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Bekehrter Schurkenstaat

Peter Philipp25. März 2004

Libyen hat überraschend erklärt, dass es keine Massenvernichtungswaffen mehr bauen will. Ist das eine Bestätigung für den harten Kurs der USA gegenüber so genannter Schurkenstaaten? Peter Philipp kommentiert.

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Im 34. Jahr seiner Herrschaft scheint dem libyschen Staatschef Muammar el Gaddafi die Kehrtwende zu gelingen: Aus dem unberechenbaren Paria, als der er selbst von vielen seiner arabischen Bruderstaaten betrachtet und behandelt wurde, könnte wieder ein honoriges Mitglied der internationalen Gemeinschaft werden. Jedenfalls erscheint dies möglich, nachdem Gaddafi nun überraschend zugestimmt hat, alle verbotenen Programme zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen zu stoppen und unbegrenzte internationale Inspektionen in seinem Land zu gestatten.

Freiwilliges Gesprächsangebot

Die Ankündigung in Tripolis kam nur einen Tag, nachdem der Iran in Wien das Zusatzprotokoll zum Atomwaffen-Sperrvertrag unterzeichnet hatte - damit wendete das Land den steigenden internationalen Druck ab, dem es in den letzten Monaten ausgesetzt war und der in Teheran gehörige Verärgerung ausgelöst hatte.

Ganz anders im Fall Libyen: Neun Monate lang verhandelten britische und amerikanische Emissäre mit Gaddafi, ohne dass dies an die Öffentlichkeit drang. Und die Gespräche begannen auch noch auf Initiative des Staatschefs persönlich: Im März 2003 - gerade zu Beginn des Irak-Krieges - hatte er selbst Washington und London angeboten, sein Land strikten Kontrollen zu unterstellen.

Libyen ist ungefährlich

Briten und Amerikaner feiern den erfolgreichen Abschluss ihrer Verhandlungen mit Gaddafi nun mit einigem Recht und preisen ihn als Musterbeispiel für andere "Schurkenstaaten", von denen sie Ähnliches erwarten. Aber: Schon im Fall Iran lagen die Dinge anders. Teheran hatte jahrelang Inspektionen der Internationalen Atomenergie-Behörde IAEO zugelassen und trotzdem verdeckt an diversen verbotenen Programmen gearbeitet. Ohne dass man freilich einsatzbereite Massenvernichtungswaffen entwickelt hatte.

Nordkorea ist auch ein anderer Fall, weil dort solche Waffen offenbar schon vorhanden sind oder binnen kürzester Zeit gebaut werden können. In Libyen hingegen gibt es diese Waffen nach Meinung internationaler Rüstungsexperten nicht - von einigen chemischen Waffen abgesehen, die das Land bereits vor Jahren unter anderem im Tschad eingesetzt haben soll. Libyen stellt heute keine Gefahr mehr dar - trotz der oft bizarren Politik Gaddafis. Und auch trotz seiner bewiesenen - und auch selbst eingeräumten - Verstrickung in internationale Terrorakte in der Vergangenheit.

Aufschwung statt Waffen

So stolz Briten und Amerikaner jetzt auf ihren "Verhandlungserfolg" sind, so sehr man sich auch über jedes Land freuen kann, das dem Drang nach Massenvernichtungswaffen abschwört: Im Fall Libyen geschieht dies nicht, weil Gaddafi sich vom Saulus zum Paulus gewandelt hätte. Sondern es geschieht, weil er eingesehen hat, dass er sein Land anders nicht aus der wirtschaftlichen Misere retten kann. Seit den Terroranschlägen von Lockerbie und Berlin, auch seit dem Bau von Giftgasanlagen stand Lybien im Abseits. Für die Anschläge von Lockerbie und auf eine französische Linienmaschine hat Gaddafi Schadenersatz gezahlt; die UNO hob ihre Sanktionen gegen Libyen auf. Wenn er jetzt auch noch das Zusatzprotokoll des Sperrvertrages unterzeichnet, dann - so Gaddafis Kalkül - werden auch die USA ihre Sanktionen aufheben und wieder in Libyen investieren.

Wahrscheinlich wird es so kommen. Und das ist gut so, denn auch vermeintlichen Schurken sollte das Recht zugestanden werden, sich lieber später als nie zu läutern.