die Lampen, die Türen und 25 Kunstwerke sind beschädigt." Auch ein Porträt des Museumsstifters, Nicolas Sursock, gemalt vom niederländischen Künstler Kees van Dongen, sei "von einer Ecke in die andere zerrissen."

Sursock-Museum wird womöglich ein Jahr schließen

Von 2008 bis 2015 wurde das Museum im Libanon renoviert und war für diese Zeit geschlossen. Nun schließt es wieder. "Es wird wohl ein Jahr dauern, bis wir wieder öffnen können", sagt Hokayem im Gespräch mit der DW. Das Gebäude galt als beliebte Kulisse für Fotos, auch an dem Abend der Explosion fotografierte sich ein Hochzeitspaar vor der Villa. Die Museumsangestellten waren nicht mehr in dem Gebäude, das Haus hatte zum Zeitpunkt der Katastrophe bereits seine Türen geschlossen. "Der Wachmann hatte zum Glück an dem Abend seinen Sicherheitsrundgang schon beendet und war nach Hause gefahren", sagt Elsa Hokayem.

Die Räume des Ladens Plan Bey in Beirut sind durch die Explosion zerstört (Bild: DW/J. Neumann)
Die Räume des Ladens Plan Bey nach der ExplosionBild: DW/J. Neumann

Dieses Glück hatte Ziad Olleik nicht. Der Manager des Plan Beysprach mit einer Freundin und einer Kundin im Geschäft, als das Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut um 18:08 Uhr explodierte. Das Plan Bey unterstützt libanesische Künstlerinnen und Künstler, verkauft ihre Illustrationen, Fotos und Zeichnungen zu erschwinglichen Preisen als Poster oder Postkarten. "Wir unterhielten uns, als wir einen unglaublichen Druck spürten. Ich reagierte und sage: Auf den Boden! Und dann fiel das komplette Schaufenster auf uns." Die Scherben schnitten tiefe Wunden in seine Hände. Olleik ist nun bei seiner Familien in einem Haus außerhalb von Beirut. "Ich schaue kein Fernsehen, habe noch immer alles vor meinem inneren Auge. Wenn ich wieder nach Beirut komme und die Rue Gouraud entlang laufe, werde ich bestimmt weinen. Die Explosion hat alles zerstört. Gemmayze war voll von Kunstgalerien, Kulturzentren, Yoga Studios, vielen schönen Plätzen, an denen du einen Kaffee trinken und ein Buch lesen konntest. Nun ist alles weg."

Wirtschaftskrise setze Beiruts Kulturszene schon vor der Explosion zu

Die St. Nicholas Treppen im Stadtteil Gemmayzeh waren ein beliebter Treffpunkt, nun sind sie leer und auf ihnen liegt Schutt und Müll (Bild: DW/J. Neumann)
Die St. Nicholas Treppen im Stadtteil Gemmayzeh waren ein beliebter TreffpunktBild: DW/J. Neumann

Mit den Vierteln Gemmayze und Mar Mikhael hat die Explosion das Herz der Kulturwirtschaft in Beirut getroffen. Nicht nur viele Cafés und alternative Räume für Poetry-Slams, Diskussionsabende oder kleine Livekonzerte sind hier ansässig, sondern auch Designerinnen und Designer von Schmuck, Möbeln oder Kleidung.

Viele hatten auch vor der Katastrophe aufgrund der Wirtschaftskrise bereits Existenzängste - so auch die Betreiber des Plan Bey. Dem kleinen Unternehmen ging es schlecht, weil die lokale Währung durch die Inflation an Wert verliert. "Papier muss importiert werden und ist teuer, weil wir es in Dollar bezahlen müssen. Deshalb können wir nichts Neues drucken oder produzieren", erklärt der 28-jährige Salim Naffah, ebenfalls Manager des Plan Bey.

Salim Naffah betrieb vor der Explosion in Beirut im Libanon das Geschäft Plan Bey (Bild: DW/J. Neumann)
Salim Naffah, Manager des Plan BeyBild: DW/J. Neumann

Eine Plan-Bey-Filiale mussten sie bereits schließen. Das noch verbliebene Geschäft in der Rue Gouraud wollten sie noch bis Ende des Jahres weiterführen - nach der Katastrophe haben sie sich aber entschieden, es aufzugeben und nicht wieder aufzubauen.

Rund 640 historische Gebäude seien von der Explosion in Mitleidenschaft gezogen worden, heißt es von der UNESCO, die sich bei der Einschätzung auf das libanesische Kulturministerium beruft. Etwa 60 von ihnen seien einsturzgefährdet.

Wird der Wiederaufbau Beiruts die Kulturszene zerstören?

Nun haben viele Kulturschaffende Angst, dass die zerstörten Häuser geräumt und von Großinvestorinnen und Großinvestoren aufgekauft werden. Sie fürchten, dass die alternative Kulturszene zerstört und durch einen Wiederaufbau der Charme des Straßenzugs verloren gehen könnte. "Wir bleiben", steht deshalb in Signalrot auf Plakaten, die Bewohnerinnen, Bewohner und Kulturschaffende aufgehängt haben.

Die Akteurinnen und Akteure der Kulturlandschaft im Libanon hatten jedoch noch keine Zeit, um sich viele Gedanken um die Zukunft der Szene zu machen. Viele von ihnen leisten erste Hilfe bei den Aufbauarbeiten, versorgen die Nachbarschaft mit Essen und Unterkünften.

Was bringt die Zukunft nach der Katastrophe? "Wir bleiben", sagen Kulturschaffende im Viertel Gemmayzeh (Bild: DW/J. Neumann)
Was bringt die Zukunft nach der Katastrophe? "Wir bleiben", sagen Kulturschaffende im Viertel GemmayzehBild: DW/J. Neumann

Haven for Artists, sonst ein Raum und Coworking-Space für freischaffende Künstlerinnen und Künstler, ist kurzfristig zur Notunterkunft für alleinstehende Frauen und ausländische Arbeiterinnen umfunktioniert worden. Auch die Betreiber des Plan Bey nutzen kurzfristig ihr zweites Standbein, das Restaurant Makan, um zu helfen: In der Küche kochen sie zwar weiterhin Essen, aber sie verschenken es in der Nachbarschaft.

Darüber, wie die Rolle von Kulturschaffenden im Libanon künftig aussehen kann, sagt Naffah: "Nach einer Katastrophe denken die Menschen sofort an Essen oder Unterkunft. Das sind zwei Notwendigkeiten, aber es gibt eine dritte: Menschen müssen reden und ihnen muss zugehört werden. Sie müssen ihre Geschichten erzählen können und wissen, dass jemand anderes sich sorgt. Da sehe ich einen Leerraum, den die Kulturszene füllen kann - besonders dieser Tage."